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A Serious Man

A Serious Man

I haven’t done anything

| Alexandra Seitz |

Joel und Ethan Coen erzählen in „A Serious Man“ auf tragikomische Weise vom Hadern mit Gott.

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Larry Gopnik? Was ist denn das überhaupt für ein Name? Sy Ableman! Das klingt doch gleich ganz anders! – „An able man“, ein fähiger Mann, wird da morphologisch versprochen. Was soll man demgegenüber mit „Gopnik“ assoziieren? Abgesehen davon, dass im Russischen junge Trunkenbolde und Rabauken als „Gopniki“ bezeichnet werden? Und Larry ist ohnehin ein unmöglicher Vorname.

Da will es auch nicht allzu sehr verwundern, dass Judith Gopnik, Larrys Frau, in Sy Ableman jenen Mann sieht, mit dem sie weiterhin durchs Leben gehen möchte. Auch wenn das bedeutet, Larry zu verlassen und die gemeinsamen Kinder Danny und Sarah einer Menge schlechter Vibes auszusetzen. Allerdings denkt Sarah ohnehin die meiste Zeit nur ans Haarewaschen, und Danny hat genug mit der Vorbereitung auf seine anstehende Bar Mitzwa zu tun – sowie mit der Flucht vor einem Mitschüler, dem er Geld für Dope schuldet.

Larry dagegen trifft die Ankündigung seiner Frau, sie werde ihn zugunsten Sy Ablemans verlassen, wie ein Schlag in Kniekehlen, Nieren, Eier oder alle drei Körperteile gleichzeitig. Es haut ihn um. Und das Ende seiner Ehe ist nicht der einzige Schicksalsschlag, der ihn innerhalb nicht mal eines ganzen Tages ereilt. Nein, ganz im Gegenteil, eine Hiobsbotschaft nach der anderen jagt durch Larrys bis dato so friedvolles und normales Leben: Einer seiner Studenten versucht, ihn zu bestechen, um eine bessere Benotung zu erreichen, und ein anonymer Briefschreiber verunglimpft seinen guten Namen, um seine bevorstehende Verbeamtung zu hintertreiben – wie schon Fußballer Jürgen Wegmann anmerkte: Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu. Ein Schallplattenclub, bei dem Larry nicht Mitglied ist, will Mitgliedsbeiträge eintreiben, sein verwirrter Bruder wird von der Polizei verhaftet, sein Nachbar verschiebt die Grundstücksgrenze. Als Professor für Physik jedoch kennt sich Larry nicht nur mit Schrödingers Katze und der Heisenbergschen Unschärferelation aus, er kann auch eins und eins zusammenzählen. Und als Angehöriger des jüdischen Glaubens weiß er, in welcher Richtung er den Schuldigen an seinem Unglück zu suchen hat. Bleibt nur die alles entscheidende Frage: Warum?

„When the truth is found to be lies, and all the joy within you dies …“ (Jefferson Airplane)

Erzählt wird die Geschichte von Larry Gopniks Prüfungen und seiner Suche nach dem Grund in A Serious Man, einer komplexen Reflexion über Glaubensinhalte, religiöse Identität und Midlife Crisis, dargeboten in einer unschlagbaren Mischung aus tiefem Mitgefühl und beißendem Spott. Auf die vergnüglich-alberne Komödie Burn After Reading folgt damit erneut eine etwas ernsthaftere Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn der ganzen menschlichen Strapazen im Jammertal des irdischen Lebens. A Serious Man ist ein Film vom Kaliber No Country for Old Men: Wie dieser handelt er von todernsten Angelegenheiten – betrachtet mit unverhohlen ironischem Blick und begleitet von jenem Gelächter der Verzweiflung, das den Gottesfürchtigen angesichts der unergründlichen Wege des Herrn regelmäßig und gründlich erschüttert.

Die Coens, geboren 1954 (Joel) bzw. 1957 (Ethan) und aufgewachsen in St. Luis Park, einer jüdisch geprägten Siedlung am Rande von Minneapolis, Minnesota, siedeln die Ereignisse ihres Films im Jahr 1967 in einer vergleichbaren Suburb an. Wer will, kann in zwei Klassenkameraden Dannys, einem dunkel gelockten, eher schweigsamen Brüderpaar, die Stellvertreterfiguren der Filmemacher als Teenager erkennen. Doch nicht Kindheitserlebnisse oder die Konflikte Heranwachsender stehen im Zentrum von A Serious Man, sondern die Atmosphäre von Beschaulichkeit und Wohlgeordnetheit, die diese Vorstadtsiedlung prägt. Vielmehr: deren seismografisch nachvollzogene fundamentale Erschütterung. Genaue Milieukenntnis ist dabei die Voraussetzung für jene Gratwanderung zwischen Religions-Satire und metaphysischer Tragödie, als die sich die Coensche Erkundung einer Lebens- und Glaubenskrise darstellt. Liebevoll und detailgenau ausgestaltet ist diese Welt, in der Familienväter, Hausfrauen, Rabbis und Rechtsanwälte das Sagen und die Dinge im Griff haben. Was aber, wenn in diese Welt die Katastrophe einschlägt wie der Blitz?

Einen Großteil seiner komischen Wirkung bezieht A Serious Man aus dem routinemäßigen Umgang erklärter Problemlöser und Ratgeber mit Problemen und Ratlosigkeit. Und das Komische steigert sich ins Groteske, je dringlicher Larry Gopnik angesichts der Prüfungen, die ihn befallen, um Hilfe fleht. Nur um von Rabbis, die nicht sprechen, und Rechtsanwälten, die tot umfallen, einmal mehr im Stich gelassen zu werden.

Es ist eine hohe Kunst, zugleich die lächerliche Figur und den tragischen Helden darzustellen, doch dem renommierten Theater-Schauspieler Michael Stuhlbarg in der Rolle Gopniks gelingt der Spagat mit sehenswerter Leichtigkeit. Selbst noch in seiner dümmsten, Nicht-Begreifen ausdrückenden Miene liegt ein dringliches Bemühen um Erkenntnis, liegt die Bereitwilligkeit zu Umkehr und Einsicht, liegt existenzielle Panik. Stuhlbargs vielschichtige Darstellung wird flankiert von einem Ensemble, das mit entschlossenem Ernst noch dem lachhaftesten Regie-Einfall gehorcht und solcherart dem bitteren Grundton der Erzählung Gehör verschafft.

„I feel like the carpet’s been yanked out from under me“, klagt Larry und versteht nicht, wie ausgerechnet er all das Unglück auf sich gezogen haben soll. „I haven’t done anything“, wiederholt er wie ein Mantra. Er sucht, vergeblich, Rat bei Rabbi Scott, Rabbi Nachtner und Rabbi Marshak. Er hadert, begehrt auf, fügt sich. Wir können uns Larry Gopnik als einen modernen Hiob vorstellen. Doch wir dürfen uns den Coenschen Hiob nicht als jenen von seinem Gott geretteten Menschen denken, der schließlich mit 140 Jahren „alt und lebenssatt“ stirbt (Hiob 42,10­–17).

“Receive with simplicity everything that happens to you.“ (Rashi)

„Es war ein Mann im Lande Uz, der hieß Hiob. Der war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse.“ (Hiob 1,1) Hiob, der große Dulder des Alten Testaments, wird Opfer einer Wette zwischen Gott und Satan, deren Gegenstand die Glaubensfestigkeit des wohlhabenden Mannes aus Uz ist. Unverdientes Leiden werde Hiob, behauptet Satan, Gott abschwören lassen. Gott schlägt ein und gibt Satan freie Hand.

Im theologischen Diskurs knüpft sich an das Buch Hiob die Frage der Theodizee, also die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des von ihm zugelassenen Übels in der Welt. Hiobs Hadern mit seinem Schicksal, das in je drei Dialogen mit seinen drei Freunden Eliphas, Bildad und Zophar gestaltet wird, dreht sich um den Begriff der göttlichen Gerechtigkeit. Kritisch beleuchtet wird die fromme Annahme, dass das Leiden eine Strafe für menschliches Fehlverhalten sei. Da Hiob sich nichts hat zuschulden kommen lassen, warum also wird er von Gott bestraft?

Eben jene Frage stellt sich auch Larry Gopnik mit großer Dringlichkeit. Doch im Gegensatz zu Hiob, dem Gott schließlich aus einem „Wettersturm“ heraus seine Allmacht (und damit Willkür) erklärte und ihm für das geduldige Ertragen seiner Leiden „doppelt soviel (gab), wie er gehabt hatte“ (Hiob 38–42), lebt Gopnik in säkularisierten Zeiten und tut sich, erst recht als Physikprofessor, schwer mit der Gottergebenheit. Er begehrt zu wissen, was das alles zu bedeuten hat, und will sich nicht damit abfinden, dass es keine Erklärung gibt. „Why does he make us feel the questions, when he doesn’t give us the answers?” fragt Larry Rabbi Nachtner, und der antwortet: „We all want the answer, but Hashem (= Gott) doesn’t owe us the answer, Larry. Hashem doesn’t owe us anything. The obligation runs the other way.“

Folgerichtig bietet A Serious Man Larry Gopnik keinen Ausweg aus seinem Dilemma, sein Schicksal bleibt am Ende ungewiss. Die Brüder Coen versagen sich und ihm den wohlfeilen Trost jenes angepappt wirkenden Happy Ends, das im Alten Testament angeboten wird, und behalten den Finger auf der Wunde. In ihrer Hiob-Variante bleibt es ein zum Himmel schreiender Skandal, dass es auf die Frage der Theodizee nach wie vor keine Antwort gibt. Übertroffen allerdings wird dieser Skandal noch von der ungeheuren Unfähigkeit der spirituellen Führungskräfte, Trost zu spenden und Linderung zu schaffen. Es ist eine bittere Erkenntnis, die in diesem immer wieder so komischen Film steckt: Nicht nur von Gott verlassen ist der rechtschaffene Mensch, sondern auch von allen anderen. Da helfen keine Gebete.