ray Filmmagazin » Themen » Die Kunst des (Selbst)Betrugs

American Hustle

Die Kunst des (Selbst)Betrugs

| Oliver Stangl |
Auf einem realen Polit-Skandal basierend, lässt David O. Russells starbesetzte schwarze Gaunerkomödie die siebziger Jahre wiederauferstehen.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, heißt es in den „Minima Moralia“ des deutschen Philosophen Theodor W. Adorno. Obgleich dem bekennenden Popkulturverächter der mit allerlei Seventies-Hits unterlegte American Hustle – so lässt sich zumindest mutmaßen – wohl eher nicht gefallen hätte, könnte diese Sentenz, frei interpretiert, durchaus als Motto für David O. Russells Mix aus Kriminaldrama und schwarzer Komödie herhalten. Denn Ambitionen haben alle Figuren im Film, Selbst- und Fremdwahrnehmung klaffen jedoch mitunter weit auseinander: Fast alle geben vor, etwas zu sein, was sie letztlich doch nicht sind.
Ambtioniert ist nicht zuletzt der Film selbst: Nachdem Russell mit Werken wie The Fighter das Genre des Boxerfilms oder Silver Linings Playbook das der romantische Komödie wenn nicht dekonstruiert, so zumindest unterlaufen hatte, ist es nun das Gangsterdrama Marke Scorsese, das sich der Filmemacher vornimmt. Um den großen Erwartungen gerecht zu werden, besetzte Russell American Hustle denn auch mit jenen Schauspielerinnen und Schauspielern, die für seine vorangegangenen Filme entweder „nur“ Oscar-nominiert waren (Amy Adams, Bradley Cooper, Robert De Niro) oder die Trophäe gleich mit nach Hause nehmen konnten (Christian Bale, Jennifer Lawrence). Gnädigerweise holte er mit Jeremy Renner auch noch einen Schauspieler mit an Bord, der für Leistungen in den Werken anderer Regisseure zwei Nominierungen verbuchen konnte. Diese geballte Konzentration von Talent hat sich zumindest über weite Strecken ausgezahlt: American Hustle macht doppelbödigen Spaß, konnte bei den Golden Globes bereits drei Trophäen abräumen und ist für zehn Oscars nominiert.

Die wilden Siebziger

„Some of this actually happened“, verkündet ein Insert zu Beginn. Lose auf der in den späten siebziger Jahren durchgeführten FBI-Operation „Abscam“ basierend, die wegen ihrer Offenlegung von politischer Korruption einen Skandal auslöste, erzählen Russell und sein Ko-Drehbuchautor Eric Singer mit fiktionalen Mitteln von Charakteren, die ebenso schillernd wie erbärmlich, so romantisch wie egoistisch sind. Nach einem Einstieg in medias res – einem Politiker soll in einem videoüberwachten Hotelzimmer ein Geldkoffer übergeben werden – zeigt eine Rückblende, wie der Ganove Irving Rosenfeld (Bale), der zur Tarnung seiner Betrügereien eine kleine Kette an Reinigungen in New York betreibt, auf einer Party die erfolgshungrige Sydney Prosser (Adams) kennenlernt und sich in sie verliebt. Unter dem kriminellen Künstlernamen Lady Edith Greensley unterstützt sie Irving bei der Ausbeutung von Menschen, die verzweifelt auf der Suche nach einem Kredit sind und gegen eine nicht rückerstattbare Gebühr auf vorgebliche Finanzkontakte des Pärchens hoffen.
Die Dollars kommen in großen Mengen daher, und das Leben von Irving und Sydney könnte schön sein – würde sich nicht eines der vermeintlichen Opfer als FBI-Agent entpuppen. Dieser Richie DiMaso (Cooper) verhaftet Edith  (Irving riecht den Braten in letzter Sekunde und verweigert die Annahme eines inkriminierenden Geldkuverts) und knüpft ihre Freilassung an eine Bedingung: Sie und Irving sollen ihre zwielichtigen Talente den Behörden zur Verfügung stellen und bei der Verhaftung einiger Krimineller behilflich sein. Widerwillig geht Irving auf den Deal ein. Und sein Widerwille steigt noch, als DiMaso immer größere Operationen angehen will: Unter einer Anklage von Spitzenpolitikern wie Carmine Polito (Renner), dem Bürgermeister von Camden und anderer Politiker will er es nicht mehr tun. Also geben sich Irving und Sydney als Vertraute eines fiktiven Scheichs aus, der vorgeblich in Spielcasinos investieren will. Als man dadurch in unmittelbare Nähe der Mafia gerät, will Irving aussteigen, doch DiMasos zunehmender, nicht zuletzt von Koks unterstützter Größenwahn scheint keine Grenzen mehr zu kennen. Dazu kommt noch die persönliche Ebene: Obwohl in Sydney verliebt, kann sich Irving nicht von seiner unter allerlei Neurosen leidenden Frau Rosalyn (Lawrence) trennen, mit der er einen Sohn hat. DiMaso, die graue Maus mit Glamourallüren, entwickelt unterdessen Gefühle für Sydney, die den Avancen des Ermittlers gegenüber auch nicht abgeneigt zu sein scheint. Zusätzlich plagt Irving das schlechte Gewissen, weil er für Carmine, der die Investitionen des Scheichs nicht zur eigenen Bereicherung, sondern zum Wohl der Gemeinde nutzen will, freundschaftliche Gefühle entwickelt. Das Geflecht aus Begehren, Loyalität und Kriminalität wird also zunehmend unübersichtlich und gefährlich.

Original und Fälschung

Die siebziger Jahre mit ihren modischen Experimenten in exzessiver Selbstdarstellung zwischen tief ausgeschnittenen Catsuits und bunten Polyesterhemden waren eine gute, zur Thematik des Films passende Wahl: Stark ist etwa die dialoglose, motivsetzende Einstiegsszene, in der ein glatzköpfiger Irving mittels Toupet, Klebstoff und Haarspray die Illusion von dichtem Haupthaar erzeugt. Bale gelingt eine bei aller Reduziertheit trockenhumorige Darstellung – menschlich wird sein Irving vor allem in jenen Szenen, die er gemeinsam mit Jeremy Renner (der seine Haartolle mit großer Würde trägt) hat. Der Moment, in dem Carmine seinem neuen Freund einen „science oven“ (sprich: Mikrowelle) schenkt, ist die vielleicht berührendste des Films. Hervorragend die beiden Damen: Während Adams in der ernsteren Rolle der Sydney glaubhaft die Zerrissenheit zwischen Irving und DiMaso zum Ausdruck bringt, überzeugt Lawrence als Rosalyn („the Picasso of passive-aggressive karate“, so Irving) mit humoristischem Talent, egal ob sie trotz ausdrücklicher Warnung Alufolie in den „science oven“ gibt und dadurch fast die Wohnung abbrennt oder Irving durch ihr Ausplaudern von Interna fast zum Opfer der Mafia macht. Coopers DiMaso dagegen bleibt eine vergleichsweise blasse Figur, auch wenn es durchaus vergnüglich ist, ihn als Muttersöhnchen zu sehen, das seine Haarpracht mittels Lockenwicklern generiert. Während die Schauspieler also großteils brillieren und der Film mit Ausstattung und Kostüm, Humor und Spannung unterhält, kann man American Hustle eine gewisse Tendenz zum Überdeutlichen anlasten. So zeigen sich als Hommage verstehbare Anspielungen auf Scorseses Goodfellas nicht nur in gewissen Kamerafahrten, einem De-Niro-Cameo (nach Silver Linings Playbook ist dies seine zweite Zusammenarbeit mit Russell) und einem treibenden, manchmal ironischen Soundtrack, sondern auch im Einsatz von Voice-over. Anders als bei Scorsese, der den Gangster Henry Hill (Ray Liotta) über sein Schaffen reflektieren ließ, ist es hier jedoch nicht eine Stimme, sondern gleich drei. Voice-over gilt zwar mittlerweile nicht mehr als die große Sünde, doch wäre bei American Hustle diesbezüglich weniger mehr gewesen.
Außerdem wird es mitunter allzu offensichtlich: Etwa als Irving DiMaso in einem Museum auf einen Rembrandt hinweist. Der Agent zeigt sich zunächst beeindruckt, doch Irving behauptet, dass es sich um einen Fake handle. „People believe what they wanna believe.“ Und als ein Irving-Voice-over an anderer Stelle informiert: „We are always conning other people. We even con ourselves“, möchte man antworten: „Thanks, I already got that.“ Zudem geht angesichts der vielen Vorgänge gelegentlich der Fokus auf die Figuren verloren. Doch sind diese Schwächen im Vergleich zum Gesamteindruck, den der Film hinterlässt, läss-lich; American Hustle verfügt über genügend Charme, dem man auf ähnliche Weise verfallen kann wie ein verzweifelter Kreditnehmer dem Charme einer falschen britischen Lady. So macht die Illusionsmaschine Hollywood Spaß.