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Blutsauger

Filmkritik

Blutsauger

| Kirsten Liese |
Artifizielle marxistische Vampirkomödie um eine 1920er-Jahre-Kapitalistin

Ein Diskurs an einem Strand in den Dünen stimmt auf ein nicht ganz einfaches Konversationsstück ein: Ausgehend von einer Fußnote in Karl Marx’ Opus „Das Kapital“ sinniert ein Lesekreis über Kapitalisten, die ihre Arbeiter wie Vampire aussaugen, „bis zum letzten Muskel, zur letzten Sehne, bis zum Blut“. Das ist aber nur die Exposition zu einem skurrilen Kunstfilm, der essayistische Elemente mit komödiantischen verbindet sowie die Filmlegende Sergej Eisenstein als Popanz.

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Protagonistin ist die reiche Gutsherrin Octavia Flambow-Jansen (Lilith Stangenberg), die im August 1928 in einem mondänen Badeort an der Ostsee auf einen falschen Baron trifft. Dieser Ljowuschka (Alexandre Koberidze) ist in Wirklichkeit ein sowjetischer Fabrikarbeiter, den Eisenstein in seinem monumentalen Epos Oktober als Leo Trotzki besetzte. Bekanntermaßen fiel Trotzki bei Stalin in Ungnade, sodass Ljowuschkas Szenen aus dem Film herausgeschnitten wurden. Nun will sich der Proletarier das nötige Geld ergaunern, um sein Glück in Hollywood zu versuchen. Bei der gelangweilten Millionärin, die ihm zum Leidwesen ihres verliebten Dieners Jakob Unterschlupf bietet, stehen die Chancen dazu recht gut. Doch allzu schnell fliegt seine Hochstapelei auf.

Mit gekünstelter Sprache, Metaphorik und Ironie fabuliert Julian Radlmaier jenseits klassischer Erzählmuster über die Schwierigkeit menschlicher Beziehungen in der Klassengesellschaft, Abstiegsängste und Aufstiegsphantasien. Ein so altertümliches Wort wie „erheischen“ erfährt da eine sinnreiche Betrachtung. Und überhaupt erfährt die deutsche Sprache eine im deutschen Kino keineswegs selbstverständliche kultivierte Pflege.

Die Erkenntnis, dass es die Revolution verabsäumt hat, die Lohnarbeit abzuschaffen, gibt der Wut über die gegenwärtigen, bestehenden Verhältnisse Raum, dies auch in Form von Anachronismen. Hier und da lassen sich in den idyllischen Landschaften der 1920er Jahre eine Cola-Dose, eine Kawasaki oder moderne Pkws entdecken. Vor allem aber dank Bilder voller Schönheit und dem bemerkenswert sparsamen Einsatz von Musik gelingt ein besonderes Stück Kino. Die minutiös durchgestalteten, tableau-artigen Arrangements von Dekorationen und idyllischen Landschaften erinnern an Altmeister Peter Greenaway. Wenngleich auch etwas verkopft und kryptisch, präsentiert sich das junge deutsche Autorenkino in Gestalt von Blutsauger mithin alles in allem als erfreulich frisch, frech und innovativ.