Filmkritik

Ambulance

| Marc Hairapetian |
Schneller, härter, lauter: Bei aller Schwarzweiß-Zeichnung kann man sich dem Sog von Michael Bays neuem Action-Thriller nicht entziehen

Manchmal geschehen doch noch Zeichen und Wunder – und das sogar in Hollywood: Die selbsternannte „Traumfabrik“ produziert seit Jahren fast vorrangig Superhelden-Streifen oder Remakes asiatischer, lateinamerikanischer oder europäischer Filme. Letztgenannte Adaptionen sind meist das Eintrittsgeld nicht wert. Nicht so im Fall von Michael Bays neuem Action-Thriller Ambulance, der Laurits Munch-Petersens auch nicht gerade unspektakuläres dänisches Original aus dem Jahr 2005 gekonnt auf die Spitze treibt.

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Mit dem Verzicht auf seelenlose CGI-Gewitter wie der fünfteiligen Transformers-Reihe (2007–2017) zugunsten von Echtzeit-Spannung und einer im Wortsinn entfesselten Kamera hat sich der mittlerweile 57-jährigen Ex-Werbeclip- und Musikivdeo-Filmer wieder in die erste Liga der ambitionierten Unterhaltungs-Regisseure gebeamt. Dabei war 2015 zuerst Phillip Noyce für die Inszenierung vorgesehen, dann Navot Papushado und Aharon Keshales. Den Zuschlag bekam Ende 2020 schließlich der Action-Veteran, der einst für Armageddon – Das jüngste Gericht (1998) und Pearl Harbor (2001) für die Goldene Himbeere als „Schlechtester Regisseur“ nominiert wurde und die Vorbehalte gegen ihn mit einem bemerkenswerten Statement konterte: „Ich mache Filme für Jungs im Teenageralter. Oh je, was für ein Verbrechen!“

Die Story ist – wie immer bei Bay – so simpel wie faszinierend: Afghanistan-Veteran Will Sharp (Yahya Abdul-Mateen II) benötigt dringend Geld für eine experimentelle Operation seiner Frau Amy (Moses Ingram). Als er seinen älteren Adoptiv-Bruder Danny (Jake Gyllenhaal) um ein Darlehen bittet, zieht ihn dieser in einen 32-Millionen-Dollar-Bankraub hinein. Natürlich geht der Überfall schief. Die beiden ungleichen Brüder können in einem Krankenwagen aus dem Parkhaus der Bank fliehen, während der Rest der Gang bei einem Shootout mit dem Los Angeles Police Department draufgeht. In der mit medizinischen Apparaturen vollgestopften Karre sind sie allerdings nicht allein: Die Sanitäterin Cam Thompson (Eiza González) versucht gerade, dem von ihnen angeschossenen Streifenpolizisten Zach (Jackson White) das Leben zu retten. Die turbulente Verfolgungsjagd, die sich die Gangster mit den Cops liefern, reicht Bay selbstverständlich nicht: Cam muss hinten im Wagen bei voller Fahrt die Kugel aus Zach herausoperieren. Per Videoschaltung auf dem Smartphone geben ihr dabei zwei blasierte Ärzte von einem Golfplatz aus Anweisungen …

Solche eingestreuten Gags konterkarieren den amerikanischen Traum. Logiklöcher und Schwarzweiß-Zeichnung beim Brüderpaar im Wortsinn hin oder her, entwickelt der Reißer einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Bays Devise lautet: schneller, härter, lauter! Dagegen sehen filmische Adrenalin-Kicks wie Speed (1994) oder Crank (2006) schon alt aus. Erstaunlicherweise finden Jake Gyllenhaal und Yahya Abdul-Mateen II bei allen Rollenklischees immer wieder differenziert-berührende Momente, um ihr auf die Bewährungsprobe gestelltes enges familiäres Verhältnis zu zementieren. Der Hingucker ist – neben der schönen Mexikanerin Eiza González – allerdings Michael Bays eigener Hunde-Titan, den er in einer Nebenrolle wirkungsvoll einsetzt. Der durchtrainierte Filmemacher mit der blonden Mähne ist eben ein Mann der Widersprüche, die sich bekanntlich anziehen. Dazu passt, dass er die Pressekonferenz im Berliner Hotel The Ritz-Carlton kurzerhand in einen „Filmtalk“ mit der Moderatorin umwandelt und keine Fragen der Journalisten zulässt, nach der Veranstaltung aber, wie auch Hauptdarsteller Gyllenhaal, mit ihnen für Fotos posiert und bereitwillig über sein Schaffen Auskunft erteilt.