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Die Geschichte einer Familie

Filmstart

Die Geschichte einer Familie

| Pamela Jahn |
Wechselbad der Gefühle

Chrissi (Anna Maria Mühe) hat auf Risiko gesetzt und verloren. Bei ihrem Job als Stuntfahrerin hat sie einen Unfall nur knapp überlebt. Jetzt sitzt sie im Rollstuhl und muss zu ihrem Vater Werner (Michael Wittenborn) aufs Land zurück. Ihre Beziehung zu ihm ist gebrochen, seit sie in ihrer Jugend hinter dem Steuer seines damaligen Polizei-Dienstwagens ein Unglück verursacht hat, bei dem ihr Bruder ums Leben kam. Danach haben Schock und Trauer die Familie derart zerrüttet, dass eine Versöhnung heute kaum mehr möglich scheint.

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Wie unzertrennlich die Geschwister waren, wie harmonisch das Verhältnis zu ihren Eltern und überhaupt die ganze Zeit, davon erzählt Karsten Dahlem in seinem Spielfilmdebüt in zahlreichen Rückblenden, die sich mit der Gegenwart überlagern. Immer wieder springt die Handlung zwischen dem, was war, und dem, was ist. Der Gegensatz ist krass, denn Werner hat sich jahrelang gehen lassen. Das Haus ist verwahrlost, die Mutter längst weg. Doch Chrissi will sich damit nicht abfinden. Sie ist eine Kämpferin und Stillschweigen um des lieben Friedens willen liegt ihr nicht.Anna Maria Mühe spielt diese widerständige junge Frau mit großer Kraft und einer Verletzlichkeit, die den Schmerz im Innern andeutet, aber nie ausstellt. Behutsam legt Dahlem die traumatische Vergangenheit seiner Hauptfiguren frei. Wut und Verzweiflung, Angst und Aggression, Ablehnung und Vergebung, Abscheu und Liebe halten sich die Waage, und ermöglichen es auch Wittenborn, seiner Vaterfigur eine tiefere Dimension zu verleihen.

Karsten Dahlem, Jahrgang 1975, wurde für sein Erstlingswerk bei den Hofer Filmtagen im vergangenen Jahr mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Davor hatte er sich vor allem als Drehbuchautor für Stephan Lacants gefeiertes Regiedebüt Freier Fall über zwei homosexuelle Polizisten einen Namen gemacht. Sein Metier sind komplexe Beziehungen, und auch Die Geschichte einer Familie gehört in diese Kategorie. Denn so einfach, wie der Titel des Films zunächst vermuten lässt, macht es Dahlem sich und seinen Figuren nicht. Die Beziehung zwischen Chrissi und Werner ist längst nicht die einzige, die hier in Trümmern liegt. Auch alte Freundschaften stehen auf dem Prüfstand.

Der Regisseur will in weniger als 90 Minuten Laufzeit viel unterbringen. Das birgt die Gefahr, dass wichtige Nebenfiguren wie Chrissis Jungendliebe Sascha (Anton Spieker) oder ihre Mutter Karin (Therese Hämer) zu wenig Eindruck hinterlassen. Aber mit Mühe und Wittenborn hat Dahlem eine solide Basis für sein dichtes Drama geschaffen. Ihr hervorragendes Wechselspiel gibt der Geschichte Gewicht und eine gewisse Leichtigkeit, die einen willkommenen Kontrapunkt setzt.