Billie

Filmkritik

Billie

| Hans Langsteiner |
Solides Porträt einer unsoliden Jazz-Legende

Was für ein Leben! Mit elf Jahren vergewaltigt, mit dreizehn Erfahrungen als Prostituierte, gefolgt von einer steilen Karriere als Superstar des Jazzgesangs, begleitet von Alkohol- und Drogenabstürzen sowie zahlreichen toxischen Beziehungen mit Männern und Frauen, bis zum frühen Tod mit erst 44. Kein Wunder, dass die turbulente Biografie der als Elionora Harris geborenen Billie Holiday schon mehr als einmal verfilmt wurde – von Lady Sings the Blues (1972, Regie: Sidney J. Furie) bis The United States vs. Billie Holiday (2021, Regie: Lee Daniels).

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Jetzt liefert eine Dokumentation den Fiktionen die Fakten nach. Regisseur James Erskine griff dabei auf Recherchen der Journalistin Linda Kuehl zurück. Dass diese vor Abschluss ihrer Billie-Holiday-Biografie unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen war, nützt der Film zu einem erzählerischen Seitenstrang, der der nüchternen Doku zwar etwas Suspense beimischt, von der eigentlichen Hauptfigur indes eher ablenkt. Deren Lebensgeschichte ist ohnehin dramatisch genug.

Vor allem die rassistischen Repressalien, denen sich die dunkelhäutige Sängerin im Amerika der Dreißiger- und Vierzigerjahre ausgesetzt sah, machen noch heute betroffen – und dies umso mehr, als sich Parallelen zur #BlackLivesMatter-Bewegung aufdrängen. Da muss sich Billie den Weg zu ihren Auftritten durch die Küche suchen, da wird stets eine Notration an Lebensmitteln mitgeführt, und da muss sich, andererseits, Billie Holiday im amerikanischen Süden das Gesicht schwarz schminken lassen, da es dem dortigen Publikum zu hell erscheinen könnte.

Solche Details destilliert Regisseur James Erskine aus unzähligen Statements von Zeitgenossen, die sich zu einem plastischen Porträt einer unangepassten Persönlichkeit fügen. Hinter deren vibrierender Vitalität bleibt die solide Machart des Films etwas zurück, was auch der Ausgangslage geschuldet ist. Viele Aussagen liegen nämlich nur akustisch vor, was zu den sattsam bekannten Großaufnahmen rotierender Tonbandspulen und somit zu einer gewissen Audio-Lastigkeit des Materials führt. Dazu kommt, dass Regisseur Erskine mit Proben von Billie Holidays Gesangskunst ein wenig geizt. Nicht einmal ihren atemberaubenden Protestsong „Strange Fruit“ (gemeint sind die Leichen Erhängter) darf Billie zu Gehör bringen, ohne von der Inszenierung unterbrochen zu werden. Und wenn wir schon dabei sind: Dass sich der Film damit brüstet, Billie Holiday „erstmals in Farbe“ zu zeigen, mutet angesichts der unübersehbar nachkolorierten Schwarzweiß-Aufnahmen denn doch merkwürdig an. Dennoch hält der Film die Spannung. Dass er nicht alle Rätsel um seine Hauptfigur löst, ist vielleicht seine markanteste Qualität.