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Der Mann, der seine Haut verkaufte

Filmkritik

Der Mann, der seine Haut verkaufte

| Maxi Braun |
Herrlich widerborstige Satire

Der Song „Kunstwerk“ der deutschen Elektro-Punk-Band Supershirt von 2011 ist ein ironischer Abgesang auf die Kunstwelt. Im Refrain heißt es: „Nur weil es nervt, ist es noch keine Kunst!“ und das trifft durchaus auch auf den widerborstigen Helden in Kaouther Ben Hanias L’Homme qui a vendu sa peau zu. Die Geschichte ist von dem belgischen Konzeptkünstler Wim Delvoye inspiriert, der 2006 den Rücken von Tim Steiner tätowierte und das Motiv an einen Privatsammler verkaufte. Steiners Post-mortem-Häutung ist im Testament verfügt, bis dahin ist er vertraglich verpflichtet, mehrere Wochen pro Jahr das Werk auf seinem Rücken öffentlich auszustellen.

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Die Regisseurin verwebt diese Anekdote mit dem Krieg in Syrien und Kritik an der europäischen Migrationspolitik. Im Film unterbreitet Künstler Jeffrey Godefroy dem Geflüchteten Sam einen ähnlichen Deal: Sam will zu seiner Ex-Verlobten nach Belgien, hat aber keine Aussicht auf ein Visum und willigt ein, sich das formatfüllende Abbild eines Schengen-Visums auf den Rücken tätowieren zu lassen. Denn: „Waren zirkulieren in dieser Welt leichter als Menschen“, merkt Godefroy mephistophelisch lächelnd an.

Doch Sam entpuppt sich bald als eigensinniges Artefakt und fügt sich alles andere als widerstandslos in seinen Objektstatus. Der zornige junge Mann will ein Ritter in strahlender Rüstung sein, um die Frau, die er liebt zu retten – und verzettelt sich doch in Scharmützel, die ihm nur kurzfristig Genugtuung verschaffen. Yahya Mahayni in der Titelrolle trägt diese Geschichte, obwohl er nicht durchwegs Sympathieträger der Handlung ist, und wurde dafür zu Recht 2020 bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Orrizonti-Darstellerpreis ausgezeichnet. Seine und die Qualität des Films liegen darin, sich einer einfachen Lesart zu verweigern. Über jede der von Christopher Aoun kunstvoll arrangierten Einstellungen legt sich so der Zweifel darüber, wer hier eigentlich wen benutzt.

Visuell schwelgt die Bildsprache ironisch im Sujet: Wenn Sam wie eine antike Vase drapiert wird, exponiert ihn der Film vor den Blicken der Museumsbesucher und vor unseren eigenen gleich doppelt. Eine ganz ätzende Satire ist L’Homme qui a vendu sa peau nicht. Die Absicht, Kunst und Krieg zu verbinden und in ein und derselben Geschichte der Lächerlichkeit preiszugeben, geht nur teilweise auf. Der Verzicht auf den moralischen Zeigefinger zugunsten von Zwischentönen sowie eine Prise Humor machen Ben Hanias Film aber zu einer gelungenen Satire um einen herrlich widerborstigen Helden, der nervt, und gerade dadurch zur Kunst wird.