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Filmkritik

Diamantino

| Roman Scheiber |
Absurde Satire auf EU-Austritt, Flüchtlingskrise, Adoptionsgelüste, Steuerflucht, Gentechnik und CR7

Dieser Film hätte wunderbar in die Reihe „Propositions“ gepasst, mit welcher der verstorbene Viennale-Direktor Hans Hurch einst „ausgewählte Beispiele eines anderen Kinos“ in einen losen Zusammenhang setzte: avancierte, radikale, mindestens ungewöhnliche Arbeiten, die sich abseits eines antizipierten Publikumsgeschmacks auf ungesichertes Terrain wagen. Anders ausgedrückt: „really fucking crazy stuff“, wie es beim Festival in Cannes hieß, wo die mehrfach kurzfilmerprobten Abendfüller-Debütanten Gabriel Abrantes und Daniel Schmidt gleich einmal den Großen Preis der Semaine de la Critique erhielten.

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Diamantino beginnt mit einer absurden Sequenz, endet in einem bizarren Showdown, und hat dazwischen jede Menge Verrücktes zu bieten. Worum es geht, lässt sich gar nicht so leicht in eine kompakte Kritik fassen, denn es geht um viel, wenn nicht gar ums Ganze, nämlich um Liebe, Geschlecht und Politik. Dem offenkundig an den x-fachen Weltfußballer Cristiano Ronaldo angelehnten Titelhelden eignet etwas Forrest-Gump-haftes, ihm widerfährt, in kursorischen Auszügen: Versagen beim Fußball-WM-Finale, wo er samt fluffiger Riesenpekinesen aus allen rosa Karrierewolken fällt; Adoption eines aus Afrika geflüchteten Knaben, der sich als lesbische Steuerfahnderin entpuppt; Rekrutierung als Marketing-Testimonial für eine EU-Austrittskampagne seiner Regierung; Rekrutierung als gentechnisches Versuchsäffchen, um seine fußballmotorische Genialität kopierbar zu machen, was jedoch in Verweiblichung mündet.

Aber warum lässt der Multimillionär Diamantino all das mit sich machen? Weil er im Grunde harmlos ist wie ein Welpe und eigentlich nur Gutes tun will. Das Sagen hingegen haben hier die Frauen: eine Ministerin im Rollstuhl, eine Gentechnik-Institutsleiterin, die Steuerfahnderin und deren eifersüchtige Liebhaberin, und nicht zuletzt Diamantinos giftig gleichgeschaltete Zwillingsschwestern, die sich den Bruder mehr oder weniger wie ein Offshore-Aktienpaket halten und mit reaktionären Kräften paktieren.

Ob man es nun als Sci-Fi-Romanze oder Popstar-Anachronismus oder Gesellschaftssatire betrachtet: In seinem anarchischen Gestus, mit seinen kunstholzgeschnitzten Hyperrealfiguren und in seiner fallweisen 16mm-Ästhetik wirkt Diamantino ein wenig wie die aktuelle portugiesische Variante des sozialutopisch geprägten Guerilla-Kinoschaffens der 1970er Jahre, nur weniger theoretisch und dafür unterhaltsamer. Wie sagte Wittgenstein: Die profundesten Probleme können nur in der Form des Witzes diskutiert werden.