Götter und Monster sind auch nur Menschen – und Taika Waititi ist der selbstironischste Regisseur des MCU.
„Wenn Sie sich diesen Film nicht ansehen, bedeutet das, dass Sie Spaß, Kunst und unabhängiges Kino hassen“, sagt Taika Waititi über Thor: Love and Thunder augenzwinkernd. Doch der neuseeländische Regisseur, der per Motion Capture wieder den Steinmann Korg spielt (und auch synchronisiert), hat mit dieser Aussage nicht so unrecht, auch wenn seine mit dem Oscar für das beste adaptierte Drehbuch ausgezeichnete Kriegstragikomödie Jojo Rabbit (2019), in der sich ein zehnjähriger Hitlerjunge in ein in seinem Haus verstecktes jüdisches Mädchen verliebt, stimmiger Satire, Katharsis und Filmkunst miteinander verband.
Dennoch: Taika Waititi ist in jedem Fall der bessere, weil subversivere Inszenator der Marvel-Saga um den von Chris Hemsworth nun bereits zum achten Mal (inklusive vier Avengers-Filmen) verkörperten Donnergott und Sohn Odins, als es Kenneth Branagh 2011 und Alan Taylor 2013 je gewesen sind. Der vierte Teil kommt, wie der Regisseur zu Protokoll gibt, tatsächlich „größer, lauter und bombastischer“ daher als der von ihm ebenfalls inszenierte Thor: Tag der Entscheidung (2017) – und nimmt sich auf wohltuende Weise selbst nicht allzu ernst. Die Handlung basiert lose auf der Comic-Storyline „The Mighty Thor”, in der die krebskranke Jane Foster (Natalie Portman) durch Thors magischen Hammer Mjölnir die Fähigkeit erhält, ebenfalls zur Donnergöttin zu avancieren. Tessa Thompsons Rückkehr als lesbische Walküre folgt der politisch korrekten und auf Diversität abzielenden Philosophie des MCU (Marvel Cinematic Universe). Als neue Königin von Asgard investiert sie in das Volk, um die zerstörte Heimat wieder aufbauen. Die etwas anderen Fantastischen Vier treffen nun auf ihren stärksten (und ekligsten) Widersacher Gorr, den Götterschlächter (Christian Bale), der nach dem vermeintlichen Tod seiner Tochter Kinder aller Wesen des uns bekannten Universums auf einen kargen Planeten entführt hat.
Die Story der rund 200 Millionen Dollar teuren, vorrangig in Australien gedrehten Produktion ist ziemlich Banane, aber wie Waititi sie mit handwerklichen Geschick, neuester LED-Videowand-Technik, Einsatz von Rock-Klassikern à la Guns n‘ Roses und trockenem Dialogwitz (er schrieb zusammen mit Jennifer Kaytin Robinson das Drehbuch) darbietet, gehört doch zu den Highlights im MCU. Das Beste kommt übrigens nicht zum Schluss, sondern gleich am Anfang: Mittels lakonischem Off-Kommentar wird erzählt, wie Thor als Strafe für das Missachten des Nichteinmischungspaktes der irdischen Götter in der (Marvel-)Realität von seinem Vater Odin (Anthoy Hopkins ist diesmal nicht zu sehen) auf die Erde verbannt wird und dort einen Schicksalsschlag nach dem anderen hinnehmen muss.
Was traurig klingt, ist unheimlich lustig inszeniert: So hat der frustrierte 1,98 m große Hüne sein einstiges Gewicht von 290 kg fast verdoppelt. Chris Hemsworth (misst in Wirklichkeit „lediglich“ 1,91 m) beweist mit Bierwampe Mut zur Hässlichkeit, als er ausgerechnet durch die krebskranke Jane Foster wieder die Liebe zum Leben in sich verspürt. Natalie Portman zieht auch in dieser Comic-Adaption alle Register ihrer Schauspielkunst – von der strahlenden Heldin bis zur dahinsiechenden Tragödin. Zahlreiche Gaststars haben parodistische Kurzauftritte wie Russell Crowe als oberster olympischer Gott Zeus, der sich nur dem personifizierten Schicksal in Gestalt seiner Töchter, der Moiren, beugen will, und hart mit Thor aneinandergerät. Das Götterreich ist so golden-kitschig dargestellt, wie man es sich in seinen kühnsten (Alb-)Träumen nicht ausmalen könnte. Als Hommage an die von Stan Lee und Jack Kirby geschaffene Anfangszeit des Superhelden Thor, der 1962 seinen ersten Auftritt im Comicheft „Journey Into Mystery #83“ hatte, sind die Abspann-Titel in psychedelische Farben getaucht.
Witzig sind auch die überdimensionierten, seinen Wagen ziehenden Böcke Thors – Tanngnióstr (Zähneknirscher) und Tanngrisnir (Zähneblecker). Ihnen allen stiehlt aber Christian Bale die Show, der auf digitale Tricks verzichtet und mittels Maske (seine Frau Sibi Blažić ist Make-Up-Artist) wie die Idealverkörperung eines der Grauen Herren aus Michael Endes Meisterwerk „Momo. Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte“(1973) aussieht. Ohne zu spoilern, hat die abgrundtief hässliche und bösartige Gestalt am Ende doch erbarmungswürdige Züge. Fazit: Götter und Monster sind auch nur Menschen!