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Capote – Eisblumenjuwel

| Alexandra Seitz |

In Bennett Millers erstaunlichem Regiedebüt Capote gibt Philip Seymour Hoffman eine Glanzvorstellung in der Titelrolle.

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Frösteln. – „Frösteln“ ist das richtige Wort. Je länger man Philip Seymour Hoffman bei seinen Fischzügen in der Psyche seiner Figur beobachtet, je genauer man sich die Trümmer ansieht, die er zutage fördert und sorgsam vor uns ausbreitet, desto frostiger wird einem. Es ist ein Frost, der sich vom Herzen her ausdehnt, eine Kälte, die allmählich in den ganzen Körper schleicht, bis in die Fingerspitzen und Zehen, bis ins Gehirn – und dort dann explodiert wie ein Feuerwerk, mit der magischen Schönheit einer Eisblume.

In Cold Blood (Kaltblütig), so heißt das Buch, das der Schriftsteller Truman Capote in den Jahren 1960 bis 1965 über den vierfachen Mord an einer Familie in Kansas (und dessen Folgen) schrieb. Kaltblütig ist ein idealer Titel, in mehrerlei Hinsicht. Kaltblütig wurde die Tat nicht nur begangen, kaltblütig wird sie auch geschildert. Einen „Tatsachen-Roman“ hat Capote sein Buch genannt und damit sowohl ein neues literarisches Genre als auch gleich noch dessen zentrales Meisterwerk geschaffen. Der Preis war hoch, denn die Beschaffung der Tatsachen für den Roman geschah letztlich nicht minder kaltblütig. Davon handelt Bennett Miller Regiedebüt Capote, entstanden nach einem Drehbuch von Dan Futterman, beruhend auf der 1988 erschienenen Capote-Biografie von Gerald Clarke.

Genauer: Capote handelt von einem Schriftsteller, dem sein ungeklärtes Verhältnis zu seinem Stoff zum Verhängnis wird. Er handelt von einem komplexen Charakter und von den vielfältigen Arten, auf die Selbstüberschätzung und Selbstinszenierung zur Falle werden können; von der Erschütterung des Selbstbildes. Er handelt vom Künstler, der sich im kreativen Akt verfängt. Von der Hybris, die dem Kunstschaffen ebenso notwendig wie gefährlich ist. Vom Hochmut, der vor dem Fall kommt. Von der Eitelkeit, die in Versuchung führt. Aber auch vom Mitgefühl und von der Liebe, die sich an den Falschen richtet. Capote handelt von jenem Moment, in dem wir mit schreckgeweiteten Augen erkennen, dass uns die Zügel längst entglitten und wir nicht mehr Herren der Lage sind. Und dann muss man die Sache ausbaden, die Suppe auslöffeln, die Quittung in Empfang nehmen und die Rechnung bezahlen.

Truman Capote hat nach In Cold Blood nie wieder einen Roman zu Ende geschrieben.

November 1959 und die Jahre danach

Den Ausschlag gibt ein Artikel in der New York Times, in dem die Ermordung der vierköpfigen Familie Clutter in Holcomb, Kansas, gemeldet wird. Truman Capote beschließt, für den New Yorker eine Reportage über den Fall zu schreiben und reist zusammen mit seiner Freundin Nelle Harper Lee, die ihm als „Assistentin und Leibwächterin“ dienen soll, an den Ort des Verbrechens. Dort stellt er bald fest, dass der gewählte Reportage-Stoff das Potenzial für etwas Größeres in sich birgt.

Die kleine Gemeinde Holcomb, deren angesehene und geschätzte Mitglieder die Clutters waren, ist in Aufruhr. Man kann sich die sinnlose Bluttat nicht erklären. Vater, Mutter, Sohn und Tochter ausgelöscht; für eine Beute von etwa 40 Dollar sowie ein Kofferradio und ein Fernglas. Es ist, so Capote im Film, als seien in jener Nacht zwei in den USA nebeneinander existierende Welten aufeinander geprallt. Und er schreibt: „Das Verbrechen war ein psychologischer Unfall, es war ein Akt, der im Grunde genommen mit den Personen selbst nichts zu tun hatte; die Opfer hätten ebenso gut durch einen Blitzschlag getötet worden sein können.“ Und die Täter jemand anderen töten, ließe sich ergänzen. Die Zufälligkeit des Ereignisses ändert aber natürlich nichts an seiner Konsequenz. Die geständigen Mörder, Perry Smith und Dick Hickock, werden zum Tod durch den Strang verurteilt, beantragen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, ersuchen um Aufschub der Hinrichtung. Die ganze Sache zieht sich, Capote kann sein Buch nicht abschließen, dessen Ende notwendigerweise mit dem der Täter in eins fallen muss.

Es ist dies eine Erkenntnis, die den Schriftsteller zunehmend quält. Nicht zuletzt, weil er im Zuge seiner Recherchen den Mördern näher kommt, als vernünftig wäre, er ihnen sogar juristischen Beistand verschafft. Aber was nutzt schon der Hinweis auf Vernunft und Maß, wenn das Ziel groß ist und das Ego riesig? Capote will das Nicht-Verstehbare verstehbar machen, er will den Tätern Geschichten geben, menschliche Gesichter. Dabei entdeckt er Gemeinsamkeiten zwischen sich und Perry Smith, dessen Kindheit ebenso ruhelos und unglücklich war wie seine eigene. Ihm käme es vor, sagt er im Film, als hätten sie beide im selben Haus gewohnt, und eines Tages sei er, Capote, durch die Vordertür hinaus gegangen und Smith durch die Hintertür.

Notwendigerweise führt diese gefühlte Verwandtschaft Capote in ein moralisches Dilemma. Die emotionale Ausbeutung, zu der die Arbeit an In Cold Blood ihn zwingt, steht im krassen Gegensatz zu dem Mitgefühl, das er Perry gegenüber empfindet. Oder ist auch das nur eine weitere Täuschung, ein gelogenes Gefühl, das der Manipulation dient? Im selben Maße, in dem Capote seine professionelle Distanz verliert, wird er für sich selbst als Monster erkennbar. Auch in ihm klafft der Abgrund, der die Welt der Opfer von jener der Täter trennt. Auch in sich selbst findet Capote den kaltblütigen Mörder: Den Mörder Smith’ und Hickocks. Der tiefe Fall Truman Capotes vom bewunderten Schriftsteller und geliebten Party-Animal der New Yorker High Society zum alkohol- und tablettenabhängigen, gefürchteten und gemiedenen „Tiny Terror“ der Jahre bis zu seinem Tod am 25. August 1984 beginnt hier.

Der Schauspieler und der Schriftsteller

Das absolut Erstaunliche an Philip Seymour Hoffmans Leistung in der Rolle Capotes ist nicht nur, dass es ihm gelingt, all das darzustellen: die enorme Selbstgewissheit des Schriftstellers und ihre allmähliche Erschütterung; die schleichende Erkenntnis des Dilemmas, in das er sich manövriert hat und das Erschrecken darüber; die Faszination, die Smith auf ihn ausübt, und das Höllenfeuer, das ihn verschlingt, als er ihm zu nahe kommt – erstaunlich ist, dass es Hoffman der Figur, die er bis aufs i-Tüpfelchen genau verkörpert, zum Trotz gelingt.

Truman Capote schien beinahe zur Gänze aus Oberfläche und Pose und nach außen glitzernder Panzerung zu bestehen, sein verbürgt theatralisches Auftreten, seine Kopfstimme, sein ganzer Habitus eines sich selbst feiernden Intellektuellen bewegte sich immer haarscharf an der Grenze zum Lächerlichen. Als Vorlage für einen Filmcharakter bringt eine derartige Exzentrik die nicht geringe Gefahr mit sich, unglaubwürdig zu wirken – jedenfalls, wenn man nicht weiß, dass Capote sich genau so und nicht anders gab.

Hoffman ist das egal, er geht das volle Risiko ein. Mildert nichts. Biedert sich nicht an. Erlaubt sich nicht, auf Kosten zurückgenommener Egozentrik Sympathiepunkte zu sammeln. Macht stattdessen in jemandem, der nur Fassade zu sein scheint, einen komplizierten Menschen mit noch komplizierteren Widersprüchen sichtbar. Und schafft damit einen fast schon faustischen Charakter, der den Zwiespalt des Kreativen allgemein gültig verkörpert.

Philip Seymour Hoffman liefert mit seinem Capote eine schauspielerische Arbeit, die jeder, wirklich jeder Auszeichnung würdig ist. Weil sie eben nicht einfach bloße Mimikry ist, sondern sowohl die Darstellung eines authentischen charakterlichen Profils wie die Vermittlung einer erzählerischen Hypothese. Das ist hohe Schauspielkunst, und sie ist rar.