Bird Film

Filmstart

Bird

| Pamela Jahn |
Magisch-sinnliches Beziehungs- und Gesellschaftsporträt

Not macht erfinderisch – bisher ist Bug (Barry Keoghan) mit diesem Motto immer ganz gut gefahren. Eine geregelte Arbeit, ein trautes Familienheim, davon hält der junge Draufgänger nicht viel. Lieber feiert er mit seinen Kumpels die Nächte durch und verbringt sein Leben im Dauerrausch am Existenzminimum. Doch jetzt will er seine neue Romanze heiraten und dafür braucht er schnelles Geld: Als Goldesel soll eine seltene Kröte herhalten, deren Schleim ein starkes Halluzinogen erzeugt.Die zwölfjährige Bailey (Nykiya Adams) ist wenig begeistert von den Plänen ihres sprunghaften Vaters. Als wäre es nicht schon ätzend genug, dass sie bei ihm in einer besetzten Hausruine außerhalb von London wohnt. Alles in ihrem Teenagerdasein ist befremdlich, von Gewalt und Armut geprägt. Dabei sehnt sie sich einfach nur nach ein paar Freunden, ein bisschen Halt und Geborgenheit. Oder wenigstens frei zu sein, wie die Vögel, die sie mit Staunen beobachtet. Der exzentrische Bird (Franz Rogowski) scheint Baileys zartes Gemüt hinter ihrer rebellischen Fassade zu erkennen und zu teilen. Wie aus dem Nichts taucht er plötzlich vor dem Mädchen auf. Bailey ist dem Fremden gegenüber zunächst skeptisch. Aber bald entsteht zwischen ihnen eine Nähe. Denn wie sie selbst ist auch Bird ein Streuner, ein Außenseiter, eine sensible Seele auf der Suche nach der eigenen Identität.In ihrem ersten Spielfilm seit American Honey (2016) setzt Andrea Arnold auf bewährte Kontraste:

Die sozialrealistischen Dramen der britischen Regisseurin haben stets etwas Wildes, Unberechenbares an sich. Gleichzeitig sind sie untermauert von einer unerschütterlichen Empathie. Arnold brennt für ihre Protagonisten, und sie weiß um die prekären Verhältnisse, in denen sie agieren. Liebe und Chaos liegen dicht beieinander in den harschen Alltagsrealitäten, von denen sie erzählt. Auch Bird ist von diesem ambivalenten Geist geprägt. Schnelle Schnitte, ein pulsierender Score und Robbie Ryans rastlose Kamera bestimmen den Rhythmus des Coming-of-Age-Settings – bis sich ein unerwartet märchenhafter Zauber sanft über das Geschehen legt. Rogowski in der Titelrolle versprüht diese surreale Aura mit viel Hingabe, er hat den seltsamen Kauz, den er spielt, fest im Griff.Dass Arnolds Versuch, sich am magischen Realismus auszuprobieren, trotzdem nicht immer aufgeht, irritiert nur kurzzeitig. Neben der beachtlichen Leistung von Newcomerin Nykiya Adams ist es insbesondere Barry Keoghans Junkie-Vater, der den stärksten Eindruck hinterlässt. Ohne sich in den Vordergrund zu drängen, lenkt seine ungestüme Energie den Film immer wieder in die richtigen Bahnen. Und seine Entwicklung überrascht letztlich am meisten, weil sie voller unerwarteter Nuancen steckt.