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Filmkritik

Can You Ever Forgive Me?

| Roman Scheiber |
Absolutely! Die erfrischende, berührende Geschichte der Schriftstellerin und Fälscherin Lee Israel

did not copy Dorothy Parker. I was a better Dorothy Parker than Dorothy Parker“, entgegnet sie, als ihr schwuler und HIV-positiver Partner in crime Jack Hock ihre Leistung kleinreden will. Und was war ihre Leistung? Briefe von Dorothy Parker, Noel Coward, Ernest
Hemingway und anderen Prominenten, geschätzt rund 400 Stück, hat die Journalistin und Biografin Lee Israel (1939–2014) gefälscht, nein: im Geiste und im Stil der jeweiligen Person erschaffen, um sie – wie auch immer – gegen hübsche Sümmchen in mehr oder weniger angestaubten New Yorker Buchläden zu verkaufen.

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Später vor Gericht wird sie sagen, dass sie es nicht wirklich bereue, denn diese Briefe seien womöglich das Beste gewesen, was sie je geschrieben habe. Aber spulen wir zum Anfang. Lee, in der Nachtschicht beim Korrekturlesen: Sie säuft, beleidigt ihren Aufseher vulgo lässt sich feuern, leert das Eis aus ihrem Whisky-Glas elegant in den Papierkorb und packt es in ihre zerschlissene Aktentasche. Lee beim morgendlichen Heimkommen in ihr fliegenverseuchtes Apartment. Lee bei einem Empfang ihrer Agentin, wo sie säuft, mit niemandem spricht und sich über den von Groupies umringten Starautor Tom Clancy ärgert. Lonely Lee, soviel ist rasch klar: Nicht einmal ihre Katze ist der ruppigen, stolzen Mittfünfzigerin, die sich eine scheinbar dicke Haut zugelegt hat, noch zugetan. Wie sagt die Agentin? Sie möge sich entweder benehmen lernen und einen neuen Job finden oder mal was Frisches, was Authentisches schreiben – „Who the fuck wants to read a biography about Fanny Brice?“

Schauspielerin und Regisseurin Marielle Heller bewies schon mit ihrem Debüt, der Coming-of-Age-Romanadaption The Diary of a Teenage Girl (2015), einen zwischen witzig und sensitiv changierenden, emotional intelligenten Erzählton zu beherrschen. Dieser Lolita-Story aus Lolita-Sicht im San Francisco der Seventies lässt Heller nun (nach einem trockenhumorig von Nicole Holofcener und Jeff Whitty aus Lee Israels Memoiren verdichteten Drehbuch) die Geschichte einer defekten Einzelgängerin folgen, welche im Manhattan des Jahres 1992 um einen Mittelweg zwischen Haltung und ökonomischer Existenz ringt – und wie beiläufig in die Kriminalität abgleitet. Can You Ever Forgive Me? richtet einen so genauen Blick auf dieses Abgleiten und einen derart einfühlsamen Blick auf seine schwierige Protagonistin, dass man sie einfach lieben muss. Nicht zuletzt wegen Melissa McCarthy, die mit sparsamer, feingezeichneter Mimik (kongenial unterstützt von Richard E. Grant) als Lee Israel die bislang überzeugendste Leistung ihrer Karriere abliefert.