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Space Dogs

Österreich

Bitte Warten

| Andreas Ungerböck |
Eine kaum noch überschaubare Anzahl an österreichischen Filmen wartet teils schon lange, teils aktuell auf einen Kinostart. Ein Überblick über das, was kommen hätte sollen und auf das, was hoffentlich bald kommen wird.

Vielleicht der größte „Pechvogel“ und zugleich einer der schönsten Filme des österreichischen 2021er-Großaufgebots ist der hinreißende, mehrfach verschobene und in „ray“ bereits zweimal gewürdigte Dokumentarfilm Space Dogs von Elsa Kremser und Levin Peter über Weltraum- und Moskauer Straßenhunde. Beim Festival in Locarno im August 2019 (!) feierte der Film seine fulminante Weltpremiere. Danach gab es – unter anderem – bei der Viennale den Wiener Filmpreis und bei der (abgesagten) Diagonale 2020 den Kamera-Preis für Yunus Roy Imer, der auch bei Nora Fingscheidts sensationellem Welterfolg Systemsprenger hinter der Kamera stand. Trotz hymnischer Kritiken weltweit fand Space Dogs in Österreich keinen Verleih und wird nun vom Regie-Duo im Eigenverleih in die Kinos gebracht. Das wird sicher ein Erfolg, die Frage ist nur: wann?

WIEDERGÄNGER

Schon einmal im Kino, aber nur kurz, bevor der Herbst-Lockdown dazwischenfunkte, war Arash T. Riahis ebenfalls international ausgezeichneter Spielfilm Ein bisschen bleiben wir noch (Verleih: Filmladen). Im Jänner 2020 war Weltpremiere beim Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken, wo der Film den Publikumspreis gewann, bei der (abgesagten) Diagonale 2020 einen Preis für Monika Buttinger (bestes Kostüm). Riahis ergreifende Story um die Flüchtlingskinder Oskar und Lilli nach dem Roman von Monika Helfer soll demnächst eine weitere Chance bekommen, sich im Kino zu beweisen.

Besonderes Pech hatte auch Das schaurige Haus (Verleih: Filmladen) nach dem Roman von Martina Wildner. Daniel Prochaskas Kinofilmdebüt, ein gegenüber der Vorlage vom Allgäu nach Kärnten verlegter Jugend-Horrorfilm, war nach seiner Wien-Premiere beim Slash Filmfestival überhaupt nur drei Tage im Einsatz, ehe man die Kinos im November wieder zusperrte. Mit Arash T. Riahis Film teilt er übrigens nicht nur dieses Schicksal, sondern auch Erfreuliches: Die Musik stammt bei beiden Filmen von dem Komponisten Karwan Marouf.

Ein weiterer Nachzügler steht am Start, der international und national Preise abgeräumt hat: Sandra Wollners verstörende Dystopie The Trouble with Being Born (Verleih: Filmdelights) wurde ebenfalls bereits zweimal in „ray“ ausführlich behandelt. Es ging schon gut los mit dem Preis für den besten Spielfilm in der im Vorjahr neu geschaffenen Berlinale-Reihe „Encounters“ im Februar 2020. Dann gab es die Romy für den besten Kinofilm, vier Preise bei der Diagonale (darunter „Bester Film“) und den Spezialpreis beim Wiener Filmpreis (Viennale 2020). Ob der aktuell geplante Start am 30. April gehalten werden kann, wissen nur die Nicht-Kulturverliebten, und diese schweigen.

Am 1. Dezember 2020 hätte Hochwald (Verleih: Polyfilm), das beim Festival in Zürich im Herbst mit dem Goldenen Auge in der Sektion „Fokus“ dekorierte Regiedebüt der renommierten Editorin Evi Romen (Interview), ins Kino kommen sollen: Die Geschichte um einen jungen Wilden aus einem Südtiroler Bergdorf, der nicht nur mit der Engstirnigkeit seiner Umgebung, sondern auch mit sich selbst und seinen Dämonen zu kämpfen hat, feierte bei der Viennale seine Heim-Premiere und soll nun Ende Mai starten.

Den vollständigen Artikel lesen Sie in unserer Printausgabe 04/2021

NEULINGE

Die Liste all der österreichischen Filme, die zwar neu sind, aber schon starten hätten sollen oder kurz davor stehen, ist noch länger. Da wäre Hubert Saupers essayistischer, bei der Viennale mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichneter Kuba-Dokumentarfilm Epicentro (Verleih: Stadtkino). Schon im Jänner 2020 erlebte der Film seine prestigeträchtige Weltpremiere beim wohl wichtigsten US-Festival in Sundance. Dort gewann Sauper, der schon 2006 für Darwin’s Nightmare für einen Oscar nominiert gewesen war, nicht weniger als den Grand Jury Prize in der Sektion „World Cinema: Documentary“. Epicentro ist ein weiterer von Saupers sehr persönlichen und trotzdem global relevanten Dokumentarfilmen – im übrigen ein Film, über dessen Zugang zu Kuba und seinen Menschen sich trefflich streiten lässt. Mehr darüber lesen Sie in einer der nächsten „ray“-Ausgaben; geplanter Kinostart des Films ist vorläufig der 7. Mai.

In Sachen Dokumentarfilm mit globalem Appeal sind österreichische Filmschaffende (man denke nur an Werner Boote, Nikolaus Geyrhalter oder Erwin Wagenhofer) federführend. Eine weitere sehr starke Arbeit, die wirklich ans Eingemachte geht, ist Wood – Der geraubte Wald (Verleih: Filmdelights, Start für Mitte Mai geplant). Ebba Sinzinger hat sich zusammen mit ihren Kolleginnen Michaela Kirst und Monica Lazurean-Gorgan und dem US-amerikanischen Umweltaktivisten Alexander von Bismarck auf die Spuren der globalen Holz-Mafia begeben – in der übrigens eine österreichische Firma eine höchst unrühmliche Rolle spielt. Was man hier mit eigenen Augen und Ohren zu sehen und zu hören bekommt, spottet buchstäblich jeder Beschreibung.

Der aktuelle Schachboom wurde zwar von der US-Miniserie The Queen’s Gambit ausgelöst, Tatia Shkirtladzes österreichisch-georgisch-serbischer Dokumentarfilm Glory to the Queen (ebenfalls Filmdelights, Start: „sobald die Kinos öffnen“) wirft aber ein Licht auf eine mindestens ebenso spannende und reale Schach-Szene: Es geht um vier georgische Frauen, die von den frühen sechziger bis zu den frühen neunziger Jahren den Weltmeistertitel unter sich ausmachten; eine von ihnen, Nona Gaprindaschwili, wurde zudem als erste Frau als „Großmeister“ anerkannt (den Titel gibt es bis heute nur in der männlichen Form).

Nach Osteuropa begibt sich auch der Dokumentarfilm, der diesem Text den Titel leiht: Bitte warten von Pavel Cuzuioc (Verleih: Filmgarten, Start: ungewiss) ist das kurzweilige Porträt von sechs Mitarbeitern von Telefon-, TV- und Internet-Anbietern, die sich in Bulgarien, Rumänien, Moldau und der Ukraine mit der widerspenstigen Materie und mit verzweifelten Kundinnen und Kunden herumschlagen (und wer von uns wäre nicht schon einmal an der Kommunikationstechnologie verzweifelt?). Cuzuioc begleitet sie vom streng strukturierten Server-Park bis zum
Kabelsalat im Hinterhof und in die Wohnungen, wo das Informationszeitalter auf zum Teil archaische technische Gegebenheiten trifft. Ein stetiges Thema im Film ist die Kritik der Menschen am schlechten Programm, das man ihnen verkauft. Auch das kommt einem durchaus bekannt vor.

Jasmila Žbanić ist seit ihrem Langfilmdebüt Grbavica, mit dem sie 2006 den Goldenen Bären in Berlin gewann, eine internationale Größe. Dank der Zusammenarbeit mit Barbara Albert und der Produktionsfirma coop99 gibt es seither einen engen Bezug zu Österreich, auch durch die Kamerafrau Christine A. Maier (siehe das Interview mit ihr in „ray“ 03/21). In ihrer neuen internationalen Ko-Produktion Quo vadis, Aida? (Verleih: Polyfilm, Start Anfang Mai) setzt sich die bosnische Regisseurin anhand der Figur der Übersetzerin Aida erneut mit den Ereignissen im jugoslawischen Bürgerkrieg auseinander. Der Film erregte große Aufmerksamkeit und ist unter anderem für zwei BAFTAs, für den Independent Spirit Award und auch für den Oscar als Bester internationaler Film nominiert.

Weiyena – Ein Heimatfilm ist ein Dokumentarfilm von Weina Zhao (zusammen mit Judith Benedikt), der am 7. Mai, betreut von den Filmemacherinnen selbst, in die Kinos kommen soll. Weina Zhao, die in Wien lebt, begibt sich darin auf die Suche nach ihren chinesischen Wurzeln und stellt Fragen, die der Verwandtschaft nicht immer angenehm sind. Die Erfahrungen und Erinnerungen ihrer Familien väterlicher- und müttlicherseits sind durchaus unterschiedlich. Zusammen ergeben sie ein bewegendes Bild von deren privaten Schicksalen, aber auch von der wechsel- und leidvollen Geschichte Chinas von der Kulturrevolution bis in die Gegenwart. Weiyena wurde beim renommierten Dokumentarfilmfestival in München mit dem Preis für die beste deutschsprachige Doku ausgezeichnet.

Ordinary Creatures von Thomas Marschall (Stadtkino, 21. Mai) ist ein vertracktes Roadmovie um ein Paar, dass sich während einer Autofahrt angeregt, um es vorsichtig zu sagen, über die Probleme in seiner Beziehung unterhält. Die beiden sind in ihrer Welt gefangen, bis die Realität sich auf eher harsche Weise Zugang in diese verschafft. Der Film, der bei der Diagonale 2020 (abgesagt) hätte laufen sollen und dann – nach der Weltpremiere bei den Hofer Filmtagen – bei der Viennale gezeigt wurde, ist die erste lange Spielfilmproduktion der umtriebigen Produzentin Daniela Praher.

NIERE, FUCHS UND HERBST

Regie-„Veteran“ Michael Kreihsl, dessen frühe Filme Charms Zwischenfälle (1996) und Heimkehr der Jäger (2000) übrigens seit kurzem auf der Online-Plattform Kino VOD Club gestreamt werden können, hat sich mit gewohnt illustrer Besetzung
(Samuel Finzi, Inka Friedrich, Thomas Mraz, Pia Hierzegger) der Erfolgs-Bühnenkomödie „Die Niere“ von Stefan Vögel angenommen. Der Film heißt allerdings Risiken und Nebenwirkungen (Filmladen, Mai) und stellt die ernste Frage, was jede/r von uns tun würde, wenn es darum ginge, jemandem aus dem nächsten Umfeld eine Niere zu spenden. Der Architekt Arnold jedenfalls zögert, als bei seiner Frau Kathrin die entsprechende Diagnose gestellt wird. Für Turbulenzen ist daraufhin gesorgt.

Schließlich soll im Juni Arman T. Riahis Fuchs im Bau (Verleih: Filmladen) in die Kinos kommen. Wie sein Bruder Arash im Vorjahr wurde Riahi 2021 beim Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken ausgezeichnet, und zwar gleich mit zwei Hauptpreisen (Beste Regie, Bestes Drehbuch) und dem Preis der Jugendjury. Der Mittelschullehrer Hannes Fuchs muss sich als Gefängnislehrer bewähren und findet durch die unkonventionellen Methoden einer Kollegin nicht nur seine eigene Kreativität wieder, sondern in der Folge auch Zugang zu einer verschlossenen Schülerin. Es spielen unter anderem Aleksandar Petrovi, Maria Hofstätter, Andreas Lust und Sibel Kekilli.

Und auch der Herbst wird es in sich haben. Geplant ist zum Beispiel der Start von Tizza Covis und Rainer Frimmels bei der Berlinale 2020 uraufgeführter Doku Aufzeichnungen aus der Unterwelt (Stadtkino, 10. September) über illustre Ganoven aus der Wiener Szene der sechziger Jahre. Marko Feingold – Ein Jüdisches Leben (Stadtkino, 1. Oktober) von Christian Krönes, Flo-
rian Weigensamer, Christian Kermer und Roland Schrotthofer ist ein Porträt des Holocaust-Zeugen und ehemaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, der 2019 im Alter von 106 Jahren verstorben ist. Und schließlich legt Marko Doringer mit Mein Wenn und Aber (Polyfilm, Dezember) den dritten Teil seiner Selbstbeobachtungs-Doku-Reihe vor. Was geschieht, wenn die Freundin des Filmemachers sich ein Kind wünscht, dieser sich aber nicht bereit dazu fühlt? Die Antwort darauf – und auf vieles andere – erhalten wir hoffentlich im Kino.