Die 2003 etablierte Reihe Berlinale Talents gehört zweifellos zu den Highlights der Ära Dieter Kosslick. Auch bei der diesjährigen Veranstaltung sind – neben rund 250 Talenten aus allen filmischen Bereichen und aus aller Welt – illustre Gäste zu erwarten, darunter der US-Filmemacher David Lowery.
David Lowery, 1980 in Milwaukee, Wisconsin, geboren, feierte zuletzt mit dem ungewöhnlichen Geisterfilm A Ghost Story (mit Casey Affleck und Rooney Mara) einen großen Erfolg. Im März kommt seine neue Arbeit The Old Man & the Gun in die Kinos, bemerkenswert schon deswegen, weil dies, so heißt es, der letzte Leinwandauftritt des 82-jährigen Robert Redford ist. Als junger, angehender Filmemacher war Lowery 2005 bei der dritten Ausgabe der damals noch „Talent Campus“ genannten Veranstaltung dabei, als eines von nicht weniger als 530 Talenten aus 90 Ländern. Er hatte im Rahmen seiner Bewerbung ein Drehbuch mit dem Titel „Drift“ eingereicht, das aber nie realisiert wurde. Das Motto der Veranstaltung war „Designing Your Future“, der Fokus lag auf Production Design und Filmarchitektur.
Wie war denn Ihr „Zustand“ als junger Filmemacher, als Sie damals zum Talent Campus eingeladen wurden? Waren Sie selbstbewusst und optimistisch oder eher skeptisch, was Ihre Zukunft im Filmbusiness betraf?
David Lowery: Ich fühlte mich sehr geehrt. Es war das erste Zeichen von Anerkennung, das ich jemals als Filmemacher erhielt. Ich war gerade 24 geworden und hatte keine Ahnung, wie meine Karriere aussehen würde – und ob ich überhaupt eine haben würde! Ich wusste nicht, ob ich eine Zukunft beim Film haben würde, und dann kam diese Email, mit der man mich zum Talent Campus einlud. Es war der erste Hinweis darauf, dass andere Leute an meiner Arbeit interessiert sein könnten.
Was waren Ihre Erwartungen, als Sie am Talent Campus teilnahmen? Was wollten Sie für sich mitnehmen?
David Lowery: Ich kann mich nicht genau erinnern, was meine Erwartungen waren. Ich war ja noch nicht einmal bei einem Filmfestival gewesen! Jedenfalls war ich sehr aufgeregt und nervös. Ich kann mich erinnern, dass ich einem Freund, der bei der Berlinale gewesen war, eine Email schrieb und ihn fragte, was mich erwarten würde. Ich ließ Visitkarten drucken und brannte einige meiner Kurzfilme auf DVDs, aber ich weiß nicht mehr, ob ich überhaupt dazu kam, sie jemandem in die Hand zu drücken.
Welche Workshops oder Vorträge haben Sie in Berlin besucht? Mit wem haben Sie gearbeitet?
David Lowery: Es gab Master Classes mit Mike Figgis, Ridley Scott und Stephen Frears, die alle sehr wertvoll waren. Und es gab eine mit Chris Doyle, der damals mein absoluter Lieblings-Kameramann war. Die Klasse selber war schon toll, aber nachher hielt er noch Hof an der Bar, wo er trank und sich mit jedem unterhielt, der sich dazusetzte. Einen solchen Zugang zu einem meiner absoluten Helden zu haben, das war elektrisierend. Was auch sehr eindrucksvoll war, war ein Besuch der Kubrick Archives, geführt von Jan Harlan und Christiane Kubrick. Das war eines der Erlebnisse, wie man sie nur einmal im Leben hat.
Glauben Sie, dass der Campus Ihnen geholfen hat, Ihren ersten Langfilm „St Nick“ zu entwickeln und zu drehen?
David Lowery: Naja, es dauerte weitere drei Jahre, bevor ich St Nick drehte und vier Jahre, bis er Premiere hatte, also war der Einfluss wohl kein direkter. Aber den Campus und die Berlinale generell zu besuchen, half mir zu verstehen, wie ich eine Karriere als Filmemacher aufbauen könnte. Wie gesagt, es war mein erster Besuch bei einem Filmfestival, und ich erinnere mich, dass ich einen frühen Kurzfilm der Duplass Brothers sah. Es war das erste Mal, dass ich einen ihrer Filme sehen konnte, und ich erkannte für mich, dass ein großer Erfolg sein würde, dasselbe zu tun und Filme zu drehen, die bei Festivals wie der Berlinale gezeigt und geschätzt würden. Geld spielte da keine Rolle. Ich wollte, dass meine Arbeit gesehen und wertgeschätzt wird. Ironischerweise habe ich es aber bisher mit keinem Film nach Berlin geschafft. Ich hoffe, das ändert sich eines Tages.
Trotzdem sind Sie sehr weit gekommen in Ihrer Karriere und heute ein ziemlich „großer Name“ im Filmgeschäft. Warum haben Sie sich entschlossen, dieses Jahr zu den Berlinale Talents zurückzukehren?
David Lowery: Ich wollte schon lange einmal wiederkommen, schon seit 2005. Ich hatte mich sogar im Jahr darauf wieder beworben. Also, das war wirklich längst fällig.
Welche Lecture oder welchen Workshop werden Sie anbieten?
David Lowery: Der Arbeitstitel lautet „In Free Fall: Joys of Trial and Error. Developing ideas is a meandering process. David Lowery takes us through his playlist of music, clips and other sources of inspiration behind his films A Ghost Story and The Old Man & the Gun.“ Ich habe übrigens großen Horror davor, öffentlich zu sprechen. Ich muss da meinen ganzen Mut zusammennehmen.
Nach Ihren eigenen Erfahrungen: Was, glauben Sie, brauchen junge Filmemacherinnen und -macher am meisten, um voranzukommen – neben Talent, natürlich?
David Lowery: Ausdauer, Ehrlichkeit, Neugier, Freundlichkeit und noch einmal Ausdauer.
Berlinale Talents 2019: Mistakes. How to Fail Better
Schöner scheitern: Im Rahmen seiner 17. Ausgabe geht Berlinale Talents unter dem smarten Motto „Mistakes“ auf Fehlersuche. 250 Talente aus 77 Ländern – davon 141 Frauen und 109 Männer – sowie rund 130 Expertinnen und Experten, Mentorinnen und Mentoren sowie das Berliner Publikum widmen sich vom 9. bis 14. Februar kreativen Schaffensmomenten, in denen sie ins Straucheln gerieten und dann ungeplante und ungeahnte Wege beschritten. Dabei soll es nicht nur um den konstruktiven Umgang mit kleinen Fehlentscheidungen und großen Katastrophen gehen. Auch das einkalkulierte „Falschmachen“ als ästhetisches Experiment, als kreative Kraft der Erneuerung und willentliches Aufbäumen der Kunst gegen die Norm stehen im Fokus der rund hundert Workshops, Talks und Filmvorführungen in den drei Häusern des HAU Hebbel am Ufer, von den rund 25 sowie fünf Screenings (die Filme stammen allesamt von Alumni) öffentlich zugänglich sind. Die Gruppe der Talents ist sozial, kulturell und künstlerisch divers – von der brasilianischen Verleiherin Talita Arruda, die u.a. den 2018 in Berlin mit dem Teddy Award ausgezeichneten Film Tinta Bruta (Hard Paint) vertritt, bis zur Animationsfilmerin Brenda Lien, einer der Gewinnerinnen des Deutschen Kurzfilmpreises 2018.
Die Talente sind keine Neulinge: Sie haben ihren Filmhochschulabschluss zum Teil bereits zehn Jahre in der Tasche, berufliche Erfahrungen gesammelt und sind regelmäßige Festivalgäste. Das internationale Auswahlkomitee bewertet nicht nur ihre künstlerische, individuelle Leistung, sondern achtet auch darauf, wie in den Arbeiten der Talente die sozialen und wirtschaftlichen Kontexte der jeweiligen Herkunftsländer reflektiert werden und die Filme in dort beheimatete Zukunftsdebatten einfließen. Diesmal kommen die Talente aus den Bereichen Regie (108), Produktion (49), Schauspiel (14), Drehbuch (6), Kamera (16), Montage (13), Produktionsdesign (11), Weltvertrieb und Verleih (10), Filmmusik (7) und Sounddesign (8) – darunter besonders viele Talente, die digitale Workflows von der Produktion bis zum Vertrieb innovativ ausloten und inhaltlich zunehmend hybride Formate und Erzählweisen wählen. 42 Talente nutzen die Project Labs mit Betreuung durch Mentorinnen und Mentoren, um ihre Dokumentar-, Spielfilm- und Kurzfilmprojekte weiterzuentwickeln.
Prominente Alumni
Berlinale Talents erfreut sich seiner bis dato 5.673 Alumni, die inzwischen jährlich in etwa 70 Filme zum Programm der Berlinale beisteuern und gerne auch im HAU Hebbel am Ufer ihr Wissen an die aktuellen Talente weitervermitteln. Auch unter den Expertinnen und Experten auf der großen Bühne im HAU1 sind in diesem Jahr wieder einige Alumni, darunter David Lowery oder Adina Pintilie, die 2018 für Touch Me Not den Goldenen Bären und den GWFF-Preis Bester Erstlingsfilm erhielt. Sie wird gemeinsam mit der Produzentin Bianca Oana eine öffentliche Fallstudie zur Vermarktung und Platzierung des besonderen künstlerischen Filmes machen. Kameramann und Alumnus Diego García, der zuletzt Spielfilme für Apichatpong Weerasethakul, Carlos Reygadas und Paul Dano fotografiert hat, wird Experte des diesjährigen Camera Studio Workshops. Auch zahlreiche weitere Spitzenkräfte haben ihr Kommen zugesagt und werden den 250 Talents mit Rat und Tat zur Seite stehen. Darunter sind unter anderem Tendo Nagenda, Vice President Original Films bei Netflix; Erika Lust als „acclaimed indie adult filmmaker“; Peter Albrechtsen, renommierter Sound Designer u.a. für Thelma, Dunkirk und Verblendung; der Tonmeister Martin Steyer, der 2018 in die Akademie der Künste aufgenommen wurde und sowohl bei den European Film Awards als auch beim Deutschen Filmpreis für die Beste Tongestaltung 2018 ausgezeichnet wurde (weitere Preise erhielt er für Wild und Requiem) sowie Peter Becker als President der Criterion Collection.
Wichtig auch: Acht junge Filmkritikerinnen und -kritiker diskutieren im Rahmen der Talent Press die Filme und Themen der Berlinale und hinterfragen gemeinsam mit Gästen die Rolle der Presse im Filmfestivalbetrieb.
Berlinale Talents 2019: Mistakes. How to Fail Better
9. bis 14. Februar, HAU Hebbel am Ufer
Hallesches Ufer 32, 10963 Berlin
www.berlinale-talents.de