Das Internationale Filmfestival im südkoreanischen Busan ist das größte in Asien. Dieser Tage fand es zum 27. Mal statt.
Südkorea ist eine Weltgegend, in die es einen nicht allzu oft verschlägt. Vielleicht sind deshalb die Eindrücke, die man dort gewinnt, besonders stark, auch beim zweiten Besuch nach 17 Jahren Pause. Was sich in Busan, der zweitgrößten Stadt des Landes, nicht geändert hat, ist die unglaubliche Begeisterung für das Kino. Seit das Festival, längst das größte in Asien, 1996 quasi von Null auf 100 aus dem Boden gestampft wurde, saugt es wie ein übergroßer Staubsauger, die Bevölkerung, namentlich die jüngere, in die allesamt sehr schmucken Festivalkinos, besonders in das nicht ganz bescheidene Busan Cinema Center, das – Österreich-Bezug! – von den heimischen Architekturgrößen coop himmelb(l)au entworfen wurde und es wegen seiner kühnen Dachkonstruktion sogar ins Guinness Book of World Records geschafft hat. Die Unterseite des Daches zierte heuer des öfteren der Schriftzug von „Avatar“ – ein Hinweis darauf, dass Ausschnitte aus dem lang erwarteten zweiten Teil von James Camerons SciFi-Saga in Busan gezeigt wurden; Produzent Jon Landau stand Rede und Antwort. Im Grunde war das allerdings Etikettenschwindel, denn Hollywood ist seit jeher in Busan eher eine Randerscheinung.
Schlangen im Kino
Die filmische Beziehung zwischen der US-Traumfabrik und Südkorea war und ist eine durchaus ambivalente, galt und gilt das Land doch als eine der letzten Bastionen im Kampf gegen die wirtschaftliche Übermacht Hollywoods. Früher gab es sogar ein Quotensystem, das es den lokalen Kinos finanziell schmackhaft machte, statt dem x.ten Blockbuster aus den USA lieber einheimische Filme zu spielen. Wie es heißt, haben vor noch nicht allzu langer Zeiten Aktivisten in Kinos, die da nicht mitmachen wollten, Schlangen (!) ausgesetzt. Hollywood jedenfalls lief gegen die Quote Sturm, mit wenig Erfolg. Inzwischen, man weiß es, hat Korea auch zurückgeschlagen und 2020 mit Bong Joon-hos Parasite einen Vierfach-Oscar-Knüller geliefert, der weltweit gefeiert wurde. Auch auf dem Gebiet der Streaming-Serien (man denke etwa an Squid Game) ist man global längst mit an der Spitze.
Preisregen
Zurück nach Busan: Die Eröffnung ist sehr groß und wird von einer begeisterten Menschenmenge vor dem Cinema Center zelebriert. Für alle Stars und wichtigen Player des einheimischen Kinos ist es ein Pflichttermin, in Busan über den Roten Teppich zu gehen, dabei wurde gar kein koreanischer Film zur Eröffnung gezeigt, sondern der iranische Beitrag Scent of Wind von Hadi Mohaghegh. Wichtiger noch: Die Kinos sind voll, voller, am vollsten, auch bei schwieriger Kost wie R.M.N., Cristian Mungius bitterer Abrechnung mit Fremdenfeindlichkeit und lokaler Dummheit in Rumänien/Europa. Sein Film lief in einer Reihe namens „Icons“, die ihren Titel zurecht trägt, versammelt sie doch alles, was international Rang und Namen und gerade einen neuen Film hat, von Park Chan-wook (Decision to Leave) über Alejandro González Iñarritu (Bardo) und Noah Baumbach (White Noise) bis hin zu Kore-Eda Hirokazu (Broker, mit den koreanischen Top-Stars Song Kang-ho und Bae Doo-na) und David Cronenberg (Crimes of the Future). Aber die Filme der Regie-Größen des internationalen Kinos sind nur der Zuckerguss auf der üppigen Torte, die in Busan serviert wird.
Denn Preise verliehen werden nur an asiatische Filme. Der wichtigste Wettbewerb ist jener mit dem bezeichnenden Titel „New Currents“ für jüngere Filmschaffende. Relativ neu und ähnlich prestigeträchtig ist der Kim Jiseok Award, benannt nach dem allseits verehrten Festival-Mitbegründer, der im Mai 2017 während der Filmfestspiele in Cannes im Alter von nur 58 Jahren verstarb. Dazu gibt es eine Flut an Preisen von diversen Organisationen und Sponsoren und, als besondere Auszeichnung, den Asian Filmmaker of the Year Award. Damit wurde diesmal Tony Leung Chiu-wai geehrt, der Star vieler großartiger Filme von Wong Kar-wai und zuletzt mit Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings auch in Hollywood ins Rampenlicht gerückt. Der auch in Korea ungemein beliebte Hongkong-Schauspieler stellte sich einem öffentlichen Gespräch mit dem Publikum, das schon rein akustisch im gesamten Festivalgelände wahrnehmbar war: Die Begeisterung der vor allem weiblichen Fans war unüberhörbar.
Heldinnen und Helden des Alltags
Den New Currents Award teilten sich in diesem Jahr das koreanische Drama A Wild Roomer von Lee Jeong-hong, der auch mehrere andere Preise erhielt, und der indische Film Shivamma von Jaishankar Aryar. Beide Produktionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie betont unspektakulär sind und das Leben „ganz normaler“ Leute in den Mittelpunkt stellen, eine Beobachtung, die man auch bei zahlreichen anderen Filmen machen konnte. Trotz gelegentlicher „Ausreißer“ in den Genrefilm, da vor allem Horror und Mystery, war die Tendenz hin zum Bodenständigen auffällig. Das gilt auch für die beiden Kim-Jiseok-Preisträger, den schon erwähnten Scent of Wind, in dem ein Elektriker von Dorf zu Dorf im Iran reist, um kleinere Schäden zu reparieren – Nachbarschaftshilfe sozusagen statt großer Dramatik. In Alteration beschäftigt sich Regisseur Yalkin Tuychiev mit dem Schicksal eines usbekischen Afghanistan-Veteranen.
Als beste Schauspielerin wurde Kim Geumsoon ausgezeichnet, die in Star of Ulsan eine einfache Werftarbeiterin spielt, die mit den wirtschaftlichen Folgen der Krise im Schiffsbau (einst stolzer Vorzeige-Wirtschaftszweig Südkoreas) zu kämpfen hat, ebenso wie mit der Entfremdung von ihren beiden erwachsenen Kindern, die gänzlich andere Ziele im Leben verfolgen. Bester Schauspieler wurde Kim Youngsung aus dem famosen Big Sleep von Kim Taehoon, in dem ein Arbeiter einen jungen Obdachlosen bei sich aufnimmt, dessen turbulente Vergangenheit ihn wohl an seine eigene erinnert – auch dies ganz und gar ein Film über einfache Leute.
Ganz wichtig: In Busan dreht sich nicht alles um die fertigen Filme, im Gegenteil. Ein großer und bedeutender, für die Öffentlichkeit sozusagen unsichtbarer Teil des Festivals ist der Zukunft gewidmet. In zahllosen Meetings, Panels, Pitchings, in Koproduktions-Treffen und Konferenzen wird an künftigen Projekten gearbeitet, sehr viele davon in Kooperation zwischen den asiatischen Ländern, ganz ohne europäische oder US-amerikanische Beteiligung. Der Weg ist, wie die vergangenen 27 Jahre des Busan Film Festivals gezeigt haben, ein äußerst erfolgversprechender.