ray Filmmagazin » Themen » Die Kunst des Mordens
Giallo Film

Giallo

Die Kunst des Mordens

| Jörg Schiffauer |
Das Österreichische Filmmuseum widmet – in Kooperation mit dem /slash Filmfestival – dem Giallo, einer Variation des Thriller-Genres, die im italienischen Kino der sechziger und siebziger Jahre ihre Hochblüte erlebte, eine umfassende Retrospektive.

Die Herleitung des Begriffs erweist sich als relativ simpel: „giallo“, also das italienische Wort für gelb, geht auf die Farbe des Einbands der in Italien höchst populären Romanhefte der Reihe „Il Giallo Mondadori“ – nach dem Verlag, der diese publizierte – zurück, die sich in höchst griffiger Weise – die Bezeichnung Groschenromane oder Pulp Fiction wäre durchaus angebracht – Kriminalgeschichten widmen und bereits in den dreißiger Jahren Verbreitung fanden. In der Populärkultur
assoziiert man mit dem Terminus jedoch primär jenes filmische Subgenre, das zu Beginn der sechziger Jahre seine Anfänge nahm und sich zu einer spezifischen italienischen Spielart entwickelte.

Werbung

Ein Subgenre wie Giallo hat sich nicht von Anfang an konstituiert, was Inhalt und vor allem die Form angeht, naturgemäß verfügt es auch nicht über einen vorgefertigten, klar definierten Kanon. Giallo hat anhand seiner Filme eine Entwicklung durchlaufen, in deren Verlauf sich jene charakteristischen Themen, Motive und die akzentuierte Stilistik deutlich herauszukristallisieren begannen, die eine Zuordnung einzelner Werke erst möglich machen. Giallos nehmen Anleihen bei klassischen Genres wie Horror und Thriller, zudem finden sich immer wieder Mystery- und Krimi-Elemente. Angesichts dermaßen recht breit angelegter Kriterien bleibt natürlich ein Interpretationsspielraum, was nun eigentlich diesem Genre zugerechnet werden kann. Allein die gegenständliche Retrospektive verweist in ihrer Vielschichtigkeit darauf, dass es dem Giallo ein wenig innewohnt, sich einer klaren Kategorisierung zu verweigern. Über die Zugehörigkeit einzelner Filme mag sich trefflich streiten lassen, über die herausragende Figur dieses speziellen Subgenres kann es jedoch keinen Dissens geben.

Il maestro della paura

Kein anderer hat den Begriff „Giallo“ so geprägt wie der Meister der Angst, Dario Argento. Seine Filme erwiesen sich als stilbildend – und das über diese Spielart hinaus – und trugen entscheidend dazu bei, dem Giallo zu seinem Kultcharakter und seiner Respektabilität zu verhelfen. Es erscheint daher mehr als angemessen, dass Argento im Rahmen der Retrospektive gleich mit sieben seiner Arbeiten vertreten ist.

Dario Argento begann seine Karriere zunächst als Filmkritiker. Bald, nachdem er begonnen hatte, eigene Drehbücher zu verfassen, kam er in Kontakt mit Sergio Leone – die Begegnung mit dem großen Regisseur, der mit Per un pugno di dollari (Für eine Handvoll Dollar) den Italo-Western schlechthin in Szene gesetzt hatte, sollte folgenschwer sein, wie sich Argento erinnert: „Zu meiner Überraschung fand Sergio Leone Gefallen an meinem Schreibstil und hat mir und Bernardo Bertolucci angeboten, das Drehbuch für C‘era una volta il west (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968) zu schreiben. Eine mutige Entscheidung, denn Bertolucci und ich waren blutige Anfänger und hatten keine offizielle Reputation. Er nahm zwei unerfahrene junge Leute, weil er verstanden hatte, dass das Kino sich zu wandeln begonnen hatte. Niemand außer ihm schien zu bemerken, dass eine Art Revolution vor sich ging. Zum ersten Mal wurden in Italien einige unrealistische Filme gedreht. Das Genre Giallo und das Genre Western sind sich nicht unähnlich. Alles, was Leone von Amerika kannte, hat er in Western gesehen, er verband diese Bilder zu einer eigenen Phantasiewelt.“ Angesichts der ausgeprägten Stilisierung, die so charakteristisch für C‘era una volta il west ist, und des akzentuierten Einsatzes des von Ennio Morricone komponierten Scores erscheint der Vergleich mit dem Giallo durchaus stimmig.

Es sollte nicht mehr lange dauern, bis Dario Argento 1970 mit L‘uccello dalle piume di cristallo (Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe) seine erste Regiearbeit verwirklichen konnte. Dabei steht der sich in Rom befindliche US-amerikanische Schriftsteller Sam Dalmas (Tony Musante) im Mittelpunkt, der eines Abends zufällig Zeuge eines Verbrechens wird. Durch die große Auslagenscheibe einer Kunstgalerie muss er – ohne eingreifen zu können – mitansehen, wie die Frau des Galeriebesitzers von einer Gestalt im schwarzen Regenmantel mit einem Messer attackiert wird. Die Frau überlebt verletzt, doch die herbeigerufene Polizei bringt die Tat mit einer unheimlichen Mordserie in Verbindung, der bereits zwei Frauen zum Opfer gefallen sind. Dalmas kann zunächst als Augenzeuge nicht viel beitragen, da er den Angreifer nur als dunkle Gestalt wahrgenommen hat, doch er ist sich sicher, dass er eine entscheidende Beobachtung gemacht hat – an die er sich unglücklicherweise nur verschwommen erinnern kann. Um seine Erinnerung zu reaktivieren, beginnt der Autor in der Causa zu recherchieren, doch schon bald geschehen weitere Morde, und Dalmas und seine Freundin müssen befürchten, ins Visier des Täters zu geraten. L‘uccello dalle piume di cristallo beinhaltet etliche Elemente, die als zentrale Handlungsteile eines Giallo gelten können: eine Mordserie, Nachforschungen durch oft zufällig in die Sache verwickelte Charaktere, um dem Täter auf die Spur zu kommen, was schließlich zur finalen Konfrontation der Protagonisten – oft verbunden mit einem gehörigen Twist – mit dem Killer führt. Doch dies bildet nur ein eher einfach konstruiertes Handlungsgerüst. Das sorgsame, raffinierte Ausfeilen des Plots zählt nicht zu den Kernkompetenzen des Giallo. Im Zentrum stehen effektvolle Spannungsbögen und die Mordtaten selbst, die ebenso drastisch wie einfallsreich in Szene gesetzt werden. Ein guter Giallo zeichnet sich dabei durch eine stark visuell orientierte Erzählweise, die durchaus auch den artifiziellen Charakter der Inszenierung unterstreichen kann, und einen ausgeprägten Stilwillen aus. Dass L‘uccello … zu den hervorstechenden Arbeiten diese Subgenres zählt, ist neben Argentos – der auch das Drehbuch verfasste – innovativer Inszenierung auch der Konzentration von Ausnahmetalenten, mit denen er bei seinem Regiedebüt zusammenarbeiten konnte, geschuldet. Als Kameramann fungierte Vittorio Storaro, der im Verlauf seiner illustren Karriere für die Bilder von Meisterwerken wie Bertoluccis 1900 und Coppolas Apocalypse Now verantwortlich zeichnete, den Score komponierte kein Geringerer als Ennio Morricone.

Durch den Einsatz einer subjektiven Kamera mit ausgedehnten Point-of-View-Einstellungen und extremen Nahaufnahmen entwickelte Dario Argento einen extravaganten visuellen Stil, der auch seine darauf folgenden Regiearbeiten prägt. In Il gatto a nove code (Die neunschwänzige Katze, 1971) steht die Mordserie im Zusammenhang mit einer Forschungseinrichtung, die im Bereich Humangenetik vor einer bahnbrechenden Erkenntnis steht. Ein nach einem Unfall erblindeter älterer Herr (gespielt von Hollywood-Größe Karl Malden) und ein Reporter (James Franciscus) bündeln ihre Kräfte, um die Hintergründe der Verbrechen ans Licht zu bringen.

Während der Plot von Il gatto … noch deutliche Krimi- und Thrillerelemente aufweist, hält sich Quattro mosche di velluto grigio (Vier Fliegen auf grauem Samt, 1971) wenig mit erzählerischen Verästelungen auf. Roberto, Schlagzeuger einer Rockband, wird von einem ihm völlig unbekannten, schwarz gekleideten Mann verfolgt. In einem leeren Theater kommt es zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Verfolger eher unabsichtlich von Roberto erstochen wird. Dass dies alles nur inszeniert war und sein Angreifer sich noch bester Gesundheit erfreut, ahnt Roberto nicht, ebenso wenig, wer tatsächlich die Fäden bei den mysteriösen Vorgängen zieht. Die Polizei wagt Roberto nicht einzuschalten, weil er fürchtet, sich wegen des vermeintlich Toten verantworten zu müssen. Doch in Folge erreichen ihn immer wieder Briefe mit bedrohlichen Nachrichten und Fotos, die Roberto zu belasten scheinen, zudem wird er von bizarren Albträumen geplagt. Als die psychische Belastung zunimmt, vertraut er sich seiner Frau Nina an, doch die Bedrohung nimmt bald handfestere Form an, als in Robertos Umfeld Mordtaten geschehen. Roberto versucht auf eigene Faust – unterstützt von einem väterlichen Freund, den, ja, Bud Spencer verkörpert –, seinem Verfolger, der erstaunlich gut über ihn Bescheid zu wissen scheint, auf die Schliche zu kommen.

Schon in seinen ersten Arbeiten lässt Dario Argento tradierte, dominierende Erzählstrukturen wie jene des klassischen Hollywoodkinos hinter sich. Narrative Logik und ein Prinzip von Kausalität spielen zusehends eine untergeordnete Rolle, auch wenn man berücksichtigt, dass im Kino des Phantastischen und im Horrorgenre immer schon ein wenig mehr Freiraum herrschte. Doch Argento geht bei der Diffundierung der Dramaturgie konventionellen Zuschnitts deutlich weiter. Die Aufklärung der Untaten erfolgt nicht über raffinierte Nachforschungen. Zufälligkeiten oder wenig logische Wendungen können durchaus den Ausschlag geben. Dass investigativen Sequenzen nicht wirklich kausale Bedeutung zukommt, zeigt sich auch daran, dass Argentos Inszenierungen oft einen ungewohnt komödiantischen, ironischen Einschlag aufweisen, der einen geradezu irritierenden Kontrast zur vorherrschenden bedrohlichen Atmosphäre seiner Filme bildet. Auch was die Motivation des Täters angeht, spielt die Erklärung nur eine untergeordnete Rolle. Diese – und das gilt für eine Vielzahl von Giallos – wird oftmals nur auf eine eher diffus umrissene psychopathologische Störung zurückgeführt. Auch das verbleibt jedoch eine eher grobe, beinahe kolportagehaft anmutende Schablone, die bestenfalls dazu dient, die Unerbittlichkeit des Mörders zu unterstreichen. Das Auftreten des Täters – der nicht unbedingt ein Mann sein muss, um einen recht beliebten Twist dieses Genres anzudeuten – unterstreicht dies noch. Zumeist sieht man ihn nur als schemenhafte, dunkel gekleidete Gestalt, die mehr wie eine mythische Schreckensgestalt wirkt (Giallo-Mörder scheinen über weite Strecken geradezu allmächtig darin, ihre Opfer zielsicher aufzuspüren und an alle Orte vordringen zu können). Im Giallo geht es nicht um psychologisierende Erklärungen oder raffiniert gestrickte Plots, vielmehr zielen seine Proponenten darauf ab, eine bedrohliche Atmosphäre und Angstmomente – Argento nennt diesen narrativen Duktus höchst treffend „Fluss der Dramatik“ – ebenso kunstvoll wie effektiv zu generieren und gleichsam eine Essenz des Genres zu zelebrieren.

Einen Höhepunkt des Giallo erreichte Argento mit Profondo rosso (Rosso – Farbe des Todes, 1975). Die Geschichte um einen Pianisten (David Hemmings), der Zeuge des brutalen Mordes an einer spiritistisch begabten Frau wird und sich mit Hilfe einer Journalistin (Daria Nicolodi) auf die Suche nach dem Killer begibt, entspricht dem eher losen Strickmuster des Giallo. Doch es ist ohnehin nur die Textur für den zitierten Fluss der Dramatik, der in einem furiosen Mix aus ungewöhnlichen, subjektiven Kameraperspektiven – wie weit man Wahrnehmungen trauen kann, das ist ein immer wiederkehrendes zentrales Motiv bei Argento –, den glühenden, geradezu expressionistisch anmutenden Farben und dem suggestiven Score der Progressive-Rockband Goblin ein geradezu rauschhaftes Erlebnis in einem erzählerischen Universum mit eigenen Gesetzen generiert. Argentos Giallos – aber auch die anderer Proponenten – erweisen sich aber nicht nur auf narrativer Ebene als innovativ, sie tragen auch, was Charaktere, Schauplätze, Deko und Kostüme angeht, oft deutlich jenen von Gegenkultur und Swinging Sixties geprägten Geist, der als Wegbereiter für eine moderne, offene Gesellschaft in vielen Bereichen fungierte. Ein schönes Beispiel dafür ist die in Profondo rosso von Daria Nicolodi – später Ehefrau und mehrfache Darstellerin in Argentos Filmen, dazu Ko-Autorin des Drehbuchs von Suspiria, einem zentralen Werk von Argento – gespielte Journalistin Gianna. In einem Genre, in dem Frauen oftmals nur die Opferrolle zukommt, erweist sich die Reporterin als stabiler, geradliniger und rational agierender Charakter, ein Kontrast zum exaltierten und ein wenig launischen Verhalten des von Hemmings verkörperten Musikers.

Vielfalt

Dario Argento erwies sich als bedeutendster Vertreter des Giallo, die Rolle des entscheidenden Impulsgebers für das Subgenre wird jedoch Mario Bava zugeschrieben. Der noch in Schwarzweiß gedrehte La ragazza che sapeva troppo (Das Mädchen, das zuviel wusste, 1963) und Sei donne per l’assassino (Blutige Seide, 1964) gehören zu den ersten Arbeiten, denen das Prädikat „Giallo“ zugeschrieben wird. Auch wenn eine solche Zuordnung natürlich immer ein wenig subjektiv bleiben muss, weist vor allem Sei donne … einige zentrale Elemente eines zünftigen Giallo auf. Bava, der früheren (Gothic-)Horrorarbeiten schon durch eine ausgeprägte Stilisierung seinen eigenen Stempel aufzudrücken verstand, etabliert bereits in der Eröffnungssequenz den artifiziellen Charakter seiner Inszenierung: Während der Vorspann abläuft, stehen die wichtigsten Charaktere wie Schaufensterpuppen in jenem Modeatelier, das zu einem der zentralen Schauplätze wird. Von dort nimmt eine Mordserie ihren Ausgang, der einige der dort beschäftigten Models zum Opfer fallen. Der Plot spielt dabei keine wesentliche Rolle, Bavas ebenso effektvoll wie stilistisch elegante Inszenierung, die auch durch eine akzentuierte Farbdramaturgie besticht, weist schon auf eine entscheidende Richtung des Giallo hin – samt einer entsprechenden Härte mit einem Hang zum Sadismus, mit der die Mordtaten in Szene gesetzt werden. Auch bei Dario Argento kann es mitunter recht heftig zur Sache gehen, doch Gewalt hat in seinen Filmen immer einen auch artifiziellen, stilisierten Charakter – „Der Akt des Tötens ist wie ein religiöser Ritus“, merkt Argento dazu an.

Eine noch deftigere Gangart schlägt Lucio Fulci in Non si sevizia un paperino (Quäle nie ein Kind zum Scherz, 1972) ein. Ein kleines Dorf in Süditalien wird schwer erschüttert, als mehrere Buben ermordet werden. Im Gegensatz zu den zumeist im urbanen Milieu – oft in intellektuellen, durchaus bürgerlichen Kreisen – spielenden Giallos, ist Non si sevizia … in einer ländlichen Gegend angesiedelt, die Kargheit der Landschaft spiegelt sich auch in der Inszenierung wider, die nicht mit der Genre-üblichen Eleganz kokettiert. Der Gegensatz zwischen der Rückständigkeit der Region, die sich auch in der Denkweise seiner Bewohner niederschlägt, und der Modernität des urbanen Italiens – personifiziert durch einen Journalisten und eine junge Frau, eine Art Socialite aus Mailand, die sich auf die Suche nach dem Mörder machen – wird zu einem zentralen Reibungspunkt. Kulminationspunkt ist jene Sequenz, als die Dorfbewohner eine Frau, die schwarze Magie betreiben soll, aber mit den Morden gar nichts zu tun hat, von einigen Dorfbewohnern in ihrer archaisch anmutenden Abergläubigkeit auf unglaublich brutale Art tot geprügelt wird. Die Entlarvung des Kindermörders erscheint wiederum geradezu als Provokation im vom Katholizismus stark geprägten Italien. Für Lucio Fulci, der im Verlauf seiner Karriere von der Komödie über den Italo-Western bis hin zum Poliziottesco Beiträge zu nahezu allen Genres ablieferte, scheinen daher auch seine Ausflüge in das Giallo-Fach nur Episoden gewesen zu sein, wobei ihm mit Sette note in nero (Die sieben schwarzen Noten, 1977) eine der feinsten, stilsichersten Arbeiten dieses Subgenres gelang. Hingegen erweist sich Lo squartatore di New York (Der New York Ripper, 1982) bestenfalls als Routinewerk, das sich vor allem auf Gewaltszenen samt ausufernden Gore- und Splattereffekten konzentriert und mehr an Fulcis drastische Horror-Exploitation à la Zombi 2 (Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies) oder Paura nella città dei morti viventi (Ein Zombie hing am Glockenseil) als an einen stilbewussten Giallo erinnert. Dass sich im Rahmen des Giallo ein für eine derartige Spielart eines Genres bemerkenswerte Vielfalt entwickeln konnte, mag auch mit den höchst unterschiedlichen Werdegängen der Proponenten zusammenhängen.

Aldo Lado etwa, der als Regieassistent Bernardo Bertoluccis und gut beschäftigter Drehbuchautor fungiert hatte, setzte mit Chi l‘ha vista morire? (The Child – Die Stadt wird zum Alptraum, 1972) einen verstörenden Thriller um eine Reihe von Morden, die an kleinen Mädchen verübt werden, in Szene. Seine Inszenierung bezieht ihre Intensität aus der morbiden Atmosphäre des Schauplatzes Venedig, die mittels in trübes Licht getauchten Bildern eine visuelle Entsprechung findet. In vielen Genres war auch Sergio Martino zu Hause, sein Giallo-Beitrag Lo strano vizio della Signora Wardh (Der Killer von Wien, 1971) zelebriert wiederum die typischen Kernelemente bis hin zur Fetischisierung. Tonino Valerii, der sich als Regisseur vornehmlich mit Western einen Namen machen konnte, lieferte mit seinem einzigen Giallo, Mio caro assassino (Mein lieber Mörder, 1972), eine schnörkellosen, intensiven Beitrag ab, der deutlich mehr Elemente eines traditionellen Krimis aufweist als andere Vertreter des Genres. In La morte ha fatto l’uovo (Die Falle, 1968) verbindet Giulio Questi, eine singuläre Figur des italienischen Kinos, Genre-Elemente mit bissiger Gesellschaftskritik.

Die Popularität und Bedeutung des Giallo lässt sich auch daran ablesen, dass sich selbst höchst prominente Regisseure daran versuchten, deren Namen man nicht unbedingt in diesem Genre verorten würde. Luigi Comencini etwa, der das italienische Kino mit gehaltvollen Komödien und bösen Satiren wie etwa dem herrlich bissigen L‘ingorgo – una storia impossibile (Stau) geprägt hatte, brachte mit La donna della domenica (Die Sonntagsfrau, 1975) eine ironische Note in den Giallo ein. Die Ermittlungen über den Mord an einem Architekten führen den verantwortlichen Kommissar (Marcello Mastroianni) in die großbürgerliche Welt Turins, die ein eher absurdes Bild abgibt. Ein anderer Meister der Commedia all’italiana, Dino Risi, setzte mit dem düster-verrätselten Anima persa (Verlorene Seele, 1977) einen Film in Szene, der zwischen psychologischem (Familien-)Drama und Genre-Arbeit changiert.

Den vermutlich eigenwilligsten Beitrag vermochte Elio Petri beizusteuern. Petri, der sich mit Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto (Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger) und Todo modo als ebenso scharfsichtiger wie satirischer Kritiker der Zustände in Gesellschaft und Politik Italiens der Nachkriegszeit positioniert hatte, drehte mit Un tranquillo posto di campagna (Das verfluchte Haus, 1968) einen Film, der sich als Grenzgänger erweist. Im Mittelpunkt stehen der erfolgreiche Maler Leonardo (Franco Nero) und seine Galeristin Flavia, die auch seine Lebenspartnerin ist. Um dem Stress und Erfolgsdruck der Großstadt zu entkommen und ungestört arbeiten zu können, sucht er Zuflucht in einer abgelegen Villa in Venetien. Das einstmals prächtige Gebäude, das lange verlassen steht, übt mit seinem morbiden Charme eine eigenwillige Faszination auf den Künstler aus. Zudem birgt das Haus ein dunkles Geheimnis: Während des Zweiten Weltkriegs kam die siebzehnjährige Tochter des aristokratischen Besitzers dort ums Leben. Um das Mädchen mit der beeindruckenden Persönlichkeit und ihre amourösen Abenteuer ranken sich unter der lokalen Bevölkerung zahllose Erzählungen und Gerüchte. Leonardo gerät zusehends in den Bann der Geschichte der jungen Frau, Wahn und Wirklichkeit beginnen auf gefährliche Art und Weise immer mehr zu verschwimmen. Mit einer eigenwilligen Erzählstruktur und Verfremdungen – in den zahlreichen Flashbacks verwendet Petri theaterhaft anmutende Abstraktionen – erscheint Un tranquillo … mehr wie eines jener Experimente, die im Kino der sechziger Jahre Platz griffen und die gewaltigen Umbrüche jener Jahre auch auf kultureller Ebene widerspiegelten.

Un tranquillo … spielt mit einigen typischen Versatzstücken des Giallo – allein der finale Twist ist stilgerecht, verrät aber auch viel über jene pessimistische Ironie, mit der Petri seine Kritik formuliert –, doch bleibt Petris Film ein Solitär, der sich einer einschlägigen Kategorisierung auf faszinierende Weise entzieht.