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Diagonale 2022

Die radikale Individualistin

| Brigitta Burger-Utzer |
Die Diagonale widmet Friederike Pezold, der Pionierin der Medienkunst, ein Tribute anlässlich der Premiere ihres neuesten konzeptuellen Films „Revolution der Augen“.

Bereits in den frühen siebziger Jahren wurde die Beschäftigung mit den neuen technologischen Medien – Video, Videoinstallation, TV und Videoskulptur – zur zentralen Thematik und künstlerischen Praxis von Friederike Pezold: „Zu meiner großen Freude stellte ich fest, (…) dass ich gleichzeitig vor und hinter der Kamera stehen konnte (was ich bei Film bisher nicht konnte). (…) Mit Video machte ich das bislang Unmögliche möglich: die Aufhebung der Trennung von Modell und Maler, von Subjekt und Objekt, Bild und Abbild.“ Diese Anschauung – Motor für viele feministische Performancekünstlerinnen, mit dem eigenen Körper eine originäre Selbstdarstellung zu erreichen – war auch für Friederike Pezold alias Pezoldo ein wichtiger Ausgangspunkt ihrer programmatischen Kunst. Darüber hinaus schuf sie frühzeitig begehbare Installationen mit Endlosschleifen von Videoarbeiten, die international an den renommiertesten Orten ausgestellt wurden.

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Seit 1973 arbeitet sie an einer „neuen leibhaftigen Zeichensprache eines Geschlechts nach den Gesetzen der Anatomie
Geometrie und Kinetik“, wofür sie einzelne ihrer Körperteile in grafische und malerische Elemente auflöst, wiewohl sie immer als Teile einer weiblichen Gestalt erkennbar bleiben. In dieser Serie entstehen ihre bekanntesten Werke, die sie als Fußwerk, Mundwerk, Schamwerk oder etwa Brustwerk bezeichnet und die sowohl als Fotografien, Monitorreihen oder als Installationen verbunden mit Zeichnungen und Konzepten ausgestellt werden. Die für Pezold markanten Monitortürme, die eine weibliche Figur in mehrere Bauelemente aufspalten, zeigen hauptsächlich aber nicht nur den eigenen Körper. In den neunziger Jahren konstruierte sie damit Porträts von Frauen verschiedener Weltregionen, aus Afrika, Tibet und Südamerika, um gegen Rassismus und postkoloniale Ausbeutung zu protestieren. Die Videostücke für die einzelnen Monitore zeichnen sich durch eine Langsamkeit in der Bewegung aus, manchmal sind die Details nicht sofort zu enträtseln. Trotzdem fesseln sie den Blick und bestechen aufgrund ihrer poetischen und mythologischen Aufladung, erinnern die Skulpturen doch an indianische Totempfähle.

Stille und Dauer der Einstellungen als Protest gegen die Beschleunigung der visuellen Inhalte unserer digitalen
Gesellschaft sind essenzielle Stilmittel für Friederike Pezoldos jüngsten Film Revolution der Augen, der als kulturpessimistisches Manifest gelesen werden kann, als Plädoyer für die Langsamkeit, als Konzeptfilm für kleinste Bewegungen. Die Künstlerin bebildert ihre „Revolte“ mit Ausschnitten von früheren Arbeiten und neuen zeichnerischen und grafischen Elementen. Gegen Ende steht „ein Brief an die Technik: Du bist nicht Gott!“ Der Stecker wird gezogen, und das Weiß bietet endlich die befreiende Leere. Gedanken an den Tod und das buddhistische Nirwana tauchen auf.

Die Diagonale stellt dem Wettbewerbsbeitrag zwei weitere Kinofilme von Friederike Pezold zur Seite, die jeweils im Forum der Berlinale – damals wie heute die innovative Sektion des Festivals – ihre internationale Premiere feierten. Toilette (1979) führt das angegebene Zitat der Künstlerin über die Einheit von Maler und Modell während des Prozesses einer Videoaufzeichnung nachvollziehbar vor. Nach dieser Einführung zur Autonomie der Künstlerin für die Herstellung von Toilette wechselt die Einstellung zur Kameraperspektive und in der Folge zu den Nahaufnahmen der nackten Körperteile. Friederike Pezold zelebriert das Zurechtmachen, sie bürstet sich mit einem Peelinghandschuh, kratzend unangenehm der glatten Haut wegen, sie zieht sich an und schminkt sich. Nie wird der Körper zur Gänze sichtbar und durchgehend erreichen die Fragmente des Leibes eine von der Fleischlichkeit losgelöste Form, eine Zeichenhaftigkeit. Das Objekt des Begehrens ist zerteilt, gibt nichts Obszönes preis. Dagegen sind die Zuseherinnen und Zuseher bald mit ihrem Voyeurismus konfrontiert, der enttäuscht wird, in dieser zeitlich langen Ausdehnung schwer zum Aushalten und doch immer aufs Neue faszinierend, verführerisch die Erwartungen in Spannung haltend.

Bereits 1977 präsentierte Pezoldo „Radio Freies Utopia“, das ihr ermöglichte, selbst gestaltetes Fernsehprogramm mithilfe eines am Rücken befestigten Gestells persönlich „von Wirtschaft zu Wirtschaft, von Wohnung zu Wohnung“ zu tragen. Angeödet vom Scheiß im Fernsehen ersetzte sie es durch „Nahsehen“. Konsumentinnen und Konsumenten mussten der Senderin nah sein, persönlich anwesend sein. Aus den vielen Ideen für ihren TV-Kanal entstand mit der Kamerafrau Elfi Mikesch und weiteren Mitstreiterinnen der Spielfilm Canale Grande (1983).

Mit viel Witz und anarchischen Einfällen entwickelt sich ein Mosaik an trashigen und queeren Szenen. Die unnachahmliche Keckheit beginnt schon bei der Vorbereitung für ihr Studio in der eigenen Wohnung, als sie an der Mithilfe der Polizei und des Bankbeamten scheitert, ihr bei der Demontage der Überwachungskameras zu helfen. In „Hans im Glück“ bringt ein Mann ein Baby zur Welt; Herr Kunstbichler ermordet den Tiroler in Lederhosen; Artaud kommt schreiend zu Besuch; die Eltern schenken ihr Homemovies, und sie selbst erzählt anhand von Jugendfotos, dass sie bei den Familienreisen immer im Auto sitzen blieb und ihre eigene Phantasie spielen ließ. Immer wieder muss ich auch heute noch laut lachen, wenn Pezoldo ihrer Freundin ähnliche Fotos von Hotelanlagen mit Swimmingpool zeigt, um zu fragen, wohin sie denn auf Urlaub fahren wollen. Sie bleiben schließlich in den eigenen vier Wänden und in der Badewanne. Auch diese Aktion ist angewandter Widerstand!