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Die drei Hansis – Ich will wieder gut sein

Die drei Hansis - Ich will wieder gut sein

| Fabian Burstein |

Mit medialem Rauschen und einem Film jährt sich der Todestag von Hansi Hölzel zum zehnten Mal.Doch noch ein zweiter Verstorbener feiert heuer einen makabren Runden: Die letale Überdosis von Hansi Dujmic liegt im Mai exakt zwei Jahrzehnte zurück. Und der dritte Hansi? Der lebt! Wie durch ein Wunder. Hansi Hölzel, Hansi Dujmic, Hansi Lang. Drei einzigartige Geschichten abseits des Austropop.

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Das ist die Geschichte von den zwei Hänsen, die auszogen, um der Welt ein Bein auszureißen. Oder an Hax‘n, wie man in Wien sagt“. Mit dieser Reminiszenz an Hansi Lang und Hansi Hölzel hätte das musikalische Epos Verdammt wir leben noch beginnen sollen. Falco entschied sich gegen das Intro. Nichtsdestoweniger blieb der Song eine Hymne im Geiste der beiden Eighties-Helden – „Denn wer‘s net kapiert hat, wird‘s nie versteh‘n. Dass für uns die Uhr‘n anders geh‘n, dass wir im Fallen und im Liegen erst so wirklich leben.“ Worte, die auch für den Dritten im Bunde, Hansi Dujmic, Gültigkeit besaßen.

Die Bilanz rund 25 Jahre danach ist phänomenal und ernüchternd zugleich. Die drei Hansis brachten ungeahnte Intensität, einen Weltstar, eine New Wave-Ikone, einen ewig Suchenden, nationales Selbstbewusstsein, Hohn, drei Drogenabhängige, zwei Tote, einen Wiederauferstandenen und zahllose Mythen hervor.

Dies hier ist nicht die Geschichte der zwei Hänse. Dies ist, wie es in Verdammt wir leben noch heißt, die Geschichte von „drei Aposteln“, die sich manchmal zu viel „Spitzenwäsche, Zyniker und Süchtige“ reinholten, dafür aber mehr als nur „Austropop“ zurückgaben. Dies ist die etwas andere Geschichte von Hansi Lang, Hansi Hölzel und Hansi Dujmic.

Drei Hansis. Ein Thomas.

Ein Artikel über die drei Hansis könnte mit einer Aufzählung ihrer Gemeinsamkeiten beginnen. Davon gab es einige. Charisma, Intensität, Talent. Aber auch Schwäche, Verletzlichkeit, Labilität. Sucht man nach einer Parallele aus Fleisch und Blut, stößt man unweigerlich auf Thomas Rabitsch, während der letzten drei Jahrzehnte in nahezu allen namhaften Formationen Österreichs zumindest als Keyboarder, oft aber auch als Bandleader oder Produzent, engagiert.

Als ich den Wilhelminenberg hinauf zu den Studios der feudalen Rabitsch-Homebase wandere, hat sich gerade der Frost in der Stadt festgesetzt. Es ist so kalt wie an jenem 14. Februar 1998, an dem Falco zu Grabe getragen wurde – bis zum Schluss eine bombastische Inszenierung, die Helmut Zilk mit dem Ausspruch „Ich wollte, das wäre mein Sohn gewesen“ krönte.Wer an diesem Dezember-Freitag Thomas Rabitschs Gefilde betritt, wird rasch aus seiner Nostalgie gerissen. Der Familienbetrieb läuft auf Hochtouren, da der Hausherr mit der ORF-Show „Musical“ eingespannt ist. Später werde ich erfahren, dass Hansi Dujmic in genau diesen Räumlichkeiten als Teenager einen Rausch ausschlief und so die Freundschaft zwischen den Musikern begann. Nur ein überfüllter Aschenbecher, der Geruch von kaltem Rauch und die durchgesessene Couch erinnern daran, dass hier mal etwas abseits musikalischer Professionalität stattgefunden hat. Wenige Minuten später bittet mich Thomas Rabitsch in sein Studio. Nachdem sich die Tür geschlossen hat, passiert etwas, das exemplarisch für das steht, wofür ihn Weggefährten so schätzen: Im kollektiven Wahnsinn kehrt Ruhe ein. Zehn hysterische Anrufe werden abgewimmelt. Dreimal versucht man, den „Musical“-Mastermind zurück ins Geschehen zu locken. Doch Rabitsch spricht jetzt über die drei Hansis, seine künstlerischen Lebensmenschen. Und er will sich dabei nicht stören lassen. Die Erzählungen werden nur durch das Ausatmen des Zigarettenrauchs unterbrochen – wohl das letzte Laster, das sich der Musiker aus Rock ’n’ Roll-Zeiten gönnt. „Es war schon witzig“, beginnt Thomas Rabitsch unvermittelt zu erzählen, „alle drei waren extreme Persönlichkeiten. Der Name Hansi bedeutet für mich: Da muss man wissen, was man sagt. Weil wenn‘s das Falsche ist, gibt‘s Probleme. Wenn es um die Musik gegangen ist, war das Denken ausgeschaltet. Da ging‘s rein um den Bauch.“ Von einem Moment auf den anderen sind wir raus aus der popkulturellen Realität, und mitten in den Sphären der Siebziger und Achtziger Jahre. Oder wie Hansi Lang singen würde: „Ich spiele mit der Zeit, ich hab genug davon. Ich spiele mit Musik, ich spiele jeden Ton, ich spiele Leben.“

Der Beginn einer Suche

Leben! Das Wien der Nachkriegszeit kannte nur diesen einen Wunsch. In Hernals ließ die Leichtigkeit des Seins zunächst auf sich warten. Der Bezirk im Nordosten Wiens wurde von den gefürchteten Sowjet-Truppen befreit. Schon im September lösten amerikanische Einheiten die Rote Armee ab – ein kleiner Schritt für die riesigen GI-Kontingente, ein großer Schritt für die Arbeiterfamilie Lang. Als Hans im Jänner 1955 geboren wurde, zählte die Verwandtschaft bereits mehrere amerikanische Mitglieder – darunter auch Hansi Langs Vater, einen US Army-Officer. Für die Kinder bedeutete dieses Umfeld ein Hineinwachsen in die amerikanische Kultur. Und im Fall von Hansi Lang noch viel mehr. Wenn der Sänger heute bei der Band „Slow Club“ Nummern von englischsprachigen Musikgrößen intoniert, merkt keiner, dass ein Wiener hinter dem Mikro steht. „Ich habe über dieses Thema viel nachgedacht. Das ist eine psychologische Geschichte und hat sehr viel mit einer Vatersuche zu tun. Mit einem Vater, den man nicht kennt, und dem man so gefallen will. Ich glaube, ich habe dieses Talent mit einer Vaterlosigkeit bezahlt. Es hat mit einer Suche zu tun. Und mit einem sich selber finden.“

Für unser Treffen hat sich Hansi Lang eine kleine Konditorei auf der Sieveringerstraße ausgesucht. Die Präsentation seines Projekts „Die Bucht von Wien“ liegt erst wenige Tage zurück. Neben der Musik sorgte immer auch das Äußere des Künstlers für Bonmots. Hansi Lang enterte die Bühne des Radiokulturhauses mit einem Samurai-Haarknopf. Ein imposanter Anblick, bedenkt man das Antlitz des Sängers. Als Hansi Lang das Punschkrapfen-Idyll mitten im wohlsituierten 19. Bezirk betritt, prallen zwei Welten aufeinander. Und auch nicht. Denn natürlich fällt er auf, mit seiner langen Mähne und der alten Jeansjacke. Andererseits: Der Rock n’ Roll ist längst gewichen. Mit seinem konterkarierenden Café Latte, den manchmal traurigen, manchmal angriffslustigen, oft auch müden Augen fesselt der New Wave-Held seine Zuhörer. „Bis zu meinem 20. Lebensjahr habe ich mehr Hass als Liebe für Amerika empfunden. Niemals wäre ich dort freiwillig hingefahren. Beinahe hätte mich eine Tante dort adoptiert – das wäre für mich das Schlimmste gewesen. Ich habe das alles gehasst.“  Dem stehen Barry-McGuire-Platten, Button-Down-Hemden und die Jerry-Lewis-Filme im Universum-Kino auf der Sieveringerstraße gegenüber. Die Ambivalenz wird sein ständiger Wegbegleiter bleiben.

Alles wurzelt im Wien der Siebziger Jahre. Junge Bands sprießen wie Schwammerl aus dem Boden. Und Hansi Lang mittendrin. „Wär’s nach meiner Nase gegangen, ich wäre Schlagzeuger geworden, weil ich ein sehr rhythmischer Mensch bin. Es hat sich aber beim Proben sehr schnell herausgestellt, dass sich kein anderer singen getraut hat, und dass alles sehr leicht geht, wenn ich singe.“ In der Szene sind die „Zigeuner“ das Maß aller Dinge. Karl Ratzer zieht eine Generation virtuoser Musiker  heran – Harri Stojka bildet als Zwölfjähriger mit seinem Cousin die „jüngste Rockband der Welt“. Die Latte liegt hoch. Doch Hansi Lang überspringt sie locker, genießt schon als Teenager Frontman-Status in diversen Jazz-Bands und avanciert laut Thomas Rabitsch „zur schneidigsten Stimme der Stadt“.  Noch vor seinem 20. Geburtstag hat das Talent Tourneen mit „Peter Schleicher’s Plastic Drug“, „Lord Proof and the Proofcats“ und „Nostradamus“ hinter sich. Wenn Hansi Lang über diese Zeit spricht, wirkt die sonst so ruhige Stimme fast ein bisschen aufgewühlt. Um mir die Atmosphäre bei Gigs im damals noch tief kommunistischen Jugoslawien zu vermitteln, greift der Sänger auf eine Anekdote zurück. „Ich kenne die Geschichte von einem Mädchen, das wegen Rauchens im Schwererziehbarenheim Kaiserebersdorf gelandet ist. Wie die Stones in der Stadthalle gespielt haben, hat sie gewusst: Die beginnen um acht, gleich da drüben in Wien. Und um Punkt acht hat sie die Sesseln genommen und z’sammg’haut.“ So geht‘s also zu, wenn einem fünf Jahre lang ein Rock-Konzert versprochen wird und dann wirklich eine Band vorbeischaut. Hansi Lang lächelt zufrieden. „Der Rock ’n’ Roll war damals so befreiend, weil die Jugend geknechtet wurde. Und wenn sie dann mal frei waren, sind sie ausgeflippt, wie in Trance, komplett ohne Drogen.“ Nicht wirklich drogenfrei dürfte die Emigration nach Holland mit den Kollegen von Nostradamus gewesen sein. „Wir haben uns getroffen, zusammen was geraucht und am nächsten Tag bin ich im VW-Bus nach Amsterdam gesessen. Dieses Jahr war unglaublich für mich, wie Sodom und Gomorrha. Für mich als unbedarften Wiener manchmal sogar zu viel.“ Hansi Lang kehrt nach Wien zurück und wird prompt von Wickerl Adam für die „Hallucination Company“ angeworben. Als die beiden einen Bassisten suchen, führt sie ihr Weg zu einem introvertierten Musiker, der bislang in der Band „Umspannwerk“ aufgeigte. Sein Name: Hans Hölzel.

Wien. Eine Hass-Liebe.

„Er war noch nicht 47 Jahre alt, als er starb (…). Was sonst an Daten über ihn beizubringen wäre, konnte man in den Nachrufen der Tagespresse lesen. Und was sonst über ihn zu sagen wäre, könnte eine Zeitschrift wie die unsere nicht einmal in einem ausschließlich ihm gewidmeten Sonderheft sagen: eine so imposante, so vielseitige und einmalige Erscheinung war er.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Friedrich Torberg im Jänner 1960 von einem großen Künstler, der bei einem Autounfall ums Leben kam. Gemeint war der Dichter Albert Camus. Doch auch für Hans Hölzel haben die zitierten Zeilen Gültigkeit – denn was gibt es über Falco zu berichten, das nicht schon in Peter Lanz’ Biografie, einer der zig DoRo-Dokus oder dem aktuellen Film von Thomas Roth erzählt wird? Wenn Thomas Rabitsch über Hans Hölzel spricht, spürt man eine ungewohnte Zerrissenheit. Einerseits sprüht der Weggefährte vor missionarischem Enthusiasmus. Andererseits schwingt immer Angst mit. Angst, als Profiteur des Hypes gebrandmarkt zu werden. Falco und das Geld, dieses Thema ist generell ein Heikles. Schon Hansi Lang hat mir von seinem Befremden erzählt, als der andere Hans in einem Magazin von einer Kontaktsperre zu Wiener Freunden berichtete, weil diese nur auf seine Marie scharf seien. „Für jemanden, der den Hans niemals um Geld gefragt hat, war das natürlich arg.“ Thomas Rabitsch, aufgrund seiner Bandzugehörigkeit wesentlich intensiver mit den Befindlichkeiten des Emporgekommen vertraut, kann diese Haltung eher nachvollziehen. „Es war schon so, dass Leute aus dem Umfeld nach den ersten Erfolgen zu ihm gekommen sind und knallhart gesagt haben: ,Pump mir mal 100.000, weil ohne mich hättest du’s nie geschafft.‘“ Hansi Lang hat dafür eine knackigere Subsumierung: „Es waren damals viele Arschlöcher unterwegs. Das muss man mal sagen. Aber ich kenne niemanden, der ihn tatsächlich gefragt hätte.“ Die leidigen Episoden rund um pekuniäre Angelegenheiten sind Sinnbild für eine Entfremdung, die Falco schwer zu schaffen machte.
Jene Stadt, der er mit Vienna Calling und Ganz Wien ein Denkmal setzte, begann plötzlich ihren großen Sohn zu verstoßen. Die Szene fühlte sich durch den kommerziellen Erfolg verraten, während der Austropop daran kiefelte, auf der  transatlantischen Schiene überholt worden zu sein. Viele Episoden berichten davon, wie Hans Hölzel die Wiener Underground-Treffs aufsuchte, um in einer gut gemeinten, aber zu diesem Zweck viel zu teuren Lederjacke den Geist früherer Tage heraufzubeschwören. Doch das Anzug-Klischee und Schickeria-Fotos hatten ganze Arbeit geleistet: Falco gehörte nicht mehr dazu. Und das ließ man ihn auch spüren. Was aber für Hans Hölzel viel schwerer wog: Auch beim „kleinen Mann“ dominierte sukzessive das Bild der abgehobenen Kunstfigur. Das Spiel mit Hochdeutsch, Anglizismen und selbsterfundenen Ausdrücken, „no plastic money an der Bar“: für den Durchschnitts-Wiener eine andere Welt. Falco verkaufte einen Habitus, der als internationales Produkt funktionierte, aber nicht als identitätsstiftendes Lokal-Phänomen. Kurz gesagt, die Street Credibility war dahin. Keiner der „Proleten“ rief „Seavas Hansi“, obwohl er das so gern gehabt hätte. Und im Espresso an der Ecke interessierten sich die Urgesteine mehr für Hansi Lang als für internationale Hitparaden. In dieser Zeit intensivierte sich der Kontakt zwischen den beiden Musikern. „Immer wenn es ihm schlecht gegangen ist, zum Beispiel nach Junge Römer oder nach der Sache mit seiner Tochter, hat er mitten in der Nacht ang‘soffen bei mir angerufen und hat gemeint, wir sollten eine Band machen, wo wir nur Beatles-Lieder spielen“, erinnert sich Hansi Lang an die punktuelle Nähe. „Ich habe für ihn die Roots bedeutet. Er hat geglaubt, wenn wir  etwas miteinander machen, dann wird alles wieder gut, alles wieder normal, dann ist er zu Hause.“ Doch Hans Hölzel blieb ein Fremder. Er blieb ein Fremder, als ihn die Hallucination Company zu einer Reunion einlud und er den Bass, mittlerweile eine teure Spezialanfertigung, nicht mehr wie in alten Tagen beherrschte. Er blieb ein Fremder, als Thomas Rabitsch problemlos zu seinen Wurzeln in der Wiener Szene zurückkehrte. Und er blieb ein Fremder, als Paulus Manker ein Musical über die popkulturelle Macht von Falco inszenierte. „In der Dunkelheit meines rollenden Gefängnisses habe ich nacheinander, wie aus der Tiefe meiner Erschöpfung, alle vertrauten Geräusche einer Stadt wiedergefunden, die ich liebte, und einer bestimmten Stunde, in der es vorkam, dass ich mich wohl fühlte.“ So schrieb Albert Camus in seinem Roman Der Fremde. Und so hat sich wohl auch Falco am Höhepunkt des Erfolges in seiner „Heimat“ Wien gefühlt.

Ein patschertes Leben

Mittlerweile zeigt die Uhr weit nach Mittag – Essenszeit. Während Mitarbeiter und Familie eine Ladung „Go Wok“-Junkfood ordern, bleibt Thomas Rabitsch bei Zigaretten. Wir nähern uns der patschertsten Geschichte im Kosmos der drei Hansis. Eine Geschichte, die man bei Hühnerfleisch Chop Suey wohl nicht so gut erzählen kann. Steak und Kidney-Bohnen würden schon eher passen. Denn Hansi Dujmic personifizierte die Wiener Interpretation von Rhythm&Blues. Wenn Thomas Rabitsch an einen seiner ersten Jam-Partner zurückdenkt, wirken die Berichte eine Nuance trauriger. Denn am Ende stehen weder Happy End noch die Luxusprobleme einer furiosen Karriere, oder wenigstens eine sanfte Konsolidierung in retrospektiver Verklärung. Gerade mal zwei, drei Hits landete Hansi Dujmic, einen davon als „Dew Mitch“ im Sog der Todesnachricht. Zumindest das verband ihn mit Falco. Gelernt hatte der junge Dujmic bei Walter Frey, Gitarrenlegende und passionierter Irrer, dessen Lebensweg am Steinhof endete, weil er sich für Mick Jagger hielt. Dujmic dockte bei „Small Blues Charlie“ Karl Krbavac an und gelangte so in die Umlaufbahn von Thomas Rabitsch. Gemeinsam gab man sich Sessions auf der Jubiläumswarte am Wilhelminenberg, spielte in haschischumwölkten Buden und meisterte die ersten Schritte in die Welt der Profi-Musiker. In genau diesen Schritten lag allerdings der Hund begraben. Denn als virtuoser Gitarrist war Hansi Dujmic gut nachgefragt – allerdings nicht als Rhythm&Blues Sänger. Während die anderen beiden Hänse ihre Unpässlichkeiten in kreative Energie umwandelten, schien Dujmic wie gelähmt. „Er hat gemerkt, dass der Rhythm&Blues als Frontman sein Ding ist. Diese Attitüde hat er gelebt, das war seine Wahrhaftigkeit“, erinnert sich Thomas Rabitsch an Dujmics Dilemma, „gleichzeitig hat er aber auch als Studiomusiker gespielt. Er war innerlich zerrissen, weil er Geld verdienen musste, um sein Ding durchzuziehen. Der Hansi hat oft missmutig geliebäugelt. Er war auf andere Musiker sehr eifersüchtig.“ Als Thomas Rabitsch, sein Bruder Bernhard und Bertl Pistracher keine Anstalten zeigten, eine Japan-Tournee mit Falco zugunsten eines Dujmic-Gigs im Metropol abzusagen, bekamen die drei Musiker den Groll des daheimgebliebenen Hans zu spüren. Via „Ohne Maulkorb“ ließ er ausrichten, dass Österreich von „Mietmusikern“ bevölkert sei. Bandleader Peter Paul Skrepek entschärfte die Salven, indem er sich selber auch als „Mietmusiker“ (vulgo Mitmusiker) outete – jene, die sich trotz voller Terminkalender immer wieder Zeit für Dujmic nahmen, fanden die Chose trotzdem nicht lustig. Eine andere Anekdote genießt hingegen Kult-Status: Als Gitarrist von Peter Cornelius verschlug es Hansi Dujmic Anfang der Achtziger in eine deutsche Hitparaden-Show. Im Vorfeld der Aufzeichnung kam die Band neben Depeche Mode zu sitzen. Hansi Dujmic, schon leicht illuminiert, löste sich aus der Crew, um kurz darauf Dave Gahan in breitestem Wienerisch mitzuteilen: „I kenn eich aus dem Fernsehen. Ihr sads do die… I sog eich ans: Mei Schmäh is des net!“ Erstmals muss Thomas Rabitsch bei einer Geschichte über Hansi Dujmic lachen. Plötzlich stockt er. „Die Achtziger, die waren wirklich nicht sein Schmäh.“

New Wave. New Problems.

Man kann über die Eighties sagen, was man will: Für die österreichische Popkultur erwies sich diese Ära als prospektives Kapitel der Musikgeschichte. Inspiriert vom Punk enterten zahlreiche Bands die Bühnen Wiens und gaben dem New Wave ein österreichisches Gesicht. Underground-Heroes wie Hansi Lang erlebten ein neues Level der Selbstverwirklichung: „Das war ein unglaubliches Gefühl. Bis zu diesen Zeiten hast du praktisch nicht mitgespielt. Du warst ein Niemand. Rolling Stones, Beach Boys, The Kinks – dafür haben sich die Leute interessiert. Und auf einmal hat sich das total umgedreht. Nur die Tatsache, dass du Wiener warst und auf Deutsch gesungen hast, hat dir Beachtung gebracht. Es war unglaublich. Das erste Mal sind in Wien Umstände eingetreten, wie sie in New York, Paris und Berlin schon zehn bis zwanzig Jahre existiert haben.“ Hansi Lang gehörte damals zum Fixinventar der Diskothek U4. Mit der Mini-LP Keine Angst gelang schließlich der nationale Durchbruch. An jeder Ecke wurden Häuserfassaden mit dem programmatischen Plattentitel beschmiert. Daneben das Anarchy-Zeichen. Wenn man Hansi Lang auf kolportierte Exzesse in den Achtzigern anspricht, erlebt man die zurückgezogene Seite des Musikers. „Drogen hat‘s viele gegeben, weil die Mafia ganz Europa mit Heroin überschwemmt hat. Mit 25 denkst du nicht daran, dass das Heroin ist, das ist halt für dich ‚H‘ oder ‚Zeug‘. 1983 war das schon wieder vorbei.“ Was Hansi Lang selbst betrifft, ist das mehr als untertrieben. Tatsächlich dürften die Lyrics von Keine Angst und Ich will wieder gut sein während eines Gefängnisaufenthalts entstanden sein. Warum derartige Details rund zwanzig Jahre später aufs Tapet kommen? Weil dieser Umstand beispielhaft für eine besondere Künstlerpersönlichkeit steht: Hansi Lang transformierte seine Niederlagen in Poesie – ein Talent, das Hansi Dujmic abseits fulminanter Gitarren-Soli verwehrt blieb. Wenn Thomas Rabitsch über diesen Aspekt der drei Hansis spricht, schaudert ihm ein bisschen. „Der Hansi Lang hat das Tal lebendig durchschritten, während die anderen am Tiefpunkt ums Leben gekommen sind. Er hat die Bestimmung gehabt, sich da durchzubeißen. Ich glaube, er verzeiht mir, wenn ich sage: Es ist ein Wunder, dass er noch lebt.“ Rabitsch rekonstruiert die Ereignisse vom 6. Februar 1998. Als das Telefon klingelt und eine Stimme betreten verkündet „Der Hans ist tot“, glaubt Rabitsch sofort zu wissen, wer gemeint ist: Hansi Lang. Stattdessen hatte es den Falken in der Dominikanischen Republik bei einem Autounfall under the influence erwischt – also jenen Hansi, der als einziger heimische Sphären überflügeln konnte. „Beim Falco ist das passiert, was man sich immer gewünscht hat: Ja, das ist nun definitiv kein Austropop mehr. Ganz Wien, Auf der Flucht, Helden von heute – das sind Nummern, die über jeden Zweifel erhaben waren. Ich hätte das den anderen beiden genauso gegönnt.“ Rabitsch deutet auf ein LP-Cover in seinem Plattenregal, das Falco in Anzug und exzentrischer Pose zeigt. „Er hat in der New Wave-Zeit genau das Richtige gemacht. Er hat eine Kunstfigur geschaffen und sie wie einen Roboter laufen lassen. Einen gebrandeten Organismus in die Popwelt zu schicken, hat nur er geschafft. Das hätten die anderen beiden gar nicht können. Sie waren persönlich viel zu sehr verstrickt.“

1985 scheint es kurz so, als ob Hansi Dujmic seine ungebrochene Leidenschaft zum Rhythm&Blues in nachhaltigen Erfolg umwandeln kann. Schon von der Heroinsucht gebeutelt, nimmt er die Rolle als Elvis in einer Inszenierung von Michael Schottenberg an. „Mir ist der Gitarrist Hansi Dujmic durch seine Augen und seinen Sex aufgefallen“, erinnert sich der heutige Volkstheater-Direktor, „man hat mich wegen seiner Labilität gewarnt. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich mir keine Ausfälle leisten kann. Er hat mir versprochen, dass er mich nicht enttäuschen wird. Und er hat Wort gehalten.“ Grundtenor aller Erzählungen: Der Blues war nicht nur Dujmics musikalische Obsession, sondern Leitmotiv für jede Lebensfacette. Er litt, fühlte sich missverstanden. Und ließ alle daran teilhaben. Auch – oder gerade – als er mit Hadern á la Ausgeliefert kleinere Hits landete.

„Der Dujmic, der arme Hund.“ Hansi Lang starrt in sein Wasserglas. „Der war ein alter Tscheche, in dem hat der Kafka gewohnt. Einer, der es geliebt hat, Depressionen zu haben. Dass er so gestorben ist … allein! Das fand ich so schlimm.“ Am 21. Mai 1988 wird Hansi Dujmic leblos auf der Ladefläche eines Lieferwagens gefunden. Todesursache ist eine Überdosis Heroin. Thomas Rabitsch erzählt, dass sich Dujmics Drogensucht schon in den Monaten zuvor extrem zugespitzt hatte. Man merkt, dass es jetzt genug ist.

Als ich nachmittags aus den Studios heraustrete, hat es zu schneien begonnen. Eine weiße Schicht überzieht den Wilhelminenberg. „Der Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren, kennt heute jedes Kind.“ Ich muss an Hansi Langs Worte denken. „Die Dinge leben nur noch von der Veränderung, nicht mehr vom Sein. Vielleicht ist das auch die Zukunft?“

Bloß schade, dass nur mehr ein Hansi dieser Frage nachgehen kann.

Falco Symphonic: Des Falken einziger Orchesterauftritt (1994) als aufwändiger DVD-Remix
Erinnert sich noch jemand an Peter Wittmann? Später Viktor Klimas Kunststaatssekretär, hatte er als Bürgermeister von Wr. Neustadt 1994 die löbliche Idee, seinen Schäfchen zum 800. Geburtstag der Stadt ein großangelegtes Ständchen vom Falken bringen zu lassen – und tatsächlich gab Falco zusammen mit dem Konservatoriums-Orchester von Wr. Neustadt sein einziges Best-of-Konzert in symphonischer Formation. Nur leider hatte Wittmann nicht an die Nachwelt gedacht: Statt unter amtlichem Mitschnitt, erklärte Falco den Wr. Neustädter Frühling für eröffnet, während er von unzureichendem Ton- und Videomaterial (drei Kameras, ein Bildschnitt, eine Audiokassette) konserviert wurde. Nach dem Erfolg der Donauinsel-Live-DVD beschloss Produzent Thomas Rabitsch dennoch, den Schatz zu heben. Unter erheblichem Aufwand wurde Falcos Stimme mit einem Computerprogramm aus dem 2-Spur-Schnitt „herausoperiert“, Band, Orchester und Chor neu aufgenommen, Fake-Applaus und Hansi-Sprechchöre hinzugefügt, durch Bildstabilisierungsverfahren verwackelte Aufnahmen korrigiert, privates Material von fünf Amateurfilmern von damals aufgetrieben, Instrumenten-Close-ups nachgedreht, das Ganze also mittels angewandter Medial-Forensik (und unter Aufbietung von Freezes, Slomos, Repeat Cuts, Split Screens & Co) zu einem erstaunlich homogenen Konzert remixt, eigentlich müsste man sagen: zum Leben erweckt. Die üblichen Verdächtigen wie „Amadeus“, „Junge Römer“, „Jeanny“, aber vor allem „Ganz Wien“ in live-symphonischem Gewand hören und sehen zu können, rechtfertigt diese hybride Methode. Falco, „der lebenslange Präsident im Club der Dichter ohne Sinn“, wie er sich in seiner unbekannteren Nummer „Die Königin von Eschnapur“ nennt (Rabitsch ist dabei, diese neu aufnehmen), hat die Präsidentschaft auch zehn Jahre nach seinem Tod noch nicht abgegeben. (Roman Scheiber)