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Killers of the Flower Moon

Killers of the Flower Moon

Eine Hochzeit und viele Todesfälle

| Andreas Ungerböck |
Martin Scorseses Epos „Killers of the Flower Moon“ beleuchtet ein düsteres, wenig bekanntes Kapitel der US-Geschichte, angesiedelt in den 1920er-Jahren in Oklahoma.

Dass die Vereinigten Staaten von Amerika auf den Friedhöfen ihrer Ureinwohner gebaut sind, ist eine altbekannte Polemik, die auch in der Populärkultur immer wieder aufgegriffen wurde. Wer erinnert sich nicht, unter anderem, an Stephen Kings Roman „Pet Sematary“ (1983)? In Martin Scorseses neuem dreieinhalbstündigem Epos Killers of the Flower Moon wird der Friedhof einer Kleinstadt in Oklahoma zu einem zentralen Schauplatz, werden doch hier ab Beginn der 1920er-Jahre immer wieder Angehörige der Osage Nation getötet. Was den lokalen Behörden Rätsel aufzugeben scheint, an deren Lösung sie nicht sonderlich interessiert sind, ist zumindest in Scorseses Film so rätselhaft nicht. Im Zentrum des Geschehens stehen der ehemalige Viehhüter und nunmehrige Groß-Rancher William Hale, wie viele andere Charaktere in dem Film eine historische Figur. Er lebt auf einem Gebiet in Oklahoma, das den Osage gehört, die mit einem gigantischen Ölfund gegen Ende des 19. Jahrhunderts schlagartig reich geworden sind. Das kann man dank einer beeindruckenden Collage aus Archiv- und nachgestelltem Material zu Beginn nachvollziehen, die einen Höhepunkt des Films darstellt. Doch natürlich hat dieser Öl-Reichtum nicht nur alle möglichen Abenteurer und Arbeitssuchende angelockt, sondern auch eine Vielzahl wenig angenehmer Zeitgenossen. William Hale, nach außen hin ein angesehener Geschäftsmann und ein enger Freund der Osage (er spricht unter anderem deren Sprache), ist hinter seiner ehrbaren Fassade schon bald als veritabler Schurke zu erkennen.

Als Hales Neffe Ernest Burkhart aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause kommt – dies ist der einzige konkrete zeitliche Hinweis im Film –, heuert dieser, wie zuvor sein Bruder Bryan, beim reichen Onkel an, der ihm schon bald den Vorschlag macht, die attraktive Osage-Frau Mollie Brown zu ehelichen, von deren Schwester Anna sein Bruder inzwischen geschieden ist. Hales schrecklicher Plan ist es, die Brown-Schwestern und deren Mutter zu ermorden, um an das Vermögen der Familie heranzukommen. So weit, so einfach. Die „Komplikation“ ist zunächst aber, dass sich Ernest tatsächlich in Mollie verliebt, was ihn bald in eine höllische Zwickmühle zwischen der Loyalität zum mörderischen Onkel und der Liebe zu seiner Frau bringt, die noch dazu – damals eine sehr ernste Angelegenheit – an schwerem Diabetes leidet.

Alles offensichtlich

Als Anna Brown von einem Auftragsmörder getötet wird, sind die letzten Zweifel ausgeräumt, und auch sonst steigt die Anzahl der ermordeten Osage rapide an, wobei die Täter zusehends brutaler agieren. Mit einigen anderen Proponenten der Osage Nation reist Mollie Brown nach Washington, um keinen Geringeren als den Präsidenten der USA aufzufordern, dem mörderischen Treiben ein Ende zu setzen. Und siehe da: Weniger später reist der – ebenfalls historische – BOI-Agent Tom White mit einer äußerst entschlossen auftretenden Truppe weiterer Agenten an, um die Mordserie aufzuklären und die Schuldigen der Justiz zu überantworten. (Das BOI oder Bureau of Investigation war die Vorläufer-Organisation des FBI.)

Wer sich also einen klassischen Whodunit-Kriminalfilm erwartet, der wird nicht froh werden, denn Scorsese folgt konsequent dem Lauf der historischen Ereignisse, einige erzählerische Freiheiten natürlich inklusive. Das erzeugt nicht viel Spannung, aber darum geht es wohl auch nicht, sondern vor allem um den inneren Konflikt von Ernest Burkhart, der ein ziemlich schlichtes Gemüt und von den moralischen Anforderungen, die an ihn gestellt werden, eindeutig überfordert ist. Leonardo DiCaprio, der ursprünglich den Guten, also Tom White, spielen sollte, entschied sich, die Rolle des, nun ja, bestenfalls ambivalenten Hale-Neffen zu übernehmen und tut das mit gewohnter Bravour, wenngleich ihm gegen Ende des Films, als ihm klar wird, in welcher Bredouille er steckt, die Gesichtszüge ein bisschen zu oft entgleiten und seine Kiefer unaufhörlich mahlen. Das Dilemma, das Scorsese dieser Figur aufgebürdet hat (warum stellt Burkhart sich nicht entschieden gegen den Onkel, wenn er doch seine Frau so liebt?), ist nicht zu lösen, und man wird Ernests lasche Haltung wohl unter dem Motto „Die Gier ist ein Hund“ subsumieren müssen.

Dementsprechend ist Killers of the Flower Moon, gemessen an Scorseses früheren Meisterwerken, vergleichsweise konventionell erzählt. Vom mörderischen Plan über das Anheuern eines „passenden“ Killers bis hin zur bösen Tat, die man auch immer sieht, und letztlich deren Aufklärung ist alles ausführlich im Bild. Mollie als Erzählstimme wird sehr spärlich eingesetzt, einzig Collagen (wie die schon erwähnte und hin und wieder eine Zusammenfassung weiterer Morde) beschleunigen das Geschehen ein wenig. So vergehen dreieinhalb Stunden, und man ist, nicht zuletzt im Hinblick auf die Tatsache, dass die teure Produktion mehrheitlich von Apple TV+ gestemmt wurde, versucht, zu sagen, dass eine vierteilige Miniserie eventuell das passendere Format gewesen wäre. Wenn wir schon beim Nörgeln sind: Es ist schade, dass Scorsese, wie das in seinen Filmen ja leider ziemlich oft der Fall ist, zu seiner zentralen Frauenfigur Mollie Brown recht wenig eingefallen ist. Am Anfang ist sie attraktiv und dynamisch, nach der Hochzeit mit Burkhart jedoch vor allem Hausfrau und leidend. Das ist umso bedauerlicher, als Lily Gladstone wirklich ihr Bestes gibt, um eine lebendige Figur darzustellen; dass die Sympathien des Publikums (und wohl auch die der im nächsten Jahr für die Oscars Abstimmenden) ihr gehören, scheint ohnehin klar. Und eines noch, quasi als Diskussionsgrundlage: Ob es eine gute Idee war, das berüchtigte „Massaker von Tulsa“ quasi als kleine Randnotiz in einen Film über die Osage-Morde einzufügen, sei dahingestellt. Weiße Rassisten brannten am 31. Mai und 1. Juni 1921 das Schwarzenviertel Greenwood in der Hauptstadt Oklahomas nieder und töteten rund 300 Menschen – hier sehen wir es als Wochenschau-Beitrag in einem Kino, das Ernest und Mollie besuchen. Und auch der Ku-Klux-Klan kommt kurz vor.

Viel Gutes

Woher stammt nun die allgemeine Begeisterung, die die Welt-Filmpresse anlässlich der Premiere von Killers of the Flower Moon in Cannes im Mai erfasste? Polemisch könnte man sagen, dass wohl, wie so oft in ähnlichen Fällen, das hehre Anliegen, ein erschütterndes historisches Ereignis aufzuarbeiten, und der dazugehörige Film als deckungsgleich gesehen werden. Seit David Granns Sachbuch „Killers of the Flower Moon: The Osage Murders and the Birth of the FBI” im Jahr 2017 erschienen war, hatte sich Martin Scorsese um eine Verfilmung bemüht, die allerdings mehrfach, zum einen wegen Covid, zum anderen wegen der gewaltigen Kosten, gefährdet schien. Ganz ohne Polemik ist es selbstverständlich zu würdigen, wenn ein Mann, der zu Recht als einer der ganz großen Regisseure der Filmgeschichte gilt, noch dazu mit gut 80 Jahren, ein solches Unterfangen in Angriff nimmt.

Es wäre nicht Scorsese, wenn er es nicht geschafft hätte, seinen Film in höchster technischer Qualität und mit eindringlichen Bildern (die Kamera führte, wie schon bei Silence und The Irishman, der dreifach oscarnominierte Rodrigo Prieto) umzusetzen. Von der Montage, die wie gewohnt seine „ewige“ Mitarbeiterin Thelma Schoonmaker besorgte, und dem großartigen Production Design von Oscar-Preisträger Jack Fisk ganz zu schweigen. Dass dank der engen Zusammenarbeit mit der Osage Nation alles politisch korrekt (im besten Sinne!) ist, steht ebenso außer Frage. Die größte Qualität des Films liegt denn auch in der hoch seriösen, bewusst unspektakulären Darstellung der Native Americans, die – wer hätte das im alten Hollywood gedacht? – einfach Menschen sind, mit Sorgen und Nöten, Vorzügen und Fehlern. So lapidar das klingt, so überzeugend ist es hier umgesetzt.

Klassisch filmgebildeten Menschen wird auch auffallen, wie sorgfältig und präzise hier die Nebenfiguren gecastet sind. Da hat nicht eine Agentur „eben mal so“ ein paar Leute vorbeigeschickt, sondern es wurde beherzigt, was früher ein Muss war, nämlich dass diese Charaktere prägnante Gesichter und Eigenschaften haben sollten, auch und gerade die Bösewichter, die in Killers of the Flower Moon ziemlich zahlreich vertreten sind. Und über die Darstellung der Hauptfiguren darf man schon auch schwärmen: Robert De Niro ist eine überzeugende Variante des aus dem klassischen US-Western bekannten, meist bösen „Viehbarons“, der die ganze Stadt beherrscht; nach seinen zuletzt allzu häufigen Ausflügen in den Klamauk findet Scorseses alter Kumpel hier wieder zu einer zurückgenommenen, sehr bestimmten schauspielerischen Leistung. Lily Gladstone und Leonardo DiCaprio wurden schon erwähnt, ihre Liebesgeschichte, die unter dem ganzen schrecklichen Geschehen immer noch hervorschimmert, ist sehr schön, wenn auch mit einem Makel behaftet. Und wenn wir von Schauspielern reden: Jesse Plemons als knochentrockener, zwischen sanft und knallhart changierender Federal Agent stiehlt eindeutig die Show, er agiert schlicht auf der Höhe seiner Kunst.

Zum Ende hin, das ist nicht minder großartig, haben sich Martin Scorsese und Ko-Drehbuchautor Eric Roth noch einen charmanten Kunstgriff einfallen lassen, der hier natürlich nicht verraten wird, aber den Film auf eine weitere Ebene hebt. Und zu guter Letzt: Die famose Filmmusik stammt von keinem Geringeren als dem Scorsese-Buddy und The Band-Mitbegründer Robbie Robertson, der am 9. August im Alter von 80 Jahren verstorben ist. Ein schöneres musikalisches Vermächtnis ist kaum vorstellbar.