Es liegt in der Familie.
Berühmte Künstler stehen im Kino aktuell hoch im Kurs: So gab es innerhalb der letzten drei Monate etwa Spielfilme über Caravaggio und Munch sowie einen Dokumentarfilm über Vermeer zu sehen. Nun folgt also Die Giacomettis – ganz recht, im Plural. Bildhauer Alberto Giacometti (1901–1966) ist mit seinen dünnen, in die Länge gezogenen Skulpturen naturgemäß der berühmteste Vertreter seiner Familie, doch der Dokumentarfilm der Engadiner Journalistin und Filmemacherin Susanna Fanzun macht deutlich, wie viel kreatives Talent in der gesamten Sippe steckte. Dazu gibt es eindrucksvolle Aufnahmen des Schweizer Bergtals Bergell, aus dem die Familie stammt.
Wen gab es da also noch aller? Albertos Vater Giovanni war ein (durchaus nicht unbekannter) impressionistischer Maler, der sich auf Porträts und Landschaftsgemälde spezialisiert hatte. Aber auch die Kinder Bruno, Diego und Ottilie waren hochbegabt: Diego arbeitete als Möbeldesigner (und griff seinem berühmten Bruder Alberto in der Anfangszeit auch finanziell unter die Arme), Bruno war Architekt, Ottilie Weberin. Man kann wahrlich von einer mit kreativem Talent gesegneten Dynastie sprechen. Fanzun nimmt sich Zeit und erzählt in einem gemächlichen Tempo, das gut zum Inhalt passt. Während Freunde und Verwandte sich an die Familie und deren außergewöhnlichen Zusammenhalt, aber auch Krisen, erinnern, nimmt das schroffe Bergell, in dem es einige Monate im Jahr kaum Sonne gibt, eine Hauptrolle ein. Man bekommt nach und nach ein Gespür dafür, wie Licht(-Mangel) und Berge, aber auch eine gewisse harte Lebensrealität Leben und Werk der Giacomettis prägten (eine Freundin Diegos meint etwa, dass sie bei einem Besuch des Bergells verstanden habe, woher Albertos Zerrissenheit kam). Jedes Familienmitglied erhält ausreichend Raum, etwa Vater Giovanni, der als Kunststudent in München und Paris mit großer Armut konfrontiert war, ehe er wieder ins Gebirge zurückkehrte. Seine Frau Annetta wurde Ruhepol und stützende Säule der Familie; sie half sowohl ihrem Mann als auch Alberto nach Kräften und stand zudem beiden Modell.
Gemälde und Skizzen von Vater und Sohn veranschaulichen eindrucksvoll das Familienleben und die Existenz im Bergdorf. Gerade Albertos Zeichnungen haben neben ihrer künstlerischen Virtuosität auch dokumentarischen Charakter, zeigen sie doch u. a. den Vater beim Malen. Wie nebenbei kommt auch Zeit- und Weltgeschichte ins Spiel (u. a. Kriege) – und man erfährt, wie Kunst in harten Zeiten ein überlebenswichtiger Ausdruck des eigenen Inneren sein kann. Fanzuns Dokumentarfilm setzt formal auf klassische Muster und hätte es möglicherweise auch ohne Reenactments oder Voice-over getan – doch fällt dies angesichts des spannenden Inhalts und eindrucksvoller Naturbilder nicht stark ins Gewicht.