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Das Tier im Dschungel

Filmstart

Das Tier im Dschungel

| Jakob Dibold |
Patric Chiha formt Henry James’ Parabel zu einer außergewöhnlichen audiovisuellen Reise

Ein Wiedersehen nach zehn Jahren: Die fabulös gestylte May spricht im Nachtclub den zurückhalten-den John an – man habe sich doch  schon einmal getroffen. Intensität gewinnt die unverhoffte Begegnung sofort durch die Erinnerung an ein Geheimnis, das John May bei ihrem ersten Aufeinandertreffen anvertraute. Bis heute ist sie die einzige, die weiß, dass John überzeugt davon ist, das ein alles veränderndes, schicksalhaftes Ereignis auf ihn wartet. Und sie glaubt ihm auch. Es ist die faszinierende Kurzgeschichte „The Beast in the Jungle“ von Henry James, die diese Prämisse liefert, und hinsichtlich der Dialoge sowie des dramatischen Beziehungsendes zwischen den beiden Hauptfiguren ist Patric Chihas neuer Spielfilm mitunter eine sehr „treue“ Literaturverfilmung. Und doch ist alles anders: Diese beiden durch ihre Faszination für ein rätselhaftes Unbekanntes untrennbar verbundenen Menschen treffen sich über die vielen Jahre hinweg (beinahe) ausschließlich im erwähnten Club, einer magisch anmutenden Sphäre
schillernder Ekstase und unwiderstehlicher Alltagsflucht. Die Gäste verändern sich, die Musikgenres ebenso, und die Welt dreht sich zwar weiter, in gewisser Weise aber nur draußen. Spielt sich hier das wahre Leben gar im künstlichen ab, im Unterschlupf vor der Welt und ihrer Uhr bietenden, ewigen Fest?

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Anaïs Demoustier und Tom Mercier verleihen ihren Charakteren knisternde Vitalität und drehen sich im dauerhaft von Beats, Bässen und Synths durchfluteten Raum wunderbar in Kreisen, finden immer wieder unweigerlich zueinander. Sie warten auf das Lauernde, oft als Betrachtende oben auf einem edlen Balkon, der den Dancefloor überblickt und die Scharen, die sich auf ihm gemeinsam den Klängen hingeben. Dass Das Tier im Dschungel die sehnsüchtigen Lebensfragen Henry Millers so eindringlich in ein filmisches Kunststück transformiert, ist dem Miterzählen des Clubs als Ort vieler Spielarten menschlichen Verlangens zu verdanken. Behütet von einer geister- wie engelhaften Béatrice Dalle als Türsteherin nehmen in der schlussendlich doch nur scheinbar zeitlosen Diskothek mehr als bloß zwei Biografien Wendungen. Ebenso wie an das Nachtleben ist der Film eine prächtige, von einer wohlüberlegt spielerischen Bildgestaltung getragene Ode an das Kino; all dies sich rankend um ein poetisches Psychogramm, das eher als von einer Folie à deux schlichtweg von fundamental menschlichen Wünschen spricht.