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Berlinale – Malen mit Licht

Berlinale - Malen mit Licht

| Jörg Becker |

„Light and the Gloom of the Light. Gloom and the Light of That Gloom“: Die Berlinale-Retrospektive „Ästhetik der Schatten“ widmet sich dem filmischen Licht.

Jedes Licht wirft einen Schatten. Wo Schatten ist, da muss auch Licht sein. Der Schatten ist geheimnisvoll, und das Licht ist Klarheit. Schatten verbirgt, Licht enthüllt. (Das ist die ganze Kunst – zu wissen, was man enthüllt und was man verbirgt, in welchem Maße, und wie man das tut.) Josef von Sternberg in seiner Autobiografie „Fun in a Chinese Laundry“ (deutsch: „Das Blau des Engels “)

„Filmisches Licht“ – in diesem Ausdruck ist bereits angelegt, dass der Faktor Licht als Element der Kinematografie schlechthin hier nicht mehr lediglich Beleuchtung ist, Voraussetzung des Sichtbarmachens, im Dienst „reiner Abbildung“, sondern schon als Gestaltungsmittel zur Geltung gelangt. In den Anfangsjahren des Films bedeutete Beleuchtung, eine Szene möglichst hell und gleichmäßig auszuleuchten, damit alles gut erkennbar sei, Licht war wesentliche, zur Aufnahme notwendige Bedingung, gleichsam deren Energie – „Man hielt sich in einem ganz mechanischen Sinne an die Aufgabe bloßer dokumentarischer Bestandsaufnahme und sprach von einem Kunstfehler, wenn sich irgendein Einfluss von Aufnahmefaktoren auf den Gegenstand bemerkbar machte“, so Rudolf Arnheim („Film als Kunst“, 1932) über die Ausgangslage der Lichtdramaturgie.
Anstelle des Lichts als bloßer notwendiger Bedingung der fotografischen Aufnahme trat dessen bewusste Setzung, gefolgt von der Reflexion jener Bedingungen, unter denen fotografische Reproduktion dem Abgebildeten gegenüber treu sein kann; Lichtsetzung avancierte zum Mittel, das dem Aufnehmenden malerisch-analoge Gestaltungsmöglichkeiten bot. Wie sehr auch inspiriert von Realszenerien und ihrem gegebenen Naturlicht, emanzipierte sich der Film von den Abhängigkeiten vorgefundener Lichtwerte on location. „Beleuchtungsstrategien“, die sich in den zwanziger und dreißiger Jahren entwickelten, so will die Retrospektive veranschaulichen, haben sich seitdem – in Hollywood, in Europa und Japan – von der bloßen Ausleuchtung, vom total illuminierten Set weitgehend befreit. Es gilt, den filmästhetischen Schub einer „Ästhetik der Schatten“ nachzuvollziehen, der sich unter wechselwirksamen künstlerischen Einflüssen auf der Leinwand durchsetzte.

Die schwarz-weiße Palette

Die Bereicherung der Bildästhetik durch Licht formte nicht nur Leinwandikonen aus, sondern führte auch dazu, dass Filmgenres hieraus eigenständige, unterscheidbare Stilmittel entwickelten. So macht die Retrospektive an Beispielen des Kriegsfilms (etwa Air Force, 1943, Howard Hawks, in dem die Arbeit einer Bomberbesatzung bei Nacht dargestellt wird, oder Westfront 1918, 1930, G.W. Pabst: das Dunkel der Unterstände und Grabenkämpfe in Filmen über den Ersten Weltkrieg) dessen Verwandtschaft in Sachen Licht-und-Dunkel-Arrangement mit deutschen Straßenfilmen wie Die freudlose Gasse (1925, G.W. Pabst), US-Gangsterfilmen (wie Underworld, 1927, Josef von Sternberg) oder M (1931, Fritz Lang) und den in den zwanziger Jahren populären jidai-geki – Historienfilmen aus der vormodernen Periode Japans, vor 1868 – deutlich. Am Beispiel Citizen Kane (1941, Orson Welles) zeigt sich, dass viele der bis dahin erprobten Beleuchtungstechniken in diesen Film eingegangen sind. Citizen Kane stellt wohl so etwas wie die Vorstufe einer uneingeschränkten Verfügbarkeit über die „schwarz-weiße Palette“ dar, zu deren weiteren Musterbeispielen hier La Belle et la bête (1946, Jean Cocteau), Rashomon (1950, Kurosawa Akira) oder The Grapes of Wrath (1940, John Ford) zählen.
Zwanzig Jahre nach der Erfindung des Kinematografen begann sich der Einfluss von Malerei und Fotografie im Filmbild geltend zu machen; Lichtsetzung modellierte die Szene, arrangierte das Dunkel, verfremdete, distanzierte  Gesichter zu Landschaften, mystifizierte Morphologien des Bildausschnitts, sie ließ Gestalten aus Schattenräumen hervortreten, kultivierte die Silhouette, den Schattenriss in Gegenlicht, verlieh den Körpern Plastizität und brachte die Kunst des Low-Key, das jedweder gleichmäßig sichtbarmachenden Ausleuchtung entgegenstehende Andere ins Spiel (als frühe Beispiele etwa: Haevens Nat/Die Nacht der Rache, 1916, Benjamin Christensen, oder The Cheat/Das Brandmal der Rache, 1915, Cecil B.DeMille). All das ging einher mit dem kontrollierten Lichteinsatz in ersten abgeschlossenen „Dark Studios“ in den USA. Ende der zehner Jahre strahlten schon „amerikanische Sonnen“ und deutsche Kohlebogenlampen in den hiesigen Studios. Dieser veränderten Arbeitsweise mit Licht in Deutschland ab der Zeit des Ersten Weltkriegs geht der Filmtechnikhistoriker Ralf Forster nach.

Let Us Now Praise Famous Men

Aus den eigenen Berufserfahrungen und reichhaltigen persönlichen Interviews mit bildästhetischen Pionieren, Regisseuren wie Josef von Sternberg und Clarence Brown, den Kamerakünstlern Charles Rosher oder William H. Daniels u.a. schöpft der Katalogbeitrag „Fotografisch denken. Amerikanische Kameramänner in der Stummfilmzeit“ von Kevin Brownlow (Autor u.a. von „The Parade’s Gone By“, 1964, oder „The War, the West and the Wilderness“, 1979), inzwischen als Filmhistoriker, Filmemacher und Restaurator selbst eine Legende.
Der US-amerikanischen Kameramännern der Stummfilmzeit gewidmete Text steckt voller Insidergeschichten von Ort und Stelle, erkenntnisreiche Anekdoten, Filmgeschichte als Autobiographie persönlicher Begegnungen. Viel Bewunderung ist im Spiel für außerordentliche Leistungen, Erfindungen, Bildlösungen – etwa Billy Bitzers Dreh einer der nächtlichen Schlachten in Babylon für Intolerance (1916, D.W. Griffith), berichtet vom damaligen Assistenten, Karl Brown: „Ich sah zu, wie Bitzer über das gesamte babylonische Set kroch und die Leuchten so platzierte, dass sie die Kamera nicht blendeten. Es war ein heißer, unglaublich heller Nachmittag. Woher wusste er, wo sie aufgestellt werden mussten? Nun. Die Antwort lautete: Er wusste es nicht, er musste es irgendwie herleiten. Schließlich wurde es also dunkel. Alles war vorbereitet. Geprobt war schon – es war die Wiederholung einer Szene, in der Soldaten die Mauern stürmten und die wir schon an diesem Nachmittag gedreht hatten. Er sagte: ‚Steck sie an!‘ Und kleine Lichter flammten auf, eines nach dem anderen. Plötzlich ging das ganze Ding an, es wurde taghell, jeder Schatten vor einer Lichtquelle, jedes noch so kleine Detail sichtbar. Es war das Großartigste, was ich je gesehen hatte, und es war alles in der Theorie bei Tageslicht installiert worden, ohne einen einzigen Anhaltspunkt.“
Brownlow geht den künstlerisch-handwerklichen Genealogien nach, Meister-Assistenten-Verhältnissen, modifizierten Traditionslinien, als Sammler macht er Filmentdeckungen. Von Maurice Tourneur gelangt er zu dessen Assistenten Clarence Brown, dem Lieblingsregisseur Greta Garbos (sieben gemeinsame Filme), dessen „weiches, natürliches, perfekt reproduziertes Tageslicht“ er Jahrzehnte später bewunderte. Ausführlich schildert er eine Begegnung mit Josef von Sternberg, als ihm der Meister eine Demonstration seiner Kamera-Licht-Strategie zuteilwerden ließ – „Er nutzte eine normale Arriflex-Kamera und ein paar ganz gewöhnliche Studiolampen, die er in überraschenden Positionen platzierte. Das Führungslicht, versehen mit Metallgaze und einem Schirm, um den Lichteinfall zu steuern [Flag], wurde hoch über Alisons [Brownlows Freundin als Dietrich-Double, J.B.] Stirn installiert; ein kleiner Strahler wurde auf die Wand gerichtet.“ Man war sich einig, bei diesem lapidaren Umgang mit zwei Lampen und einem Scheinwerfer gerade Zeuge der Einfachheit eines Genies geworden zu sein. Überdies nennt Brownlow John F. Seitz, den Kameramann von Billy Wilders Double Indemnity, 1944, und Sunset Boulevard, 1950, als Avantgardisten des Low-key, der schon mit seiner Lichtgestaltung bei The Horsemen of the Apocalypse (1921, Rex Ingram) seine eingehenden Kenntnisse der Malerei Rembrandts unter Beweis gestellt hatte.
Der Kameramann Charles Rosher, berühmt für die Glamour-Fotografie von Mary Pickford, wurde 1929 zusammen mit Karl Stuss für die Arbeit an F.W. Murnaus Sunrise: A Song of Two Humans (1927), insbesondere für die bewegliche Kamera und die Gestaltung des Zwielichts, mit dem ersten Kamera-Oscar ausgezeichnet. Er war vordem bei den Dreharbeiten zu Murnaus Faust (1926) in den Studios der Ufa-Babelsberg als „Beleuchtungsberater“ tätig gewesen. Die mit der Kleinbildkamera während der Filmaufnahme gemachten „Momentfotografien“ des Standfotografen Hans Natge, von denen der Katalog Proben enthält, Fotos, deren Abzüge in der Feinheit ihrer Grauwerte an Kohlezeichnungen erinnern, gehören wohl zu den Schätzen des Fotoarchivs der Deutschen Kinemathek.
„Offen und gern will ich bekennen“, so Rosher in einem Interview mit der „Deutschen Filmwoche“ 1926, „dass Leute wie Fritz Lang, Carl Hoffmann, F.W. Murnau und Karl Freund, E.A. Dupont und wie sie alle heißen, uns bewiesen haben, dass wir von den Deutschen eine gewaltige Menge zu lernen haben, vielleicht sogar noch mehr, als jene von Hollywood gelernt haben.“ Das war mehr als nur Artigkeit gegenüber der Ufa und jenem Regisseur, mit dem er 1927 für die Fox den Film Sunrise drehen sollte. Brownlow benennt Nachahmungen des Murnau-Stils von John Ford oder Frank Borzage und hebt schließlich den Kameramann von Erich von Stroheims The Wedding March (1928), Hal Mohr, heraus. Dieser berichtete über eine zehnminütige Abfolge kontinuierlicher Überblendungen, die den Zuschauer durch alle Vorgänge der Hochzeit in der Kirche führte: „Ich sollte die nächste Kassette mit der letzten Einstellung beginnen und dann auf die folgende Einstellung überblenden.“ Die Sequenz „begann rund um den Altar des Stephansdoms, ging über die Fenster, die Heiligenfiguren, die tropfenden Kerzen, den alten Priester, das Weihwasser… Und wir endeten mit einer Nahaufnahme von Fay Wray im Beichtstuhl… Ich habe keine Ahnung, was aus der Sequenz geworden ist, denn sie war für den fertigen Film zu lang.“

Lob des Schattens

Den Ausgangspunkt für das diesjährige Berlinale-Retrospektive-Thema, konzeptuell begleitet vom Museum of Modern Art, bildete die umfassende Studie „The Aesthetics of Shadow. Lighting and Japanese Cinema“ (2013) des in Oregon lehrenden Daisuke Miyao. Er entdeckte ein biografisches Missing Link in Sachen Filmästhetik zwischen den USA und Japan, Henry Kotani, der in Hollywood als Kameramann bei Cecil B.DeMille tätig, nach seiner Rückkehr aus Hollywood zur Produktionsfirma Sochiku 1920 die Kollegen in die Techniken amerikanischer Lichteffekte einweihte. Die Retrospektive zeigt Kotanis Regiearbeit Nasake no hikari (Das Licht des Herzens, 1926). Daisuke Miyao geht der japanischen Übernahme der Hollywood-„Drei-Punkt-Beleuchtung“ nach (einer Kombination aus Führungslicht, Aufhell-Licht und schwachem Gegenlicht – um 1920 in Japan eingeführt, anstelle des bis dahin vorherrschenden Prinzips „Klarheit zuerst“ – gemeint war: Helligkeit, was dem Stil des Kabuki-Theaters entsprach.), er schildert die dortige Bewunderung für Murnau und Sternberg (The Docks of New York, 1928) und beschreibt den sich aus dieser Melange entwickelnden eigenen Lichtstil, begründet aus einer japanischen Tradition der Schatten-Inszenierung. Glanzlichter auf Augen, Haaren, das Blitzen von Schwertern – zu denken an „Swashbuckler“-Filme mit Douglas Fairbanks Sr. – hatten auch im Theater Vorbilder. Das Aufblitzen des Schwerts der Samurai im fahlen Mondlicht, ein unheilverheißendes Aufleuchten der Motive, nimmt ein Eigenleben von Dingen, ein inneres Leben vorweg.
Die Beleuchtung, etwa in Filmen von Kinugasa Teinosuke, zum Beispiel Jujiro (Im Schatten des Yoshiwara, 1928), die auch in Europa zur Aufführung kamen, wies Parallelen mit der Filmbeleuchtungskunst des Weimarer Straßenfilm-Genres auf. Von dem wichtigen Regie-Exponenten im Umgang mit Licht in Japan wird auch jener ursprünglich dreiteilige Film Yukinojo henge (Yukinojos Verwandlung, 1935-36/1952) als Kompilation im Rahmen der Retrospektive 2014 gezeigt werden, mit dem das Star-Image für den Schauspieler Hayashi Chojiro/Hasegawa
Kazuo über eine japanisierte Form des modellierenden Lichts im Hollywoodstil geschaffen wurde.
Mit Glamourbeleuchtung machte man Hayashi Ende der zwanziger Jahre zur Ikone der Jidai-geki-Historiendramen. Es war ein grausames Attentat auf das Gesicht des Stars, das 1937 einen Wendepunkt in der filmischen Beleuchtung in Japan markieren sollte. Fortan benutzte der Narben zurückbehaltende Schauspieler seinen bürgerlichen Namen, Hasegawa Kazuo, und statt Glamour-Beleuchtung dominierte nun der Schatten sein Leinwand-Image und kreierte zugleich eine neue Tendenz im japanischen Kino. Kameraleuten und Kritikern des Landes war Josef von Sternbergs Bildästhetik, das Low-Key-Lighting  von Lee Garmes und Bert Glennon Vorbild, aber aus Einsicht in die Unerreichbarkeit vergleichbarer ästhetischer Ansprüche wandten sie sich dem „Lob des Schattens“ (Tanizaki Jun’ichiro) zu. Das sogenannte goldene Zeitalter des japanischen Kinos, besonders der schon erwähnte Rashomon, Ugetsu monogatari und Sansho dayu (beide 1953, Mizoguchi Kenji), gedreht von Kameramann Miyagawa Kazuo, bediente sich der Schattentechnik als Fortsetzung tradierter japanischer Ästhetik.
„Licht als Mittel und als Zweck“ – ein Beitrag von Norbert M. Schmitz – geht der Beziehung zwischen der europäischen Kunstavantgarde und dem Kino nach, dem „absoluten Film“ in seinem Streben nach Reflexion seiner Elemente und Produktionsbedingungen hin zur Materialität „reinen Lichts“ und der Integration solcher Experimentalformen in den Rahmen narrativen Kinos. Die Avantgardisten aus den Kunstakademien fassten Licht in seiner filmischen Autonomie als eigenständigen „Darsteller“ auf und wandten die Prinzipien moderner Malerei – Form- und Materialästhetik, Medienreflexivität – auf den Film an. Exemplarisch für die radikal abstrahierenden Verfahren der frühen Experimentalfilmer führt Schmitz Exponenten wie Walther Ruttmann (Lichtspiel 1-4, 1919–1925), Hans Richter (Rhythmus 21,  1923) sowie den Bauhaus-Lehrer László Moholy-Nagy (Lichtspiel Schwarz-Weiß-Grau, 1930) auf und weist auch auf Einflüsse „reiner“ Lichteffekte hin, etwa im Design-avantgardistischen Film L’Inhumaine (1924, Marcel L’Herbier).

Abermals der „Schüfftan-Effekt“

Ein Schlaglicht auf eine besondere Phase filmkünstlerischer Beleuchtungsästhetik wirft Karl Prümm in seiner Studie zum Chiaroscuro des frühen deutschen Tonfilms. Jenseits expressionistischen Bildpathos, gemalter Schatten, aber auch der angestrebten Natürlichkeit der Neuen Sachlichkeit geht es hier um den Stil, die Schule von unverwechselbaren Autorenkameraleuten am Beispiel Eugen Schüfftans, für den das Filmbild immer eine emphatische, subjektive Kategorie war und der im französischen und amerikanischen Exil (bis hin zu The Hustler, 1960, Robert Rossen) seine Handschrift der Lichtsetzung fortführte, die sich in Filmen wie Menschen am Sonntag (1930, Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer, Rochus Gliese, Billie Wilder, Curt Siodmak) außerhalb der Kunstlichtstudios mit fotografischem Blick auf die Gesichter der Städtebewohner in Plein-Air-Fotografie eingeprägt hatte. Für diese Kameraarbeit, bei der er gewissermaßen einziger Experte unter lauter Debütanten war, entdeckt Schüfftan mit Otto Umbehr (Umbo) und Helmar Lerski fotografische Vorbilder. Nach seiner Emigration hatte Lerski in Tel Aviv in seiner Foto-Studie „Verwandlungen durch Licht“ mit über hundert Einzelaufnahmen vom selben Modell unter wechselnden Lichtverhältnissen, nie identischen Beleuchtungen, mit dem Einrichten des Apparates durch ein Zusammenspiel von Apparat, Tageslicht und Spiegelstellungen die Gestaltungs- und Variationsmöglichkeiten im Porträt untersucht. In G.W. Pabsts pazifistischem Film Westfront 1918 (Kamera: Fritz Arno Wagner) kommt ein verwandter Gestaltungseffekt in der Sterbeszene der Hauptfigur zur Geltung, wenn sich das Gesicht des Sterbenden (Gustav Diessl) allmählich in eine Totenmaske verwandelt.
Eugen Schüfftans Beleuchtungskonzept beharrte auf dem eingreifenden, interpretierenden Licht, das sich wenig um die Gesetze der Logik oder die Regeln des Geschmacks schert, das arbiträr, willkürlich sein darf, und keiner natürlichen Quelle zuzuordnen ist, weil es den Blick des „‚Bildmanns‘, dessen Deutung der Szene und der Geschichte sichtbar macht“. Als Lerski-Touch macht Prümm immer wieder eingespiegelte Lichtflecken, ausgeprägte Schatten, unvermittelte Supergroßaufnahmen und leichte Unterperspektiven aus. Schüfftan hatte das Glück, dass er im französischen Exil gleich mit den deutschsprachigen Exilanten G.W. Pabst, Robert Siodmak und Max Ophüls zusammenarbeiten konnte. Mademoiselle Docteur (1937, G.W. Pabst), ein Antikriegsfilm über den Heroismus der Spione, ein Kampf im Dunkeln: „Jede Einstellung gleicht einem Kriegsschauplatz, eröffnet einen Raum der Bedrohung und der Desorientierung, in dem vereinzelt Lichtblöcke und Lichtstreifen das Dunkel nur noch undurchdringlicher machen. Die stark akzentuierten Schatten sind als Ausdruck der Doppelexistenz aller Akteure lesbar.“
Schüfftans „Bildprogramm“ gilt inzwischen als Essenz des Poetischen Realismus, dafür repräsentativ Le Quai des brumes (Hafen im Nebel, 1938, Marcel Carné), geprägt vom „lumière allemande“. Eugen Schüfftan ging es darum, die Dinge, die sich hinter den Dingen versteckten, hervorzuholen, alles Sichtbare im Bildraum gleichermaßen bedeutsam werden zu lassen, in dem das menschliche Antlitz nicht mehr das Zentrum des Universums ist. Das gebündelte Licht Caravaggios als das Instrument des Zeigens, sowie das Überstrahlen bei Rembrandt und auch Max Liebermann, dessen Lichtflecke sich mit dickem Farbauftrag haptisch abhoben, und die zeitgenössische Fotografie lassen sich als „ikonographische Anschlüsse“ ausmachen. Mit Henri Alekan und Agnès Godard setzte sich diese Linie fort.

Painting With Light – Nordlicht

„Starlight“ (Fabienne Liptay) widmet sich den parallelen Licht-
kreationen für Greta Garbo und Marlene Dietrich, deren Star-Imagos auch vom technischen Raffinement der Porträtfotografie profitierten. Das auf sie applizierte Licht zielte auf eine Präsentation unverwechselbarer Ikonen, gerade weil sich ihre Rollenprofile so ähnlich waren. Sich solchen „Erscheinungen“ zu nähern, den dargestellten Körpern der Stars wie auch deren „reinem Bild“, fordert beim Versuch, sie symbolisch zu begreifen, eine Kunst der Beschreibung heraus, für deren Metaphorik man sich der synästhetischen Bildwirkungen jener Starlight-Schöpfungen geradezu aussetzen muss – so mag sich ein Sinn für die beiden Pole der Filmkunst, des Bildens und Betrachtens, entwickeln und die Faszination des geschaffenen Bildausdrucks sich dem Grund seiner Schöpfung, bis zum optischen Handwerk hin nähern. Aus einem Lichtfluidum heraus formt sich ein Gesicht, eine Gestalt scheint die Stofflichkeit ihrer Umgebung anzunehmen, man wird eines „visuelle[n] Drama[s]“ ansichtig, „am Saum von Licht und Schatten“. Naheliegend hier, Roland Barthes’ Betrachtung über das „gleichzeitig vollkommene und ephemere Gesicht“ der Garbo in Queen Christine (1933, Rouben Mamoulian) aus seinen „Mythologies“ in Erinnerung zu bringen.
Film, das „hochentwickelte Schattenspiel“ (von Sternberg), schuf übernatürliche Anmutung, gab sich einem exklusiven „Shaping“, einer Verrätselung, einer Fetischisierung hin. Liptays Studie zeichnet den Wettstreit zwischen Garbo und Dietrich, damit auch zwischen MGM und Paramount, „mit den Waffen des Lichts“ nach („Der Schein der Garbo, das Schillern der Dietrich“). Die Ergebnisse gediehen mitunter zu Exponaten der Stars, und der pure Reiz der Visualisierung schien gegenüber der erzählerischen Aufgabe der Bilder Priorität zu besitzen. Der lichtästhetische Unterschied zwischen den beiden betreffenden Kameramännern, William H. Daniels und Lee Garmes, mag darin bestanden haben, dass dieser ganz eigenwertige Effekte erreichte, jener das Licht aus der Szene heraus motiviert: „Lee Garmes hatte, mit Regisseur Josef von Sternberg, bereits während der Dreharbeiten zu Morocco (1930) … nach einem Lichtkonzept gesucht, das sich von der seitlichen Beleuchtung absetzen sollte, die als charakteristisch für William Daniels’ Porträt der Garbo galt. Ein von oben steil einfallendes Führungslicht, das die Gesichtszüge Marlene Dietrichs prägnant hervortreten lässt und in seiner Direktheit geradezu provokativ wirkt, sollte fortan zu ihrem Markenzeichen werden. Es höhlt ihr Gesicht aus und lässt es durch symmetrische Verschattungen geheimnisvoll wirken. […] Garmes selbst nannte dieses von oben einfallende Licht, das er der Hell-Dunkel-Malerei Rembrandts abgeschaut habe, in eigenwilliger Weise ,Nordlicht‘.“