Geschwisterliebe zwischen Märchen und Tragödie, fast kitschfrei
Das ist mal wieder eine von diesen Geschichten, für die man den Drehbuchautor feuern müsste. Wäre sie nicht wahr. Um ihrem wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilten Bruder zu helfen, hat Betty Anne Waters den Schulabschluss nachgeholt, das College besucht und Jura studiert. Dann ist sie Anwältin geworden, hat das Verfahren neu aufgerollt und ihren Bruder aus dem Knast geholt. Achtzehn Jahre hat das gedauert. Betty Anne Waters’ Ehe ging währenddessen in die Brüche, ihre beiden Söhne haben sie verlassen und sie musste damit zurechtkommen, dass zahlreiche Mitmenschen sie für mindestens besessen hielten, wenn nicht gar verrückt und das ganze Unterfangen ohnehin für Unfug.
Es ist eine Geschichte, wie Hollywood sie lieben muss. Sich den zugehörigen Film vorzustellen, fällt nicht schwer: Augenrollen, Händeringen, Tränenfluss, dazu Armeen von Geigen, eimerweise Pathos und großzügige Portionen von Zuckerguss und Schmalz. Erhebend gemeint, aber nicht zum Anschauen. Bedenkt man also, was aus diesem Stoff Schreckliches hätte werden können, dann ist Conviction, der unter der Regie von Tony Goldwyn nach einem Drehbuch von Pamela Gray entstand, geradezu nüchtern und bescheiden zu nennen.
Obwohl Goldwyn es sich natürlich auch nicht verkneifen kann, den einen oder anderen erhebenden Moment zu inszenieren, das eine oder andere Ereignis dramatisch zuzuspitzen, zwischendurch auf die Tränendrüse zu drücken und mitunter auf der Gefühlsklaviatur herumzuorgeln. Dass das dann jeweils den Film nicht zum Entgleisen bringt, ist der Besetzung zu verdanken: Hilary Swank und Sam Rockwell in den Rollen der Geschwister Betty Anne und Kenny lassen sich nicht eine Sekunde lang auf wohlfeile Manipulationsmanöver ein und halten eisern an ihren differenzierten Charakterporträts fest. Die Kollegen in den Nebenrollen tun es ihnen gleich. Wenn man so will, dann trägt in Conviction das schauspielerische Vermögen den Sieg über die Standard-Dramaturgie davon. Umso verdienter, als die, denen hier Gesicht und Stimme verliehen wird, dem breiten Bodensatz des Poor White Trash entstammen. Marginalisierte Menschen ohne Mittel und ohne Einfluss, deren Schicksal niemanden interessiert, nach denen kein Hahn kräht und die das System regelmäßig fickt.
Der arme Kenny Waters übrigens starb ein halbes Jahr nach seiner Entlassung an den Folgen eines Sturzes. Wieder so eine Geschichte, die keiner zu erfinden wagen würde. Life’s a bitch and then you die! Immerhin starb er als freier Mann.