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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Filmkritik

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

| Jörg Schiffauer |
Gelungene Adaption der bekannten Roman-Vorlage

Im März 1933 findet in Deutschland die letzte Reichstagswahl statt, bei der noch mehrere Parteien antreten dürfen. Der nationalsozialistische Terror gegen alle Andersdenkenden greift zwar bereits in erschreckendem Ausmaß immer stärker um sich, doch noch hofften die Gegner der Nazis, dass der Urnengang vielleicht einen Umschwung bringt und die totale Machtübernahme durch Hitler und seine Schergen verhindert werden kann. Der Journalist Arthur Kemper (Oliver Masucci), als scharfzüngiger Theaterkritiker ebenso respektiert wie gefürchtet, setzt seine ganze rhetorische Brillanz im publizistischen Kampf gegen die bevorstehende nationalsozialistische Diktatur ein – ein in dieser Zeit bereits höchst riskantes Unterfangen, denn Kemper steht als erklärter Gegner und Jude gleichsam doppelt auf der Feindesliste der Nazis. Als er knapp vor der schicksalsträchtigen Wahl einen vertraulichen Hinweis erhält, dass seine Verhaftung unmittelbar bevorsteht, verlässt Kemper Berlin und flüchtet über Prag in die Schweiz. Dort angekommen, setzt er alles in Bewegung, um seine Familie möglichst rasch nachzuholen.

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Wenig später sehen sich auch seine Frau Dorothea (Carla Juri), die neunjährige Tochter Anna (Riva Krymalowski), der etwa ältere Sohn Max (Marinus Hohmann) der bitteren Tatsache gegenüber, dass sie ihre Heimat verlassen und ihre Freunde samt allen vertraut gewordenen Dingen zurück lassen müssen. Weil die Abreise angesichts der stetig wachsenden Bedrohung rasch und unauffällig erfolgen muss, sieht sich Familie Kemper gezwungen, nahezu ihren gesamten Besitz zurückzulassen. Gerade einmal ein Spielzeug darf eingepackt werden, weswegen Anna schlussendlich auch ihr rosa Kaninchen, das sie durch die Kindheit begleitet hat, nicht mitnehmen kann. Das geliebte Stofftier wird in den folgenden Jahren zum Sinnbild für alles, was Anna und ihre Familie bei ihrer Flucht ins Exil zurücklassen mussten.

1971 wurde „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ veröffentlicht, jener Roman, in dem Judith Kerr eindrucksvoll die Geschichte ihrer von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertriebenen Familie erzählt und der sich bald zum Jugendbuch-Klassiker entwickelte. Kerr nahm dafür die Perspektive der neunjährigen Protagonistin ein, ist Anna doch gleichsam das Alter ego der Autorin. Auch sonst werden die starken autobiografischen Züge deutlich. Hinter der Figur von Annas Vater verbirgt sich – kaum camoufliert – kein Geringerer als der bekannte Schriftsteller und Theaterkritiker Alfred Kerr. Caroline Link, die nun für die Inszenierung der Verfilmung von Judith Kerrs Roman verantwortlich zeichnet, hat sich im Verlauf ihrer Karriere in Nirgendwo in Afrika – ausgezeichnet mit dem Oscar als Bester fremdsprachiger Film – bereits versiert mit dem Themenkomplex Emigration in der Zeit des NS-Regimes auseinandergesetzt. Link setzt ihre Adaption von „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ mit jenem Maß an empathischer Präzision in Szene, das notwendig ist, um einen Eindruck davon zu bekommen, was die erzwungene Emigration eigentlich mit Menschen anstellt. Dabei scheint es das Schicksal mit Familie Kemper alias Kerr zunächst gar nicht so schlecht zu meinen. In der Schweiz werden sie recht freundlich aufgenommen, doch zu den Schwierigkeiten, sich an die alltäglichen Kleinigkeiten – wie die Eigenheiten des Schwyzerdütsch –, die eine neue Umgebung mit sich bringt, erst gewöhnen zu müssen, gesellt sich bald schon das immer wiederkehrende Bewusstsein, was man alles verloren hat. Zu diesem (kulturellen) Identitätsverlust kommen nach und nach auch ganz handfeste Existenzängste, denn Arthur Kempers Absicht, weiterhin publizistisch gegen den Faschismus zu kämpfen, wird in der um strikte Neutralität bemühten Schweiz nicht so gern gesehen. Doch auch nach dem Umzug nach Paris bleibt die Lage von Familie Kemper prekär – der in Deutschland hoch angesehene Theaterkritiker muss für einen buchstäblichen Hungerlohn schreiben, die Kinder sind mit dem Erlernen einer völlig neuen Sprache konfrontiert, Mutter Dorothea versucht, trotz erdrückender materieller Nöte, den Familienalltag zu organisieren. Dass das Gift des Antisemitismus auch in Paris immer wieder hervorkommt, macht die Lage noch bedrückender. Und über all dem beginnt die Bedrohung durch den Nationalsozialismus seine Schatten über ganz Europa zu werfen.

Caroline Link verzichtet auf plakative dramaturgische Effekte, doch es ist gerade diese ruhige, genaue Form, die die Eindringlichkeit von Als Hitler das rosa Kaninchen stahl trefflich zur Geltung bringt und dabei die Gefühlslage der Protagonisten, die zwischen Hoffnungslosigkeit, aufkeimender Verzweiflung und der überlebensnotwendigen Zuversicht schwankt, stets gut ausbalanciert. Die Stimmigkeit der Inszenierung ist zu einem nicht geringen Teil auch der Leistung des klug besetzten Ensembles geschuldet, aus dem Riva Krymalowski in der Rolle der Protagonistin Anna noch hervorzustechen versteht.