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Fabian oder Der Gang vor die Hunde | Interview

Der Mann der Stunde

| Pamela Jahn |
Keine Allüren, viel Talent: Albrecht Schuch über seine Zusammenarbeit mit Dominik Graf bei „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“, über das Körperliche und das Persönliche seiner Figuren, und darüber, warum die Altersfrage in der Filmbranche komplett fehl am Platz ist.

Albrecht Schuch ist schwer zu fassen. Buchstäblich. Drei Filme hat er in diesem Jahr im Kino. Zudem ist er für seine Rolle in Dominik Grafs Kästner-Verfilmung Fabian oder Der Gang vor die Hunde, die im März im Rahmen der Berlinale seine Weltpremiere feierte, als einer der zehn «European Shooting Stars» nominiert, die das Festival alljährlich ins internationaler Rampenlicht rückt. Aber eigentlich geht es bei Schuch schon seit seinem bemerkenswerten Auftritt als Antiaggressionstrainer Micha in Nora Fingscheidts Systemsprenger (2019) rund. Wer ihn zum Gespräch bittet, muss geduldig sein. Trifft man den Mitte Dreißigjährigen jedoch erst einmal unter vier Augen, scheint aller Termindruck verschwunden, nimmt er sich Zeit und ist die Ruhe selbst. Dieser Kontrast passt zu dem ursprünglich aus Jena stammenden Schauspieler, der am liebsten komplexe, vielschichtige, oft verkopfte Figuren spielt, denen er auf der Leinwand stets eine bemerkenswerte Präsenz und markante Körperlichkeit verleiht. Nachdem er zunächst am Theater, dann unter anderem als «Bad Banker» Adam Pohl im Fernsehen einige Aufmerksamkeit erregte und anschließend mit Systemsprenger durchstartete, war er im vergangen Jahr als buckliger Reinhold in Burhan Qurbanis Neuadaption von Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz zu sehen und damit die eigentliche Sensation des Films. Im Herbst spielt er nicht nur unter der Regie von Philipp Stölzl in dessen Schachnovelle nach Stefan Zweig, sondern verkörpert in Lieber Thomas zudem den großen deutschen Schriftsteller Thomas Brasch – auch das eine Figur, die ihm mindestens genauso gut steht wie die des verlorenen Poeten Stefan Labude in Grafs Fabian, der sich in den Wirren der Weimarer Republik nicht mit seiner gottgegebenen Position im Leben zufrieden geben will.

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Herr Schuch, mit Dominik Graf zu drehen, gilt als besondere Erfahrung. Wie muss man sich Ihre erste Begegnung vorstellen? Welche Erwartungen hatten Sie an die Zusammenarbeit?
Albrecht Schuch:
Das erste, was ich von Dominik Graf bekommen habe, war eine E-Mail, wie aus einer anderen Zeit, weil man es heute nicht mehr gewohnt ist, so toll formulierte Brief zu lesen von Menschen, die man nicht kennt. Und da war jemand, der hat so geschrieben, wie ich früher immer mein Tagebuch hätte schreiben wollen. Aber es klang gar nicht verstaubt. Er hat mich direkt gefragt, ob ich mit ihm diesen Film machen will, ohne ein Casting. Und ich habe mich natürlich sehr geehrt gefühlt, habe ihm aber dann auch zurückgeschrieben, dass ich ihn gerne vor einer endgültigen Zusage treffen wollen würde, weil ich das bräuchte, um zu wissen, ob es wirklich wir beide sind, die diese Geschichte gemeinsam erzählen sollten. Wir haben uns daraufhin in der Münchener Villa Stuck getroffen und sind durch den Park spaziert, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Man blieb stehen, schaute sich an. Auch diese Begegnung hatte etwas sehr Poetisches, Erhabenes, aber nicht im überheblichen Sinn. Wir kamen dann bald auf den Friedhof, wo Kästner liegt, und Fassbinder, und wo auch Dominik Grafs Eltern begraben sind. Und er erzählte mir die ersten Anekdoten darüber, wie und wo er Kästner auch mal persönlich getroffen hat. Da war mir dann sehr schnell klar, warum er diesen Film machen musste und ich gerne ein Teil davon sein wollte, weil er trotz allem, was er in seinem Leben erreicht hat, nicht aufhört, bei sich zu bleiben.

Fabians Freund Stefan Labude ist eine extrem zerrissene Figur. Er steht zwischen zwei Lebenskonzepten: zum einen der Traum vom romantisch-poetisch-politischen Schriftsteller, zum anderen der Druck des Juristen-Vaters, in seine Fußstapfen zu treten. Liegt darin der große Konflikt, an dem er scheitert?
Albrecht Schuch: Die Zerrissenheit in Bezug auf die zwei Lebenskonzepte ist nur ein Teil von dem, was die Figur Labude ausmacht. Das steckt noch mehr dahinter. Es sind ja so viele Einflüsse, die ihn beschäftigen. Er würde beispielsweise sehr gerne auch so frei und unbekümmert auf die Welt schauen können, wie es zum Beispiel Fabian tut. Mit diesem Abstand, der nicht so emotional verknüpft ist, sondern zumindest versucht, das Ganze etwas pragmatischer zu betrachten.

Können Sie sich damit auch ein Stück weit selbst identifizieren? Sie wirken als Mensch eigentlich recht bodenständig.
Albrecht Schuch: Für mich als Schauspieler ist so eine konfliktbeladene Figur natürlich wunderbares Futter, um Ambivalenzen herzustellen, eine Vielschichtigkeit zu erzeugen, um einen Traum gegen eine Realität zu stellen, oder Dämonen gegenüber den Drang, ein guter Mensch sein zu wollen. Ich glaube, der Beruf hat mich in der Hinsicht ruhiger gemacht, der Austausch, der Umgang mit solchen Charakteren. Aber ich habe beides in mir, das Ruhige oder Bodenständige, wie Sie es nennen, und eine innere Unruhe, wie die, die Labude zerfrisst. Aber wahrscheinlich trifft das auf jeden von uns zu. Ich kenne keinen Menschen, der nicht manchmal auch an sich verzweifelt und sich in Frage stellt. Da sind wir uns alle ähnlich. Das sind die Zitate einer Naturgewalt in uns, die uns wetterhaft von hell und dunkel, vom Lachen zu Weinen und mit allen möglichen Schattierungen dazwischen überfallen können, und zwar in den unterschiedlichsten Situationen. Und ich finde es schön, dass es in einer Zeit, in der es so viel um Selbstoptimierung geht und darum, einem Anspruch an Perfektion zu folgen, der nichts Natürliches mehr hat, dass man da eine Figur wie Labude hat, um sie dem dagegenzusetzen. Dass das Kino die Kraft hat, mit Figuren wie diesen daran zu erinnern, dass wir – vielleicht bis ans Ende unseres Lebens – immer auf der Suche sind und bleiben. Das kann auch sehr schön sein.

Dominik Graf arbeitet in seinem Film viel mit dem Kästners Originaltext. Wie hat sich das auf Ihr Spiel ausgewirkt?
Albrecht Schuch: Labude ist eigentlich ein Poet, einer, der eine Rolle in der Welt spielen möchte, die was mit Literatur und Politik zu tun hat, aber letztendlich ist das literarische Werk sein Abschiedsbrief. Und das hat so eine urkomische Kästnerische Art und Weise mit ins Spiel gebracht, die mich auch selbst aufgefangen hat vor so einer Bedeutungsschwangerhaftigkeit, was den Text angeht. Deshalb finde ich Kästner auch so toll, weil der Roman so wenig didaktisch funktioniert, sondern immer von einer Leichtigkeit getragen wird, sich auch über sich selbst amüsieren kann. Und trotzdem vermittelt er gleichzeitig stets den Eindruck: Dein Gefühl zählt!

Ist Labude auch an der Epoche zugrunde gegangen, in der er lebt? War er seiner Zeit voraus oder hinterher?
Albrecht Schuch: Ich glaube, so Zweifler wie Labude haben es in der heutigen Gesellschaft teilweise auch sehr schwer. Und das, obwohl wir uns menschlich total mit ihm verbunden fühlen. Aber wenn wir von einer Leistungsgesellschaft ausgehen, dann hat es allzu oft keinen Platz, Leute auszuhalten, die Stopp sagen, weil sie Fragen haben und weil sie sich in dieser Verkürztheit, die heute herrscht, nicht äußern können. Es geht heute nur noch darum, alles so schnell wie möglich auf den Punkt zu bringen. Und so eine Zeit des Suchens ist immer weniger anerkannt. Anderseits darf man auch nicht vergessen, dass Labude durch den Krieg noch mal eine ganz andere Erfahrung gemacht hat, dass er Bilder und Dämonen in sich trägt, die er niemals loswerden kann. Da wage ich es eigentlich kaum, einen Vergleich herzustellen.

Sie versuchen sich oft über das Tanzen an Ihre Figuren anzunähern. Wie muss man sich das vorstellen? Und wie haben Sie sich in den letzten Monaten beholfen, als das Tanzen im Club pandemiebedingt nicht mehr möglich war?
Albrecht Schuch: Ja, ich liebe es, beim Tanzen im Club in der Masse zu verschwinden und dann in den Text zu gehen. Während der Corona-Phase sind zwei Projekte entstanden, und insbesondere bei All Quiet on the Western Front unter der Regie von Edward Berger bin ich durch die Körperlichkeit der Figur, die ich spiele, in der Art wie sie sich bewegt auch auf eine Art Tanz gekommen. Also darüber wie dieser Stanislaus Katczinsky läuft oder was ihn krümmt, was ihn breitbeiniger macht oder schmalschultrig. Aber es stimmt, das ist diesmal nicht durch eine Party oder einen Abend im Club entstanden, der ein alleiniges Rumtanzen ermöglicht, wie ich es sonst liebe.

Für den bösartigen Reinhold in der Adaption von „Berlin Alexanderplatz“ markierten Sie sogar einen Buckel und hinkten, um Ihr Umfeld zu täuschen. Worum ging es Ihnen bei dieser Figur ganz konkret?
Albrecht Schuch: Ich hinterfrage bei jeder Rolle, die ich spiele, den Körper – oder den Habitus, und da gehört der Körper natürlich dazu. Und bei Reinhold war es eine ganz klare Entscheidung von mir, von außen nach innen zu gehen, von der Oberfläche und deren Körperlichkeiten zum Innenleben des Charakters vorzudringen. Ein Grund dafür lag darin, dass uns bewusst war, dass es auch eine theatrale Überzogenheit in der Figur geben muss, wo man vielleicht an die Grenze des filmisch Ertragbaren oder der Sehgewohnheit gerät, die wir kennen. Dass er zum Spieler wird, sich selbst zur Marionette macht. So dass man als Zuschauer immer nur erahnen kann, was tatsächlich in ihm vorgeht.

Auf der anderen Seite ist Micha inSystemsprenger“ eine sehr intime, persönliche Rolle – was steckt von Ihnen in dieser Figur?
Albrecht Schuch: Zum Beispiel mein Blick im Umgang mit Kindern, den ich an meinen Erfahrungen während der Zivildienstzeit geschult habe. Was ich da gelernt habe, ist, dass Kinder von der ersten Stunde an in der Lage sind, alles wahrzunehmen. Und finde ich, sie werden in der Hinsicht viel zu oft unterschätzt. Man schaut auf sie eher herab, als dass man sie gleichrangig auf Augenhöhe betrachtet und entsprechend mit ihnen kommuniziert. Dabei ist das Einzige, was Kindern manchmal fehlt, die Art und Weise, sich auszudrücken, die Worte. Aber das Gefühl ist vorhanden. Und vielleicht sind Kinder in dem Sinne auch eigentlich viel weiter, weil sie eben nicht an die Limitierung von Sprache gebunden sind. Ich bin, auch wenn das im Gespräch schwer vorstellbar ist, auch grundsätzlich ein großer Fan des Ungesagten. Ich weiß nicht, ob das was Persönliches ist, aber ich kann Schweigen sehr gut aushalten. Und ich liebe es auch total als Zuschauer, wenn in einem Film eher weniger gesprochen wird, weil mehr Raum bleibt und weil Worte eben nicht immer das ausdrücken können, was man vielleicht eigentlich meint oder fühlt. Micha ist ja auch kein großer Redner. Und deshalb war er mir auch so nah.

Wie muss man sich Albrecht Schuch als Kind vorstellen?
Albrecht Schuch: Wie alle Kinder habe ich versucht die Grenzen auszuloten, auch die emotionalen. Und ich war auf jeden Fall damals schon sehr körperlich, habe mir ständig was aufgerissen. Zum Beispiel die Narbe, die Benni in Systemsprenger findet, während Micha schläft, das ist meine Narbe. Als ich sechs war und im Pferdestall gegen einen Balken gesprungen bin, habe ich mich tatsächlich halb skalpiert. Auf der anderen Seite erzählt mir meine Mutter, dass mir in der ersten Klasse das ganze Gewusel der Mitschüler auf dem Schulhof oft zu viel war. Ich habe dann lieber im Treppenhaus gesessen und gewartet, bis sie kommt. Mir war das draußen alles zu laut. Und ich glaube, das habe ich mir beibehalten, diese Dualität. Ich bewege mich bis heute stets zwischen diesen beiden Extremen.

Corona hat seine Opfer gefordert, vor allem auch Filmfestivals waren davon betroffen. Wie haben Sie nach dieser lange Zeit des Ausharrens etwa das Bildrausch-Filmfest Basel erlebt, wo Fabian im Juni seine Schweizer Premiere live im Kino und vor Publikum feierte?
Albrecht Schuch: Der Ort ist toll, das Festival auch. Vor allem hatte ich dort zwei, drei solcher Begegnungen, wie ich sie sonst nur von Castorf Inszenierungen aus der Volksbühne kenne. Wo es überhaupt kein Problem ist, auch mal einige Minuten abzudriften, weil manche Filme, die dort gezeigt wurden, sich ganz toll Zeit lassen. Dadurch das ein Dreh verschoben wurde, war ich ausnahmsweise ohne Arbeit in Basel und konnte ein paar Tage wirklich komplett abschalten. In der Hinsicht war das Festival auch Fortbildung im leichtesten und entspanntesten Sinne. Vor allem das Poetische, das vielen Filmen dort eingeschrieben war, ist für mich die Überschrift für dieses Filmfest insgesamt.

Und das trifft ja auch auf „Fabian“ zu.
Albrecht Schuch: Ja, auf jeden Fall. Bei der Premiere wurde das im Nachgespräch auch von vielen Menschen beschrieben, das Poetische. Und um noch mal auf ihre erste Frage zurückzukommen: Mir ging es am Anfang ja auch schon so, in der Begegnung mit Dominik Graf. Ich habe sofort gemerkt, dass er im Grunde gar nicht an dieser Verfilmung scheitern kann, weil er nicht nur an einer adäquaten Umsetzung vom Roman zum Drehbuch interessiert ist, sondern an Kästner angelehnt seine eigene Handschrift, seine eigene filmische Sprache findet. Und das ist extrem wichtig, finde ich.

Sie sind in diesem Jahr einer der zehn European Shooting Stars, die ihm Rahmen der Berlinale gefeiert wurden. Dabei stehen Sie bereits seit 20 Jahren auf der Bühne und seit zehn Jahren vor der Kamera. Wie viel Nachwuchseuphorie steckt heute noch in Ihnen?
Albrecht Schuch: Menschen wie Dominik Graf oder auch August Diehl, um hier nur zwei Beispiele zu nennen, faszinieren mich, weil sie so sind, wie sie sind. Weil sie sich nicht für den Ruhm entschieden haben, sondern dafür, Geschichtenerzähler zu sein. Und wenn man solche Vorbilder hat, kann man eigentlich nie genug Euphorie verspüren. Darüber hinaus finde ich es schön und wichtig, dass man bei den European Shooting Stars die Altersfrage eben nicht stellt. Sie wird sowieso viel zu häufig vorgeschoben und das vollkommen zu Unrecht. Es spielt keine Rolle wie alt jemand ist, Punkt aus. Es geht in dem Zusammenhang ja immer auch darum, ob man mit der Schauspielerin oder dem Schauspieler noch genügend Geld machen kann, ob die oder derjenige noch „frisch“ genug ist. Aber das ist der falsche Ansatz. Also immer diese Verbindung herzustellen, wer ist neu, wer ist „in“, die Frage ist hier völlig fehl am Platz. Und warum wir uns in dieser Branche trotzdem stets und ständig mit solchen Limitierungen befassen, ist mir ein Rätsel. Denn neu und frisch kann im Endeffekt auch ein erfahrener Regisseur wie Dominik Graf immer wieder sein – Fabian oder der Gang vor die Hunde ist dafür der beste Beweis.