Aftersun

Filmstart

Aftersun

| Susanne Jäger |
Melancholisch-sanfte Meditation über Familie, Verlust und die Neunziger

„Was dachtest du als Kind, was als Erwachsener aus dir werden würde?“ Auf diese Frage seiner 11-jährigen Tochter ist Calum, 31, nicht vorbereitet. Die beiden sehen sich nicht so oft, weil die clevere, neugierige Sophie mit ihrer Mutter in Schottland lebt, während der abgekoppelt und verloren wirkende Calum in London versucht, alles, vor allem sich selbst, zusammenzuhalten. Jetzt aber verbringen die beiden ausnahmsweise eine Woche Urlaub an der türkischen Riviera miteinander. Und sie nähern sich an, Sophie beobachtet Calum, Calum beobachtet Sophie, sie planschen im Pool der billigen Hotelanlage (die ähnlich wie der erwachsene Hauptdarsteller noch „under construction“ ist), drehen Videos mit dem Camcorder, spielen Billard und verdrehen über die Macarena-Performance am bunten Abend die Augen. So weit, so ereignisarm. Ein Alltag in den Ferien, Sophie bemerkt die Welt um sich, die Jugendlichen, die sich neckisch ins Wasser werfen und ahnt schon erwartungsvoll, dass das auch ihre Zukunft sein wird.

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Aftersun spielt in den späten 1990er-Jahren und basiert auf autobiografischen Erinnerungen der Regisseurin und Drehbuchautorin Charlotte Wells, die in Interviews erzählt, dass eigene Familienfotos und die Erkenntnis, wie jung ihr Vater aussah, ausschlaggebend für die Erzählung waren. Auch im Film ist es die erwachsene Sophie, die sich an ihren Vater erinnert und mit Abstand versucht, ihn in seiner Melancholie zu verstehen. Im Urlaub gibt Calum sich sichtlich Mühe, liebevoll und aufmerksam zu sein, verhält sich seiner Tochter gegenüber aber immer wieder verantwortungslos. Diese Atmosphäre der Intimität und der latenten Anspannung sowie allerlei popkulturelle Details der neunziger Jahre, inklusive pixeliger VHS-Ästhetik, fängt der Film wunderbar ein. Die Schauspielenden sind trotz dialogarmem Drehbuch glaubwürdig in ihren Rollen. Insbesondere die Debütantin Frankie Corio, die erst nach einem aufwendigen Casting gefunden wurde, sticht als charismatische Darstellerin hervor. Auch Ausstattung und Soundtrack sind bemerkenswert, und doch: Irgendetwas fehlt dem Film, macht ihn ziellos, vor sich hin plätschernd und schlussendlich weniger berührend als er sein möchte – und dass er dies sein möchte, merkt man ihm leider an. Oder sagen wir so: Wenn Sie gerne Sufjan Stevens hörend, traurig und unentschlossen auf ihre Kräuterteekanne (japanische Spezialanfertigung) starren, wird Ihnen dieser Film garantiert gefallen. Wenn Sie Ü27 sind, und vielleicht schon wissen, dass das Leben ein bisschen zu kurz für langwierige Verzagtheit ist, könnte Ihr Fazit anders ausfallen.