Filmkritik

Belfast

| Pamela Jahn |
Kenneth Branagh blickt auf seine frühe Kindheit zurück

Bei Kenneth Branagh muss man immer ein bisschen auf der Hut sein. Wenn es darum geht, Shakespeare auf der Bühne zu inszenieren, kann ihm so schnell keiner etwas vormachen. Aber im Kino, da will es manchmal nicht richtig klappen. Natürlich gibt es Ausnahmen, wie die unter seiner Regie durchaus gelungene Neuauflage von Cinderella für Disney vor sechs Jahren oder seine als 3D-Spektakel inszenierte Marvel-Comic-Verfilmung Thor (2011). Aber was kann man erwarten, wenn Branagh plötzlich in der eigenen Vergangenheit nach Inspiration für einen neuen Filmstoff sucht?

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Belfast ist das Ergebnis dieses Reflexionsprozesses, denn in der nordirischen Hauptstadt wurde der britische Schauspieler und Filmemacher am 10. Dezember 1960 als eines von drei Kindern in eine Protestantenfamilie hineingeboren. Seine frühe Kindheit verbrachte er auf den Straßen von Tiger’s Bay, einem der Krisenherde der Unruhen im Nordirlandkonflikt seit den sechziger Jahren, an die er sich jetzt in gestochenem Schwarz-Weiß auf der Leinwand erinnert. Als wir in die Geschichte einsteigen, ist es August 1969 und in dem protestantischen Viertel, das hier unter Beschuss steht, sind die wenigen katholischen Nachbarn, die hier noch leben, längst nicht mehr willkommen. Molotow-Cocktails setzen ganze Straßenzüge in Brand. Auch der neunjährige Buddy (Jude Hill) erfährt die Gewalt, die plötzlich um ihn schlägt. Er sieht die alarmierenden Nachrichten im Fernsehen, bewaffnete Männer auf Barrikaden, belauscht seine Eltern (Caitríona Balfe, Jamie Dornan) und Großeltern (Judi Dench, Ciarán Hinds) bei erhitzten Gesprächen, und kann doch nicht verstehen, warum seine Familie auf einmal aus der geliebten Heimat wegziehen soll. Immerhin geht sein Alltag zwischen Modellautos, Kinofilmen und erster Liebe für ihn weiter wie zuvor.

Branagh beschreibt die Zeit, bevor er mit seinen Eltern ins englische Berkshire übersiedelte, in monochromen Bildern und einem Hauch von Technicolor, der die frühe Leidenschaft des Regisseurs für Hollywood reflektiert. Es ist vor allem eine Welt voller Fantasie und Abenteuer, die hier das harte Arbeitermilieu inmitten der brodelnden Auseinandersetzungen charakterisiert, anders als etwa in den Filmen von Ken Loach, bei dem alle Hoffnung stets von vornherein verloren scheint. Aber muss eine weniger brutale Sicht auf die Vergangenheit unbedingt schlecht sein? Für Branagh, der mit Kinderaugen zurückschaut, kann es nur diese Perspektive geben. Sie passt zu ihm, zu seinem Kino, seinem sympathischen Gemüt. Aus dem Blickwinkel betrachtet, ist auch Belfast ein stimmiger Film. (Pamela Jahn)