Matthew McConaughey über die extremen physischen Anforderungen die seine Rolle in „Dallas Buyers Club“ mit sich brachte, über die Vorurteile, die in den achtziger Jahren gegenüber AIDS vorherrschten und über seinen langen Weg zur Schauspielerei.
Bekommen Sie langsam wieder das normale Gewicht auf die Waage, das Sie vor den Dreharbeiten zu Dallas Buyers Club hatten? Sie sehen beängstigend dürr aus auf der Leinwand.
Matthew McConaughey: Ich hatte über die letzten drei Monate ein Gewicht von etwa 79 Kilo, aber normalerweise habe ich immer so um die 82 Kilo.
Wie viel haben Sie für den Film abgenommen?
Matthew McConaughey: Ich habe 21 Kilo abgenommen.
Was genau haben Sie gegessen?
Matthew McConaughey: Mehr als man denken würde. Ich habe mich verdammt gesund ernährt, in kleinen Mengen; knapp 150 Gramm Fisch mit einer Schale Gemüse zu Mittag, 150 Gramm am Abend.
Hatten Sie jemals Heißhunger?
Matthew McConaughey: Nein, ich hatte meine Mahlzeiten und ich dachte damals, dass da gerade etwas echt Verrücktes passiert. Mein Körper wusste Bescheid, er hatte die Nachricht verstanden, dass ich ihn nicht mehr ernähren würde. Es fühlte sich eigentlich so an, als würde mein Körper ganz von selbst Gewicht verlieren. Als ich das Gewicht erreicht hatte, das ich wollte und nicht noch mehr abnehmen wollte, begann ich, wieder mehr zu essen, aber mein Körper wollte immer noch Gewicht verlieren, weil er irgendwie so was wie Scheuklappen aufgesetzt hatte.
Was hat Ihre Frau von Ihrem Gewichtsverlust gehalten?
Matthew McConaughey: Sie meinte, ich wäre mit so wenig Gewicht ein großartiger Tänzer (lacht). Sie unterstützt meine Arbeit. Ich denke, sie ist glücklich, wenn ich wieder mein Normalgewicht habe, aber sie hat mich voll und ganz unterstützt.
Was am Drehbuch hat Sie am meisten eingenommen?
Matthew McConaughey: Ich habe es drei Jahre, bevor wir es realisiert haben, gelesen. Ich erinnere mich daran, wie ich damals notiert habe: „Mann, das Ding hat Biss!“ Wenn ich einen Film abgedreht hatte, sagte ich immer: „Wie wäre es, wenn wir Dallas Buyers Club als nächsten drehen?“ Aber es hat nie wirklich geklappt – dennoch habe ich das Drehbuch immer ganz oben auf dem Stapel meines Schreibtisches gelassen. Ich fand, dass die Geschichte unglaublich war. Dieser Typ Ron Woodroof, was der gemacht hat – Grundschulausbildung, Cowboy, Bullenreiter, Elektriker, Radau machender, heterosexueller Womanizer, wird HIV-positiv diagnostiziert und soll noch 30 Tage zu leben haben. Und innerhalb von sieben Jahren wird er zu einem absoluten Spezialisten für das HI-Virus und anderer Krankheitserreger. Er bringt sich alles selbst bei und betreibt Recherche, um mehr über die Krankheit zu erfahren und darüber, wie man ein gesünderes Leben führen kann. Dieser Outlaw, der genauso viel oder mehr weiß als die Ärzte – ich fand, das ist eine tolle Geschichte.
Was würden Sie tun, wenn Sie wüssten, dass Sie nur noch 30 Tage zu leben haben?
Matthew McConaughey: Ich wusste, dass diese Frage kommen würde (Lacht.). Ich weiß es nicht.
Ich bin mir sicher, dass Sie darüber nachgedacht haben …
Matthew McConaughey: Ach nein, ich denke nicht darüber nach. Was ich mich gefragt habe ist, was Ron davon halten würde. Zuerst beginnt er mit absoluter Verleugnung. Nummer eins: „Nein, das kann nicht sein, ich kann nicht HIV-infiziert sein, ich weiß nicht, wovon die reden“. Das entsprach Rons Naturell. Dann langsam schleicht sich die Tatsache in seine Gedanken, aber er bleibt bei der Verleugnung – und was tut er? Er haut ordentlich auf den Putz und feiert, aber man merkt, dass ihn etwas beschäftigt. Und dann beginnt er, zu recherchieren und sagt: „Oh, ich glaube, ich weiß, woher ich das haben könnte.“ Richtige Verzweiflung und Angst bekommt er erst, als er auf dem Weg nach Mexiko ist. Ich denke, das ist der Moment in dem es ihm einfährt: „Oh Gott, was, wenn das wahr ist?“ Und dann kommt diese große Emotion, die vielen Leuten hilft, länger zu leben: Wut. Bedingungslose Wut.
Wie schwierig war es Ihrer Ansicht nach für Ron, an AIDS erkrankt in Texas zu leben? Denn außerhalb von Austin ist die Mentalität ja eine andere.
Matthew McConaughey: Das hat nicht bloß mit Texas zu tun. Es war nicht nur der Süden. Man hat AIDS nur mit Homosexuellen verbunden. Ein Heterosexueller mit AIDS? Zu dieser Zeit gab es sehr wenige Leute, die daran glaubten, dass einer sehr wohl heterosexuell sein kann, wenn er diese Krankheit hat. Und verdammt noch mal, dieser Verdacht existiert heute immer noch. Aber damals, als das Neuland war und gerade erst einschlug und keiner es kannte und nicht einmal die Ärzte wussten, was sie damit anfangen sollten … Es gab alle möglichen Verschwörungstheorien darüber, woher es kam, wer es hatte, wer es bekommen konnte und wer nicht. Niemand hatte Antworten. Es gab niemanden im ganzen Land, der sich wirklich sicher war. Da kann man sich jetzt ungefähr ausmalen, wie das damals war.
Wie alt waren Sie damals?
Matthew McConaughey: Ich war 16, also kann ich mich nicht so gut daran erinnern, aber sogar als Magic Johnson damit an die Öffentlichkeit ging, gab es Spieler, die sich weigerten, mit ihm auf demselben Platz zu spielen. Keiner kannte sich aus. Man wusste nicht, ob man es von einem Handschlag bekommen konnte. Die Leute sagten: „Ja, das geht. Pass auf, du kannst die Person anschauen und es bekommen!” Es gab alle möglichen Tabus und Aberglauben, die kursierten. Niemand wagte es, eine fundierte Aussage zu treffen, indem er sagte: „Nein, das ist die Doktrin, das hier ist wahr, und das nicht.“ Es war eine einzige Gerüchteküche. Man konnte es vom Speichel bekommen, man konnte es vom Beineüberkreuzen bekommen, man konnte es übers Blut bekommen. Was, wenn man sich in den Finger schneiden und das Blut durch die Luft spritzen würde und es in dein Auge gelangen würde? Niemand hatte Antworten auf diese Fragen. Das war nicht nur im Süden, in Texas, so.
Waren die achtziger Jahre jene Zeit, in der Sie beschlossen haben, Schauspieler zu werden?
Matthew McConaughey: Nein, damals war ich Student im zweiten Studienjahr. Ich machte zunächst einmal den Führerschein und sparte Geld, um mir meinen ersten Truck zu kaufen – darüber war ich glücklich, das beschäftigte mich.
Stimmt es denn, dass Sie ursprünglich Rechtsanwalt werden wollten?
Matthew McConaughey: Ja, ich habe die High School abgeschlossen und bin dann für ein Jahr lang als Austauschstudent nach Australien gegangen, weil ich nicht genau wusste, was ich wollte.
Haben Sie sich tatsächlich Ihr Leben in Australien damit finanziert, Geschirr abzuwaschen?
Matthew McConaughey: Ich habe ein paar Teller abgewaschen, aber dafür bin ich nicht bezahlt worden. Ich hatte elf Jobs, aber das war keiner davon. So wie die meisten Kids wusste ich mit 18 nicht, was ich wollte. Meine Mutter wusste, dass ich Reisen mochte, und sie hatte diese Idee mit Australien. Also ging ich dort ein Jahr hin, kam zurück, besuchte die University of Texas in Austin und steuerte auf die juristische Fakultät zu. Gegen Ende meines zweiten Studienjahres machte mich diese Rechtsanwalts-Idee irgendwie nervös. Zu dieser Zeit wollte ich ins Geschichtenerzähl-Geschäft einsteigen. Wenn ich mich jetzt zurückerinnere und meine Tagebucheinträge lese, merke ich, dass ich mich mehr für das Schauspielen interessierte als ich mir damals eingestand. Ich fand aber, dass es nicht greifbar genug für mich war. Ich kam aus einer Gegend, in der man einen Job bekam und sich hocharbeitete. Ich ging auf die Filmschule, studierte hinter der Kamera, aber sogar damals sagte ich noch: „Ach, nein, ich will kein Schauspieler werden.“ Aber wenn ich mir heute überlege, wie ich damals Regie führte – ich ging immer vor die Kamera und zeigte den Schauspielern, was sie tun sollten. Ich spielte also eigentlich. Im Sommer 1992, zwischen meinem dritten und vierten Studienjahr, war ich zur richtigen Zeit in der richtigen Bar und traf den legendären Don Phillips.
Sie haben nie zu arbeiten aufgehört, und in den letzten Jahren wurden die Kritiker Ihnen gegenüber auf einmal wohlwollend. Machen Sie irgendetwas anders?
Matthew McConaughey: Ich strebe nach neuen Erfahrungen. Das zählt momentan bei meinen Entscheidungen am meisten. Welche Erfahrung werde ich dabei machen? Auf diese Entscheidung kommt es an. Richtung: „Okay, ich will etwas aussuchen, das mir ein wenig Angst macht und wo ich nicht genau weiß, was ich damit tun will, aber wo ich einfach nicht aufhören kann, daran zu denken.“ So könnte man es vielleicht beschreiben.
Sie bekommen sicherlich gern gute Kritiken, oder?
Matthew McConaughey: Natürlich. Nun ja, es gibt konstruktive gute, und konstruktive schlechte Kritik. Es gibt schlechte, wo der Autor die Kritik bereits geschrieben hat, bevor er den Film überhaupt gesehen hat. Er mochte mich einfach nicht. Es gibt auch gute Kritiken, die vorab geschrieben werden, weil man vielleicht jemanden so sehr mag. Ich habe all meine schlechten Kritiken gelesen (Lacht.).
Was hat Ihnen geholfen?
Matthew McConaughey: Ich blicke immer zurück, lese meine Tagebücher und überlege, wo ich zu dieser Zeit stand. Was habe ich geglaubt zu tun, im Vergleich dazu, was ich tatsächlich getan habe und was herausgekommen ist. Es gab immer eine Kluft zwischen diesen Faktoren. Was man denkt, was man tut, was ich als Schauspieler tun will, was tatsächlich mit der Kamera aufgezeichnet wird und was geschnitten, montiert und herausgegeben wird. Das Ziel war, diese Lücke dazwischen zu schließen, sodass ich den Film anschauen und sagen konnte: „Das ist genau das, was ich tun wollte“. Das ist das Ziel, wenn es so funktioniert, aber das tut es nicht immer. Deshalb werden die Leute Produzenten oder Regisseure, weil sie meinen „Ich will die totale Kontrolle über diese Einstellung“. Es macht Spaß, mit vielen kreativen Leuten zusammenzuarbeiten. Dann kommt es vor, dass man sich anschaut, was man gemacht hat und sagt „Oh, das ist mehr, als ich dachte, dass es sein würde“. Ich habe konstruktive Kritik bekommen, wo ich im Anschluss daran sagen konnte: „Guter Punkt. Er hat Recht.“
© 2014 Fabián W. Waintal / The Interview People