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LBJ – John F. Kennedys Erbe

LBJ

Sein bester Mann

| Michael Pekler |
Er war der ungeliebte US-Präsident im langen Schatten von John F. Kennedy. Rob Reiner unternimmt mit „LBJ“ unter maßgeblicher Beteiligung von Woody Harrelson, die verspätete Ehrenrettung für Lyndon B. Johnson. Jetzt auf DVD und Blu-ray.

Sein jüngster Leinwandauftritt fiel, wie konnte es anders sein, schon wieder nicht sympathisch aus. In Pablo Larraíns Jackie (2016) über das Attentat auf John F. Kennedy, erzählt aus der Sicht der First Lady, trat er nämlich erneut unangenehm in Erscheinung: Während für die Präsidentengattin, noch im blutbefleckten Kostüm, an diesem 22. November 1963 die Welt zusammenbricht, kann es dem ebenfalls in Dallas anwesenden Vizepräsidenten mit dem Schwur auf die Nation nicht schnell genug gehen. Vom Krankenhaus, wo Kennedy erst wenige Stunden zuvor seinen Verletzungen erlag, wird er als sein Stellvertreter an Bord der Air Force One eskortiert, wo ihn die eilig herbeigeholte Richterin zum neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten vereidigt. In Jackie dient dieser Augenblick einzig dazu, die Gefühllosigkeit jenes Mannes zu zeigen, dessen Stunde an diesem Nachmittag geschlagen hat: Lyndon B. Johnson.

Rob Reiner inszeniert diesen Augenblick in LBJ erwartungsgemäß etwas anders. Sein Biopic ist, wenn man so will, eine Art Gegenentwurf zu Jackie, denn auch Reiner konzentriert sich fast gänzlich auf die Tage nach der texanischen Katastrophe für die freie Welt. LBJ beginnt mit der Ankunft der US-Politelite am Flughafen von Dallas, wo der neue Star am Präsidentenhimmel von der Menge gefeiert wird, während Johnson als sein älterer Vize nahezu unbemerkt mit Gattin und Gouverneur in einen der hinteren Wagen klettert. Wo er denn jetzt lieber wäre, fragt ihn sein Frau – und bekommt keine Antwort. Die kann man sich, blickt man Johnson in sein mürrisches Gesicht, ohnehin denken: Überall, nur nicht hier. Der zu diesem Zeitpunkt 55-Jährige ist ein Politsaurier, sieht mindestens zehn Jahre älter aus, vertrat zwölf Jahre lang seinen Heimatstaat Texas im Repräsentantenhaus, dann weitere zwölf Jahre die Demokraten im Senat. LBJ fasst diese langen Dienstjahre Johnsons in kurzen Rückblenden zusammen – während die Wagenkolonne des Präsidenten in Richtung Dealey Plaza unterwegs ist.

„Mr. President, man kann nicht sagen, dass Dallas Sie nicht liebt“, soll Nellie Connally, Frau des mitfahrenden Gouverneurs, zu Kennedy gesagt haben. Worauf dieser meinte: „Nein, das kann man ganz sicher nicht sagen.“ In LBJ bekommt man diese letzten Worte nicht zu hören, aber man kann ihre Wirkung auf Johnson fühlen. Kennedy (Jeffrey Donovan, in J. Edgar bereits als Robert Kennedy im Einsatz) ist hier ein aufgeweckter Bursche, ein geschickter Diplomat, clever und hübsch, die Fernsehkameras lieben ihn. Als Johnson mit seiner Frau abends im Bett liegt und Kennedy ihn anruft, um ihn zu seinem Vizepräsidenten zu machen, hat er Zweifel. Nicht weil er meint, er könne diesen Job nicht erledigen. Sondern weil er genau weiß, dass die Leute da draußen ihn nicht lieben. LBJ ist ein Film über einen sich ungeliebt fühlenden Politiker, der erst dadurch zu sich findet. LBJ ist damit zugleich ein Film über einen mächtigen Mann alter Schule, der begreift, dass seine Zeit abgelaufen ist, obwohl sie noch nicht einmal begonnen hat. Reiner verzichtet auf jedwede psychologisierende Rückblenden etwa in (un)glückliche Kindheitstage, liefert keinerlei Erklärungen über soziale Umstände oder Hintergründe, wie man als texanischer Demokrat in den fünfziger Jahren ums politische Überleben zu kämpfen hatte. LBJ interessiert sich stattdessen dafür, wie Menschen in Situationen funktionieren – aber nicht warum.

Auf das zwiespältige Bild, das den nach Kennedys Tod mit großer Mehrheit im Amt bestätigten und bis 1969 regierenden Präsidenten Johnson begleitet, greift auch Reiner zurück. Denn wogegen Johnson, den ein groß aufspielender Woody Harrelson mit streng nach hinten gekämmtem Haar mürrisch und demütig zugleich verkörpert, immer ankämpfte, war das eigene Image. Johnsons Problem war, dass er ohne Kennedy nicht denkbar war; dass er bei allen Entscheidungen den Schatten eines Toten über sich schweben wusste. Reiner zeigt ihn als unbeugsamen Streiter, der sich die Gegner in den eigenen Reihen wortgewaltig zur Brust nimmt. Da brauchen die Republikaner gar nicht vorzukommen. „Macht ist dort, wo Macht entsteht“, erklärt er süffisant Bill Pullman als texanischem Senator Yarborough, genannt „Smilin’ Ralph“, der als einer der wenigen Südstaaten-Demokraten für die Bürgerrechtsbewegung und gegen den Vietnamkrieg eintrat. Johnson reklamiert für sich, jedes seiner Ämter mächtiger gemacht zu haben, als es zuvor war. Währenddessen er mit seinem Schneider telefoniert. Seine Hose ist dort zu eng, wo er bestimmt mehr Platz braucht.

LBJ wirkt über weite Strecken wie ein Kammerspiel, in dem – vom Attentat in Dallas ausgehend – jeder Schritt wie ein Schachzug oder gar Pokerspiel wirkt. Wer sich vom anderen in die Karten blicken lässt oder gar seine frühzeitig herzeigt, hat schon verloren, ehe die nächste Wahl geschlagen ist. Bei Reiner ist Johnson ein solcher Stratege, kühl zwar und energisch in seinen Entscheidungen, aber auch mit einer persönlichen Agenda: Es war Johnson, der Kennedys Vermächtnis – etwa die Aufhebung der Rassentrennung 1964 mit der Unterzeichnung des Civil Rights Act – im politischen Alltag umsetzte. Er war der erste Präsident, der einen afroamerikanischen Richter in den Obersten Gerichtshof berief; und er war jener Präsident, der mit Robert C. Weaver erstmals einen Schwarzen zum Minister in seinem Kabinett ernannte und Pläne für eine staatliche Krankenversicherung entwarf. Er war aber auch jener Präsident, der Kennedys Engagement in Vietnam nicht nur verlängerte, sondern eskalieren ließ – eine Außenpolitik, die er über Jahrzehnte hinweg als historischen Mühlstein mit sich schleppte. Dass Kennedy seinen Wahlsieg seinem Nachfolger verdankte, indem Johnson ihm die nötigen Stimmen aus dem Süden lieferte, spielt in LBJ eine wichtige Rolle: Auch deshalb legt es Reiner darauf an, in den wenigen Szenen, in denen Kennedy und Johnson gemeinsam auftauchen, die beiden Konkurrenten auf Augenhöhe zu zeigen – wenngleich es letztlich Kennedy ist, der die Entscheidungen trifft. „Der bessere Mann hat gewonnen“, gratuliert Johnson dem Sieger nach gewonnener Vorwahl. „Ich bin nicht besser, aber ich sehe viel besser aus“, lautet Kennedys Antwort – und schlägt Johnson den Vize vor. Das Zweckbündnis zweier unterschiedlicher Charismatiker.

Am Mythos Kennedy zu zerbrechen, ist keine Schande. Seit Jahrzehnten arbeiten sich US-Präsidentenfilme an diesem ab, entweder direkt wie JFK, Parkland oder Thirteen Days, oder über Umwege wie Nixon, in dem Anthony Hopkins als geschmähter Präsident vor dem Porträt Kennedys ganz klein dasteht. Nixon ging als jener Präsident in die Geschichte ein, der aufgrund mangelnder medialer Wirksamkeit das Amt zuerst nicht erreichen konnte und später verlassen musste: Bereits 1960 hatte Kennedy bekanntlich in der entscheidenden Fernsehdebatte einen bleichen und krank aussehenden Nixon entzaubert. Ein wenig von diesem Schicksal haftet auch Johnson in LBJ an: „Es gibt die Paradepferde und die Ackergäule. Kennedy ist ein Paradepferd. Nur was fürs Auge. Aber wenn Sie Ihr Feld bestellen wollen, rührt es sich keinen Millimeter.“ Johnson ist Ackergaul und der Mann hinter dem Pflug in einem.

Für den 72-jährigen Rob Reiner, der als überzeugter Liberaler auch außerhalb Hollywoods in Erscheinung tritt – als Mitbegründer der American Foundation for Equal Rights, als Unterstützer mehrerer demokratischer Kampagnen von Al Gore über Howard Dean bis Hillary Clinton, sowie als einer der schärfsten Trump-Kritiker seiner Zunft („a racist, sexist, anti-gay, and anti-Semitic“) – ist LBJ wohl auch eine Art von Wiedergutmachung. Und sicher nicht deshalb, weil Johnson bei seiner Wahl 1964 den mit Abstand größten Sieg seit 1820 verbuchen konnte. Sondern weil Johnson auf das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten jahrelang hingearbeitet hatte, es aber sicher nicht am 22. November 1963 auf diese Weise übernehmen wollte. Vielleicht war seine hartnäckige Weiterführung und Umsetzung von Kennedys Programm diesem tragischen Umstand geschuldet. Wozu denn eine Präsidentschaft nützlich sein soll außer für einen großen, hübschen Flieger und einen Raum ohne Ecken, will er in LBJ von seinem versammelten Beraterstab wissen, der Kennedys Entwurf zum Bürgerrechtsgesetz abändern möchte. Auf die Gegenfrage, ob dieser denn überhaupt seinen eigenen Vorstellungen entspräche, antwortet er – wieder einmal – mit einer privaten Geschichte. Diesmal mit jener seiner schwarzen Köchin und ihrer Reise durch den Süden. Wenn sie nicht wahr ist, so ist sie immerhin gut geschrieben. So wie dieser Film.