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Die Welt wird eine andere sein

Filmkritik

Die Welt wird eine andere sein

| Pamela Jahn |
Beeindruckendes Drama über das Politische und das Private

In Wahrheit wollte er gar nicht nach Deutschland. Und Zahnmedizin ist auch nicht sein Ding. Aber den Wunsch, Pilot zu werden, hat Saeed (Roger Azar) verworfen, um seine Eltern im Libanon nicht zu enttäuschen. Als er beim Studium in Hamburg Mitte der Neunziger die Türkin Asli (Canan Kir) kennenlernt, kommen einander die beiden schnell näher, verlieben sich, wollen heiraten. Aber auch Asli hat es nicht leicht mit ihrer Mutter, die die Beziehung ihrer Tochter zu einem Araber nicht akzeptieren will. Trotzdem lassen sie sich schließlich heimlich in einer Moschee trauen.

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Das gemeinsame Glück ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn Saeed verändert sich. Mit kleinen Geheimnissen fängt es an, plötzlich wird er ernster, verbohrter, bis er eines Tages beschießt, in den Jemen zu gehen – und Asli versteht die Welt nicht mehr. In Beirut soll sie bei seinen Eltern auf ihn warten, doch Saeed kommt nicht. Als er vier Monate später wieder vor ihrer Tür steht, versuchen sie zögerlich einen Neuanfang, bis Saeed nach Miami weiterzieht, um endlich seinen Traum vom Fliegen zu verwirklichen. Asli bleibt in Deutschland, wartet erneut auf seine Rückkehr. Wartet noch immer, als am 11. September 2001 die Angriffe auf das World Trade Center in New York zur Chiffre des Terrors werden und die brutalen Tatsachen plötzlich über sie einbrechen wie ein Orkan, ohne Vorwarnung und mit verheerenden Folgen.

Es sind harte Stoffe, immer fest verankert im Realen, die Anne Zohra Berrached in ihren Filmen verhandelt: Ihr Erstling Zwei Mütter war eine intensive Versuchsanordnung über die erdrückenden Schwierigkeiten eines lesbischen Paares mit unbedingtem Kinderwunsch. 24 Wochen handelte von einer schwangeren Erfolgsmutter, die sich entscheiden muss, ihr behindertes Baby auszutragen oder abzutreiben. Und auch in ihrem dritten Spielfilm stellen sich Asli und Saeed vor, einmal eine Familie zu gründen. Nur kommt es nicht so weit, zumal ihre Beziehung nach fünf Jahren abrupt endet, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat, weil Saeed die fatale Entscheidung trifft, die Welt zu verändern und dafür nicht nur sein eigenes Leben zu opfern. Der Zuschauer bleibt zu jeder Zeit bei Asli, erfährt über die Pläne ihres Mannes genauso viel wie sie, oder genauso wenig – und darum geht es.

Was die Regisseurin interessiert, sind die emotionalen Konflikte und privaten Kämpfe ihrer Hauptfiguren, mit all den Ängsten und Zweifeln, der Verunsicherung und Verzweiflung, die sich darin manifestieren. Aber auch die Fakten, so schmerzlich sie sein mögen, spart Berrached prinzipiell nie aus. Dazu braucht sie außergewöhnliche Hauptdarstellerinnen, die viel tragen können, und wie Julia Jentsch in 24 Wochen ist auch Canan Kir nicht nur das Gesicht dieses Films, sondern das magnetische Kraftzentrum inmitten einer Problematik, die viele Fragen aufwirft und keine klaren Antworten bereithält. Die Wahrheit spiegelt sich in ihren Augen. Aslis Ausharren, das Warten, die Passivität, mit der sie sich gegen das stellt, was um sie herum und mit ihr geschieht, sind Lähmung und Widerstand zugleich.

Das Politische, der weltgeschichtliche Überbau, all das spielt sich in Die Welt wird eine andere sein größtenteils unter der Oberfläche ab, im Privaten, wie in Aslis Blick, wenn sie ihrem Mann tief in die Augen schaut und plötzlich nicht mehr weiß, wer da vor ihr steht. So gefasst die junge Frau bis zum Ende nach außen wirkt, ihre innere Unruhe und Zerrissenheit sind stets präsent. Die aufmerksame Kamera von Christopher Aoun spürt ihr nach, sucht nach Ahnungen, nach Gewissheiten, und findet sie nicht. Im Zusammenspiel mit Kirs Unbefangenheit und Einfühlungsvermögen im Hinblick auf ihre Figur, entsteht daraus ein zarter, starker Film, der Geschehenes nicht rückgängig machen kann, aber sein Publikum bewegt.