Animal

Filmstart

Animal

| Jakob Dibold |
Kater-Party, Party-Kater / sie schuftet täglich desperater / Anlass zur Sorge scheint gegeben / doch eine Katze hat neun Leben

 

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Schon sieben Jahre sei sie da, mit der Zeit im Hotel nebenan neun, mit den Gelegenheitsengagements davor noch ein paar mehr, zählt Animateurin Kalia ihrer neuen Kollegin auf. Kalia gilt als beste Tänzerin und Fix-Größe in diesem Team der Bespaßenden, die sich im Dienste der All-inclusive-Hotelgäste auf einer griechischen Insel dem konstanten Lächeln und der kompromisslos guten Laune verschreiben. Das Angebot erstreckt sich von Bingo-Alberei oder Langsamtanz-Speeddating im Pool über choreografierte Kostümshows im Hauptabend- bis hin zu völlig enthemmter Disko-Action im Allnachtprogramm.

Wird die anfangs schüchterne junge „Neue“, Eva, zunächst als zweite tragische Hauptfigur neben der erfahrenen Kalia angebahnt, scheint sie den Vergnügungs-Schichtbetrieb bald vollends zu bejahen. Obwohl sie konkret erfährt, wie sehr die wie selbstverständliche sexuelle Übergriffigkeit der männlichen Touristen in den Arbeitskollegen fortwirkt, nämlich als permanente Stimmungslage physischer Grenzüberschreitung. Kalia hingegen dürfte Evas hintergedankenlose Frage nach der Dauer ihres Hier-Seins Anstoß zum Grübeln gegeben zu haben: Ihre jahrelang eingeübte Routine aus Räuschen, angemessen ungebundenem Kollegen-Sex und Übernächtigkeit nähert sich in dieser Saison rasant einer Eskalation. Kalia geht es nicht gut, ihre Verletzungen mentaler wie körperlicher Natur sind Wegmarken eines selbstgefährdenden Abstiegs in das zig Pegel tiefe Rabbit Hole der unermüdlichen Unterhaltungsarbeit, der betroffen macht – und zwar umso stärker, da die von Dimitra Vlagopoulou mit schwindelerregender Intensität dargestellte Protagonistin (belohnt mit dem Preis für die beste Schauspielerin in Locarno) dem gar so wenig entgegenzusetzen vermag. Und weil Kalia trotz vermeintlich ausreichender sozialer Einbettung in der Gruppe letztlich unglaublich allein ist.

Bis zum Schlüsselauftritt von Voodoo Jürgens in der Rolle eines österreichischen Touristen und einem Ausbruchsversuch Kalias aus ihrer Misere lässt Filmemacherin Sofia Exarchou in ihrem zweiten Langspielfilm viel Zeit passieren, vor allem die Inszenierung des von Animationsritualen getakteten Joballtags nimmt in Animal viel Raum ein. Im Gesamten zeichnet sie mit diesem selbstbewussten Anti-Feelgood-Movie zum einen ein ernüchterndes Sammelporträt der hässlichsten Fratzen des Phänomens Cluburlaub, zudem – wie währenddessen darin schleichend – das Bild einer fragmentierten Frau, die mit Mühe einer großen Selbstlüge auf die Schliche kommt. In Kalias Signature-Karaoke-Song ist diese immer schon festgeschrieben gewesen: „ ì / if you stay, you can’t go wrong“.