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Geumhyung Jeong. Foto: Tae Hwan Kim

Impulstanz

Die Strippenzieherin

| Kathrin Heinrich |
In Geumhyung Jeongs hochgelobten Performances und Installationen entspinnen sich ungewöhnlich sinnliche Bande zwischen Mensch und Ding. Die Werkschau der südkoreanischen Choreografin und Performerin im Rahmen von ImPulsTanz zeigt einen Querschnitt ihrer künstlerischen Praxis, die ebenso lustvoll wie gesellschaftskritisch die Grenzen von Objekt und Subjekt verwischt.

Den Kopf starr auf eine Stange montiert, Arme und Beine, die aus einem roboterhaften Skelett zu sprießen scheinen, das sich zweiachsig auf Reifen bewegt: merkwürdige Hybridwesen aus Maschinen und abgehackten Extremitäten von Schaufensterpuppen; daneben gleicht ein Torso auf Rollen einem grausamen Bobbycar. Was wie ein groteskes, animatronisches Labor wirkt, ist Teil der Performance Homemade RC Toy der südkoreanischen Künstlerin Geumhyung Jeong. Der nackte Körper der Performerin gesellt sich dabei zu ihren Kreationen, kriecht zwischen ihnen am Boden umher und tritt vorsichtig in Kontakt mit den Zwitterwesen, die sie per Fernbedienung steuert. Das technische Know-how, sie auszutüfteln, hat sich die ausgebildete Performerin und Choreografin selbst beigebracht, es haftet ihnen also stets ein autodidaktisches Moment an, was die Maschinen sowohl charmant als auch latent bedrohlich wirken lässt.

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Unheimlich, zauberhaft oder betörend sind nur einige der Adjektive, mit denen Jeongs Performances beschrieben und oftmals mit literarischen Motiven wie der Olimpia in E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ assoziiert werden. Dabei hat die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Mensch und Automat nichts von seiner Faszination eingebüßt – im Gegenteil, Fragen nach dem Einfühlungsvermögen künstlicher Intelligenz sind im digitalen Zeitalter so aktuell wie nie zuvor. Im Spannungsfeld von Cyborg-Theorie, K. I. und verspielten, nahezu surrealistischen Anmutungen treffen Geumhyung Jeongs Arbeiten den diskursiven Zeitgeist: Neben zahlreichen Ausstellungen in namhaften Institutionen wie der Tate Britain oder der Kunsthalle Basel ist sie derzeit auch Teilnehmerin der Hauptausstellung von Cecilia Alemanis Venedig-Biennale „The Milk of Dreams“. Jeongs Roboter wirken jedoch eher hilflos denn leistungsstark: Ihr Herumrollen gleicht einem Taumel, die Kabel und Drähte verletzlich wie freigelegte Blutgefäße. Man kommt nicht umhin, sich ihrer annehmen zu wollen – eine Umkehr der Fürsorgelogik, mit der wir normalerweise Maschinen für uns arbeiten lassen.

Geboren 1980 in Seoul, wo sie auch lebt und arbeitet, studierte Jeong Schauspiel an der Hoseo-Universität im südkoreanischen Asan, Tanz und Performance an der Korean National University of Arts und Filmanimation an der Korean Academy of Film Arts in Seoul. Die Kombination verschiedener Techniken und Formsprachen aus dem zeitgenössischen Tanz, Puppentheater und aus der Bildenden Kunst prägen ihr Schaffen demnach seit den Anfängen. Die von Jeong choreografierten Beziehungen von menschlichen Körpern und unbelebten Gegenständen sind mal zaghaft erkundend, mal überbordend erotisch und thematisieren nicht nur den Leistungszwang der Maschine, sondern auch jenen des menschlichen Körpers.

Von Schönheitsprodukten über Haushaltsgeräte hin zu Roboterteilen und medizinischer Prothetik greift Geumhyung Jeong in ihrem Schaffen auf ganz unterschiedliche Gegenstände zurück, wobei die Grenze zwischen Objekt und Subjekt in vielen ihrer Werke fließend ist. So beschreibt sie ihren künstlerischen Prozess als den Aufbau einer Beziehung zu Objekten oder Maschinen, als eine Art Freundschaft. „Bereits die Auswahl der Objekte ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit“, sagt Jeong im Interview. „Es macht mir Spaß, Produkte zu finden, die perfekt aussehen; so, als wären sie für meine Arbeit gemacht. Das Finden der Objekte nimmt mehr Zeit in Anspruch als das Finden der Bewegung mit ihnen. Eine Geschichte mit einem Gegenstand beginnt oft bereits mit dem Auswahlprozess.“

Das können Alltagsgegenstände sein, wie etwa in 7ways, einer Aneinanderreihung sieben kurzer Sequenzen, in denen sie sieben verschiedene Dinge performt. Während die Objekte ein Eigenleben zu entwickeln scheinen, verschwindet der Körper der Performerin vermeintlich in die Passivität. „Das Performen eines Objekts ist wie ein Spiel mit seinen Grenzen, bei dem ich erforsche, was das Objekt tun kann und was ich mit dem Objekt tun kann,“ so Jeong. Vielfach gehen diese verspielten „Duette“ mit Gegenständen auch ins Erotische über und adressieren auf ans Absurde grenzende Weise Fragen des Animismus.

So fährt Jeong in Oil Pressure Vibrator besonders großes Gerät auf: Die Lecture-Performance zeichnet sowohl eine Suche nach sexueller Emanzipation nach wie die Affäre mit einem Bagger. Indem die Performance Dokumentarfilm, Tanz und Theater verquirlt, bleibt es dem Publikum überlassen, zu entscheiden, ob es sich um die Geschichte eines fiktiven Charakters oder um autobiografische Bekenntnisse der Künstlerin handelt. Weniger eindeutig gestaltet sich das Verhältnis von Performerin und Puppe in Rehab Training, einem Reha-Programm für eine lebensgroße Puppe, die sich in dessen Verlauf wiederum auf den Körper der Künstlerin bezieht.

Motivisch zieht sich die Puppe wie ein roter Faden durch Jeongs Œuvre. Die an Prothesen erinnernden Fragmente in Home-
made RC Toy
, die einem medizinischen Dummy gleichende Puppe in Rehab Training oder jene dem traditionellen koreanischen Puppentheater entsprungen scheinende Figur, die in 7ways aus einem Staubsauger emporwächst. Doch darüber hinaus prägt das Puppenspiel Geumhyung Jeongs künstlerisches Selbstverständnis als Performerin: „Die Beziehung, die ich zu den Objekten aufbauen möchte, ist wie die zwischen der Puppe und dem Puppenspieler in einem Puppentheater. Der Puppenspieler gibt den Zuschauern das Gefühl, die Puppe sei lebendig, obwohl jeder weiß, dass es eine Puppe ist.“ Auch die Fernsteuerung der roboterhaften Skulpturen in Homemade RC Toy entpuppt sich demnach gleichsam als digitaler Marionettenfaden.

Es bleibt jedoch nicht bei der Performance der Gegenstände. Jeong zeigt sie auch als Installation, die den Prozess ihres Schaffens abbilden: Arbeiten, für die sie immer wieder den Begriff der „Unperformed Objects“ verwendet. So zeigt sie in Venedig mit Toy Prototype ein Tableau ihrer selbstgebauten Roboterskulpturen und Videoinstallationen, in Wien wird Homemade RC Toy als Installation zu sehen sein. „Die Präsentation von Objekten als Sammlung fühlt sich wie eine andere Art von Choreografie an, die ihre eigene Geschichte hat, da sie für bestimmte Aufführungszwecke zusammengetragen wurde. Aber indem ich versuche, die Objekte ohne den Kontext der Aufführung zu begreifen, als jene ursprünglichen Produkte, die sie zuvor waren, kann ich sie wieder anders sehen und mit ihrer Anordnung spielen“, beschreibt Geumhyung Jeong das Verhältnis ihrer verschiedenen Werkgruppen.

In Spa & Beauty verschmelzen beide Ebenen ebenso humorvoll wie bizarr: Eine Auswahl von Beautyprodukten „für die Selbstliebe“ thematisieren nicht nur den Leistungszwang der Maschine, sondern auch den des menschlichen Körpers im Spätkapitalismus, sei es in Bezug auf sexuelle Leistung oder Vorstellungen von Schönheit und Wellness. Die borstigen, haarigen Utensilien haben es der Künstlerin dabei besonders angetan: „Körperbürsten sind ein Beispiel für die Verwischung der Grenze zwischen Objekt und Subjekt“, erläutert Jeong, „denn es verschwimmt, was sich woran reibt.“ Das Publikum wird dazu eingeladen, selbst die Dinge zu „aktivieren“ und sich damit selbst mit jenen Fragen zu konfrontieren, die Jeong immer wieder aufs Neue aufwirft: Wer hält hier eigentlich die Kontrolle, wer macht wen zum Objekt?