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Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin

Filmstart

Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin

| Jakob Dibold |
Filmischer Freifahrtschein, selbst ausgestellt

 

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Martha von Mechow macht lang schon Theater, hat Film studiert und zum Glück aller, die sich für solche Dinge interessieren, mit einem tollen Team und wenig Geld eine Art Roadmovie, oder Reiseessay, oder etwas ganz anderes, jedenfalls sehr Bewegliches hergestellt, das man im Kino anschauen kann. Falls schon bei der Viennale 2023 geschehen, wo sich das Hergestellte den Erste Bank Filmpreis verdient hat, dann einfach noch einmal.

Es ließe sich sagen: Zwei Schwestern finden einander wieder. Die Mutter ist verschwunden, die jüngere Flippa stöbert nach Jahren Furia auf, die im Dörfchen Barranconi mit einer unaufgeregt (e)utopistischen Gruppe von Frauen und Kindern zusammenlebt und das gut. Hier wird wider die Einengung der eigenen Existenz gelebt, hier wird miteinander füreinander gesorgt, ein spontan auf Besuch gekommener Boyfriend sorgt da eher für Kopfschütteln. Trotzdem Flippa und Furia endlich wieder beisammen weilen, also, mit allerlei Textil- und Kettenramsch erster Güte behangen, in entrückten Sprechkaskaden sich gegenseitig über das Große und das Kleine der Welt befragen, so oft ein Gedanke eben raus muss, ist der nächste Abschied nicht weit. Für Flippa steht dann eine Weiterfahrt nach Korsika im Raum, einen jungen Mann gibt es, der das auch will. Doch erst einmal will bei Ausblicken auf Horizonte aus eventuell romantischen Ruinen heraus Jane Austen analysiert werden. Und dann ist da noch ein Bub in Obhut. Den darf man ja nicht einfach so stehenlassen. Oder?

Die Choreografien des Halbzufalls, die von Mechow und ihre Mitstreiterinnen – den jüngeren Künstlerinnen zur Seite wirken etwa Inga Busch und Susanne Bredehöft, übrigens nicht ohne Kettensäge –, in mindestens doppelter Verweigerung von High Definition als gemeinsames Ganzes aus Gedanken über Töchter, Schwestern, Mütter und sonstige Zwangs- und Wahlverhältnisse vorschlagen, sind aber in derart bestem Sinne zerfleddert und farben-schadenfroh schillernd, dass sie damit kaum angemessen beschrieben wären.

Ein Grundproblem des von uns allen mitgestalteten Abschnitts der Menschheitsgeschichte heißt hier „heterosexueller Knoten“. Die Figuren können ihn nicht gänzlich lösen, eigentlich ist er in diesem Film jedoch schon so abrupt zum Verpuffen, zum Zu-Staub-Zerfallen bestimmt, wie er begriffsgeknüpft wurde; die gebundene Schnur zerrieselt, rieselt sich zur aufgeweckten Wanderdüne, die neben konkreteren Einflüssen auch Ottinger und Pasolini lose herzitiert. Es sollte angeschaut werden im Kino, dieses Spielfilm-Experiment, das einer nur im Traum erfüllten Sehnsucht gleicht: ein wunderbarer Erfolg, weil nicht verlässlich reproduzierbar.