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Charlotte Rampling

Charlotte Rampling

Die Kamera und ich sind ein starkes Team

| Kirsten Liese |
Ein Erlebnis auf der Leinwand und im Gespräch: die lebende Legende Charlotte Rampling.

Sie begann als „naughty girl“ des britischen Kinos und widmete sich ihr ganzes Leben lang mit Hingabe dem Skandal. Charlotte Rampling wurde am 5. Februar 1946 geboren und wuchs in Eliteschulen in Frankreich, Spanien und England auf. In London bot sich ihr die Chance, als Fotomodell zu arbeiten und sie studierte Schauspiel am Royal Court Theatre in London, schloss ihre Ausbildung aber nicht ab. Die Swinging Sixties eröffneten der jungen Aktrice das ideale Fundament, um den frischen, modernen, das Frauenbild im Weltkino verändernden Stil einer jungen Generation mitzuprägen.

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1966 kam der Anruf, der ihr Leben für immer veränderte: Ihre jüngere Schwester Sarah hatte sich erschossen. Den Grund sollte sie nie erfahren. Dass sie als Schauspielerin besonders abgründige Figuren reizten, hat mit diesem Trauma zu tun.

Die eigenwillige, als unnahbar geltende Femme fatale arbeitete mit Regisseuren wie Luchino Visconti, Patrice Chéreau, Sidney Lumet, Nagisa Oshima oder Woody Allen, die ihren rätselhaft durchdringenden Blick entdeckten, der später als „The Look“ berühmt werden sollte.

Als KZ-Opfer mit SS-Offiziersmütze und nacktem Oberkörper in Liliana Cavanis Der Nachtportier (1974) wurde sie zur androgynen Pop-Ikone in den sexuellen Subkulturen der siebziger Jahre. Und ganz gleich, ob sie die Geliebte eines Schimpansen oder eine alternde Sextouristin spielte, immer durchbrach sie Konventionen mit voller Hingabe. 1994 war sie in Axel Cortis und Gernot Rolls TV-Zweiteiler Radetzkymarsch zu sehen. Mit François Ozons Drama Unter dem Sand (2000) begann eine Phase in ihrer Karriere, in der Regisseure Rollen für sie maßschneiderten, sie zeichneten Porträts von ihr, für die sie zunehmend hohe Auszeichnungen erhielt.

2015 brachte ihr das beeindruckende Kammerspiel 45 Years den Silbernen Bären bei der Berlinale, den Europäischen Filmpreis und eine Oscar-Nominierung als beste Hauptdarstellerin ein. Zwei Jahre später folgte die Coppa Volpi in Venedig für die Titelrolle in Hannah. Zuletzt wurde die in Paris lebende Britin bei der 69. Berlinale mit einem Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk geehrt.

 


Interview mit Charlotte Rampling

Frau Rampling, Sie haben einmal gesagt, Sie sind Filmschauspielerin geworden, um zu überleben. Sind Sie deshalb für so abgründige Figuren prädestiniert?
Charlotte Rampling: Ich denke schon. Ich hatte entschieden, dass das Kino mein Leben bestimmen würde. Ich will damit nicht sagen, dass ich mein Leben dem Kino überlassen habe, aber es wurde ein integraler Teil meines Lebens, gab mir in Gestalt meiner Arbeit eine Struktur. Aber es sollte für mich auch darum gehen, wie ich neben ihm weiter existieren und das Kino und ich gemeinsam überleben würden. Ich musste mich dazu oft in die Dunkelheit begeben, schließlich wollte ich nicht unterhalten, sondern die menschliche Psyche erkunden.

Ins Theater hat es Sie gleichwohl nicht gezogen, obwohl auch dort das Publikum bei Vorstellungsbeginn in ein Dunkel taucht.
Charlotte Rampling: In der Tat, das Theater ist meine Sache nicht. Ich brauche für meine Arbeit einen sehr intimen Ort. Im Kino kann ich mich so geben wie im wirklichen Leben, unabhängig davon, ob mir Menschen dabei zuschauen, ich bin einmalig in diesem Moment. Ich bin in dieser Intimität geschützt. Ich weiß, dass es viele Leute gibt, die mir zuschauen, das ganze technische Team. Aber das stört mich nicht, sie machen nur ihren Job, ich beachte sie nicht. Unter allen Beteiligten am Set zählen für mich nur der Regisseur und der Produzent. Ich kann mich also in meine Schattenwelten viel einfacher begeben als auf der Bühne. Letztlich steht der Schauspieler auf der Theaterbühne doch im Rampenlicht.

Die Kamera dagegen lieben Sie …
Charlotte Rampling: Oh ja, die Kamera ist mein bester Freund. Ich bin ganz und gar auf sie fixiert, und zwar nicht nur, wenn sie meinen Bewegungen folgt, sondern auch, wenn sie auf mir verharrt. Also, die Kamera und ich sind ein starkes Team.

In „Der Nachtportier“, der 1974 nach der Uraufführung große Skandale auslöste, verkörpern Sie eine Holocaust-Überlebende, die nach Kriegsende eine SM-Affäre mit ihrem Peiniger eingeht. Eine unvorstellbar extreme Rolle! Wie sind Sie damit fertig geworden, besonders mit der makaberen Szene, in der Sie barbusig das Lied „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ vor SS-Männern singen?
Charlotte Rampling: Es war die erste Szene, die wir gedreht haben. Da ging es ohne große Überlegungen gleich zur Sache. Das Lied lag mir drei Tage vorher vor, ich habe es gelernt, dann gab es eine kurze Anweisung  von Liliana, und dann haben wir losgelegt. Ich kann das. Und ich wachse an solchen Herausforderungen. Ich hatte das innere Vertrauen, ich würde alles in dieser Rolle aufbieten und ausdrücken, was von Bedeutung ist.

Nach der Uraufführung sahen Sie sich wüsten Beschimpfungen ausgesetzt. Wie erging es Ihnen da?
Charlotte Rampling: Wir realisierten ziemlich schnell, dass die Wellen hochschlagen würden, und als wir zur Premiere nach New York kamen, wurde der Film ziemlich haarsträubend aufgenommen. Da wurden wir zu eigenartigen SM-Partys eingeladen. Zu der Zeit hatte ich ein kleines Kind, sodass ich sagte, das wäre nicht in meinem Sinn. Mein Mann und ich haben uns dann sehr schnell aus dem Staub gemacht. Das ist das Beste, was man in so einer Situation machen kann.

Die vielleicht fieseste Figur, die Sie verkörpert haben, ist aus meiner Sicht die Internatsleiterin in der Literaturadaption „Never Let Me Go“. Sie zieht Kinder nur mit dem Ziel auf, dass sie, kaum erwachsen geworden, ihre Organe spenden müssen, bis sie tot sind. Jagt Ihnen eine so monströse Figur keine Angst ein?
Charlotte Rampling: Rollen machen mir keine Angst. Ich fürchte mich vor dem Unsichtbaren, deshalb muss ich mich ins Schattenreich des Unbewussten begeben. Ich habe Angst vor mir selbst. Ich arbeite mich da also in ganz tiefe Schichten hinein bis zu dem Punkt, wo die Angst sitzt. Ich begegne in meinem Spiel Personen, die in mir wohnen. Ich muss auch nach Dreh-Ende nicht darum ringen, sie wieder loszuwerden, denn sie schlafen die meiste Zeit.

Marie in François Ozons Film „Unter dem Sand“ ist für Sie eine Ihrer wichtigsten Figuren. Warum?
Das Entscheidende war wohl, dass Ozon auf mich zukam, um Unter dem Sand zu machen, als ich schon lange nichts mehr gedreht hatte und schon dachte, meine Zeit im Kino sei endgültig vorbei. Er hat mich aus dieser Krise wieder herausgeholt. Marie ist mit der Möglichkeit konfrontiert, dass ihr Mann tot sein könnte. Sie weiß es nicht, denn es gibt keinen Leichnam, sie muss mit der Ungewissheit leben, hat nicht die geringste Idee, was passiert sein könnte. Da geht es um eine außergewöhnliche Abwesenheit eines Menschen, und es steht zu befürchten, dass jemand womöglich für immer fort ist. Was für ein großartiges Thema das ist!

Sprechen wir noch über Woody Allen. Für ihn standen Sie 1980 für „Stardust Memories“ vor der Kamera. Wie lernten Sie ihn kennen?
Charlotte Rampling: Für unsere erste Begegnung kam Woody nach Paris. In Anwesenheit Mia Farrows, die damals noch seine Freundin war, fragte er mich, ob ich seine „ideale Frau“ sein wolle? (Lacht.) Ich antwortete: „Das klingt gut.“

Die Dreharbeiten, die in New York stattfinden sollten, stellten Sie dann aber vor ein Problem. Aus familiären Gründen konnten Sie nicht so lange weg.
Charlotte Rampling: So war es. Die Lösung bescherte die Concorde, das tollste Flugzeug aller Zeiten. Jedes Mal, wenn Woody mich wollte, bin ich mit dieser wunderbaren Maschine dreieinhalb Stunden geflogen, habe ein paar Szenen gedreht und dann wieder zurück. Die Dreharbeiten zogen sich lange hin. Er nahm sich viel Zeit für diesen Film, und die Szenen, die wir unzählige Male wiederholten, wurden einfach irre.

Viele sehen in Ihnen eine starke Frau. Inwiefern entspricht das Ihrem Selbstbild?
Charlotte Rampling: Man kann nur stark sein, wenn man äußerst sensitiv und fragil zugleich ist, so wie schöne Blumen. Im Erblühen zeigt sich ihre ganze Kraft.

Zahlreiche berühmte Schauspielerinnen haben sich im Alter liften lassen. Sie sind über solche Äußerlichkeiten erhaben und stehen zu Ihrem Alter. Stimmt das?
Charlotte Rampling: Ja, weil ich unbedingt authentisch sein will. Jeglicher noch so kleine chirurgische Eingriff verändert das Gesicht. Ich weigere mich folglich, das zu tun.