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Cha Cha Real Smooth

| Andreas Ungerböck |
Hollywoods neues Wunderkind heißt Cooper Raiff. Nie gehört? Das wird sich ändern.

Es ist seit Jahrzehnten das immer gleiche Spiel: Eine oder einer macht einen brauchbaren kleinen Film, und Hollywood, stets auf der Suche nach frischen Talenten, fackelt nicht lange und bittet die Person an den Tisch der Reichen. Die Beispiele sind Legion. Man denke an Robert Rodriguez, dessen No-Budget-Western El Mariachi (1991) ihm die Tür zu einer Mega-Karriere öffnete. Oder Richard Linklater, dessen Slackers für ihn zum großen Sprungbrett wurde. Oder Gus Van Sant, der mit Mala Noche auffiel und sich bald größeren Aufgaben zuwenden konnte. Oder Ryan Fleck und Anna Boden, die es nach eingen schönen Indie-Filmen ins Marvel-Universum verschlug. Oder Ryan Coogler, der mit Fruitvale Station reüssierte und heute teuren Schrott wie Black Panther macht. Oder Noah Baumbach. Oder Greta Gerwig.

Nun also Cooper Raiff. Viel gibt es noch nicht zu erzählen. Ein 25-Jähriger aus Dallas, der zunächst den Kurzfilm Madeline & Cooper (autobiografisch) drehte und auf YouTube hochlud. Mit Hilfe des Mumblecore-Autors Jay Duplass (Cyrus), dem er einen Tweet samt Link zum Film geschickt hatte, konnte er den Low-Budget-Hit Shithouse (autobiografisch) realisieren. Der Film wurde 2020 zum allerdings Corona-bedingt abgesagten SXSW Festival eingeladen, traditionell ein gutes Pflaster für junge Filmschaffende. Er schlug Wellen, gewann den Preis als Bester Spielfilm und wurde vom renommierten US-Arthouse-Verleih IFC gekauft. Im Wesentlichen geht es um einen Bummelstudenten (Cooper Raiff selbst, der – siehe da – auch ein ganz formidabler Schauspieler ist), der in dem Lokal, das dem Film den Titel gibt, abhängt. Viel mehr tut sich nicht, aber das Ganze ist so charmant und witzig, dass es Aufsehen erregte. So viel Aufsehen, dass sich für Cha Cha Real Smooth doch einiges an Prominenz aufbieten ließ, namentlich Dakota Johnson, auf der Suche nach mehr als 50 Shades, und Leslie Mann, die Gattin des Comedy-Gurus Judd Apatow.

Zumindest mit Apatows letztem Film, King of Staten Island, hat Cha Cha doch einiges gemeinsam, aber mehr noch – siehe oben – mit Baumbach und Gerwig, die der junge Mann auch freimütig als Inspiration bezeichnet. Sein Held, Andrew, hat nunmehr das Studium abgeschlossen, aber er ist gefangen in einem öden Job in einer Fast-Food-Bude, während seine Ambitionen dahin gehen, für eine renommierte NGO zu arbeiten. Nebenbei verdingt er sich, weil er das gut kann, als Zeremonienmeister bei Bar und Bat Mitzvahs eher gut betuchter jüdischer Familien – der Film spielt in New Jersey. Bei einer dieser Feiern lernt er die geschiedene Domino (Johnson) und ihre 15-jährige autistische Tochter Lola kennen. Nachdem er Domino 300 Dollar abgeknöpft hat, weil er es schafft, die verschlossene Lola, die immer mit Kopfhörern herumläuft, auf die Tanzfläche zu bringen, entsteht allmählich Zuneigung zwischen Andrew, Lola und Domino, die beeindruckt von seiner Fähigkeit ist, mit dem Mädchen zu kommunizieren. Ähnlich liebevoll kümmert er sich um seinen pubertierenden Halbbruder David und um seine Mutter (Mann), die zu seinem großen Leidwesen „Stepdad Greg“ geheiratet hat, den er gar nicht ausstehen kann.

Cooper Raiff verblüfft nicht nur erneut als Schauspieler in einer doch ziemlich umfangreichen Rolle, sondern auch mit einem wirklich gelungenen Drehbuch, das witzig ist, aber auch Tiefgang hat und vor allem in der Beziehung zwischen Domino und Andrew alle naheliegenden Klischees souverän umschifft. Er entwirft eine Vielzahl überzeugender Charaktere und ist auch für Überraschungen offen – so zeigt sich Dominos Verlobter, der Anwalt Joseph, als wesentlich sympathischer, als es zunächst den Anschein hat. Dazu kommt noch eine Fülle gelungener Sprüche und Gags.

Ein junges Genie also? Das Publikum beim renommierten Sundance Film Festival in Utah war jedenfalls begeistert und der prestigeträchtige Audience Award die logische Folge. So schön das für Cooper Raiff ist – noch schöner, ohne Zweifel, ist die Tatsache, dass Apple TV+, für viele ja inzwischen das bessere Netflix, den Film um satte 15 Millionen Dollar gekauft und kürzlich in sein Programm aufgenommen hat. Und auch sehr schön ist, dass der junge Mann nun mit Angeboten überhäuft wird. Demnächst soll die Amazon-Prime-Serie Exciting Times nach seinem Drehbuch und unter seiner Regie entstehen. In einer Talkshow hat Raiff übrigens beteuert, er werde nie einen Marvel-Film drehen. Warten wir es ab.