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Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

Die DNA des Rechtsstaates

| Jörg Schiffauer |
Mit dem auf wahren Begebenheiten beruhenden „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ zeigt Andreas Dresen einen ungeheuerlichen Umgang mit Grundrechten auf.

Ausgerechnet an dem Feiertag, der daran erinnert, dass mit der Wiedervereinigung Deutschlands alle Bürger im Geltungsbereich des Grundgesetzes stehen und damit eben über unveräußerliche Rechte verfügen, nehmen jene Ereignisse ihre Anfang, die diesbezüglich mehr als nur ein paar Fragen aufwerfen. Am 3. Oktober 2001 muss Rabiye Kurnaz, die vor vielen Jahren aus ihrer türkischen Heimat nach Deutschland gekommen ist und mit ihrer Familie in einem Reihenhaus im beschaulichen Bremen-Hemelingen lebt, feststellen, dass ihr ältester Sohn Murat über Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Das wäre bei einem jungen Mann von 19 Jahren nicht wirklich besorgniserregend, doch Rabiye hat eine ungute Vorahnung, die sich bald bestätigen soll. Denn Murat ist nach Pakistan gereist, um dort eine Koranschule zu besuchen. Der frisch Verheiratete möchte sich – wie er später zu Protokoll geben wird – so auf seine Ehe vorbereiten, da seine Frau aus der Türkei demnächst in Deutschland erwartet wird. Doch weil ihr Sohn in Bremen wiederholt eine Moschee aufgesucht hat, die im Verdacht steht, radikale Botschaften zu verbreiten, schwant Rabiye nichts Gutes. Die Anschläge von 9/11 liegen zu diesem Zeitpunkt erst wenige Wochen zurück, die Gefahr, als Muslim unter Generalverdacht zu stehen, ist durchaus real. Und tatsächlich wird Murat Kurnaz von der pakistanischen Polizei verhaftet und – wie sich später herausstellen sollte, gegen Kopfgeld – an das US-amerikanische Militär übergeben. Als feindlicher Kombattant im „War on Terror“ eingestuft, wird er zunächst nach Afghanistan verbracht und schließlich im berüchtigten Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba interniert. Dort beginnen für Murat Kurnaz nicht nur die Verhöre, sondern auch ein langes Warten.

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Von all dem weiß Rabiye Kurnaz zunächst fast nichts. Die ersten spärlichen Informationen erhält sie zunächst von Murats Reisegefährten, dem ein glücklicher Zufall ein ähnliches Schicksal erspart. Dank deutscher Beamtengründlichkeit war er nämlich an der Ausreise gehindert worden, weil er eine Verwaltungsstrafe nicht bezahlt hatte. Die Hilfestellung von Seiten der Behörden in Sachen Murat Kurnaz verläuft jedoch – vorsichtig formuliert – eher zäh. Als einer der Stolpersteine erweist sich dabei, dass Murat zwar in Deutschland geboren, sein ganzes Leben dort verbracht hat und über einen Aufenthaltstitel verfügt, doch die deutsche Staatsbürgerschaft noch nicht angenommen hat, weshalb die Bundesrepublik erst einmal Zuständigkeiten von sich weist. Von juristischen Detailfragen hat Rabiye Kurnaz ebenso wenig Ahnung wie den politischen Verflechtungen, die anhand des Falls ihres Sohnes zutage treten, doch die resolute Frau lässt sich nicht abwimmeln. Sie lässt auch nicht locker, als der Anwalt, den sie schließlich um Hilfe bittet, der Sache anfangs eher reserviert gegenübersteht. Bernhard Docke übernimmt dann doch die rechtliche Vertretung und wird zum entschlossenen und engsten Mitstreiter von Rabiye Kurnaz. Der Kampf um die Freiheit von Murat, der auch zu einem um Grundrechte wird, führt das ungleiche Duo bis vor die oberste juristische Instanz der Vereinigten Staaten, den Supreme Court.

Mit Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush rollt Andreas Dresen die reale Geschichte von Murat Kurnaz auf, die auch aufgrund der eher unrühmlichen Rolle, die die damalige aus Sozialdemokraten und Grünen gebildete Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder gespielt hatte, in Deutschland für Aufsehen und Empörung gesorgt hat. Dresen und Drehbuchautorin Laila Stieler – die bereits bei Dresens erstem Spielfilm So schnell geht es nach Istanbul (1990) als Ko-Drehbuchautorin fungiert und seither bei mehreren seiner Filme mit ihm zusammengearbeitet hat – nähern sich dem Fall aus einer eher ungewöhnlichen Perspektive, indem sie sich ganz auf den Blickwinkel von Murats Mutter konzentrieren. Rabiye Kurnaz agiert dabei als eine Art moderner Simplicissimus, Dresens Inszenierung trägt dem mit einer gewissen Leichtigkeit Rechnung, die wiederholt die absurden, kafkaesk anmutenden Züge behördlichen Agierens inmitten des Dramas offenlegt. Dass die Darstellung von Rabiye Kurnaz nie ins Possenhafte abrutscht, ist dem schauspielerischen Kraftakt von Meltem Kaptan geschuldet, die die schelmenhafte Unbedarftheit ihrer Figur nicht ausufern lässt und die empfindsame Seite mit authentischer Aufrichtigkeit zu gestalten weiß. Als Kontrapunkt zu Kaptans intensivem Auftritt agiert Alexander Scheer, der bereits in Andreas Dresens Gundermann zu brillieren verstanden hat, in der Rolle des engagierten Anwalts Docken mit betonter Nüchternheit und Zurückhaltung.

Doch die angesprochene Leichtigkeit der Inszenierung verwässert keinesfalls die grundlegenden Fragen, die mit dem Fall Murat Kurnaz, eines Menschen der ohne Anklage jahrelang festgehalten wurde, evident werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob man der Darstellung, Kurnaz habe mit dem Aufenthalt in Pakistan nur seinen Glauben festigen wollen, völlig folgen mag. Faktum ist, dass es keinen Hinweis über Verbindungen zu terroristischen Organisationen wie al-Quaida oder gar Verstrickungen in irgendwelche terroristischen Aktivitäten gab. Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush macht dabei erschreckend deutlich, dass angesichts bestimmter Ausnahmesituationen – ob tatsächliche oder vermeintliche sei einmal dahingestellt – auch demokratische Staaten mit Grundrechten auf abenteuerliche Weise jonglieren.

„Es geht um die DNA des Rechtsstaates“, bringt es Bernhard Docken auf den Punkt und macht damit trefflich die über den Anlassfall hinausgehende Allgemeingültigkeit deutlich.