Hehre Ideale, niedere Triebe und die gründliche Analyse eines historischen Moments stehen im Zentrum des Geschichtsdramas „Die Königin und der Leibarzt“.
Aufklärung“, schrieb Immanuel Kant 1784, „ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Aufklärung als philosophisches Projekt des 18. Jahrhunderts zielte auf eine fundamentale Veränderung der Gesellschaft: Vernunft und Wissenschaft sollten an die Stelle von Religion, Aberglaube, Offenbarung treten und das Individuum von den Fesseln der Tradition und willkürlicher Autorität befreien. Aufklärung war eine revolutionäre Bewegung, wurde von vielen feudalistischen Machthabern als Bedrohung erkannt und als Gottlosigkeit verteufelt. Manche aber sahen in ihr auch eine Chance und von solchen erzählt Nikolaj Arcel in seinem historischen Drama En kongelig affære (Die Königin und der Leibarzt).
Die Protagonisten der historisch verbürgten Staatsaffäre sind: Christian VII., grenzdebiler König der bis dahin noch reichlich wenig aufgeklärten Länder Dänemark und Norwegen; Caroline Mathilde von Hannover, seine ungeliebte und vernachlässigte Gemahlin; Johann Friedrich Struensee, Stadtphysicus von Altona, leidenschaftlicher Verfechter der neuen Denkbewegung, leidenschaftlicher Liebhaber der Königin, Busenfreund und Leibarzt des Königs.
Eine Konstellation, die es in sich hat und deren dramatisches Potenzial im Kontext von Staatsräson, Palastintrige, Reformpolitik, Machtgier, Korruption und freilich auch Liebe, Begehren und Eifersucht von Arcel und seinem Ko-Drehbuchautor Heisterberg von allen Seiten beleuchtet und in allen Facetten untersucht wird. Einigen mag diese Untersuchung ein wenig zu gründlich, ja geradezu langatmig erscheinen, bei der diesjährigen Berlinale aber wurde En kongelig affære wohl gerade für die Ausführlichkeit, mit der er sich den komplexen Wechselwirkungen von persönlicher Leidenschaft, idealistischem Gestaltungswillen und offiziellem Sachzwang widmet, mit einem Silbernen Bären für das Beste Drehbuch ausgezeichnet. Einen weiteren Bären erhielt Schauspielschüler Mikkel Boe Følsgaard (Interview) für seine Darstellung des Königs Christian. In der Tat gelingt Følsgaard ein selbst für Fortgeschrittene schwieriges Kunststück, indem er seine Figur zunächst als Trottel einführt, sie in den folgenden Szenen die geballte Antipathie des Publikums auf sich ziehen lässt und diese solcherart gnadenlos preisgegebene Figur dann ganz allmählich aus dem Fegefeuer der Ungeliebten herausführt. Schließlich rundet er sie zu einem vollständigen, warmen, lebendigen und komplexen Charakter, der Mitgefühl erregt und Respekt gebietet.