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Drive-Away Dolls

Die wilden Neunziger

| Jörg Schiffauer |
Ethan Coen schickt in „Drive-Away Dolls“ die Protagonistinnen auf eine Reise voller Überraschungen.

 

Im Leben von Jamie (Margaret Qualley) scheint wieder einmal kein Stein auf dem anderen zu bleiben. Nicht, dass der jungen Frau mit einem Hang zu spontanen Entscheidungen, Turbulenzen fremd wären, doch die Trennung von ihrer Lebensabschnittspartnerin Sukie (Beanie Feldstein) verläuft ein wenig gar heftig. Wobei das in erster Linie für Sukie gilt, die die ganze Angelegenheit weit weniger nonchalant sieht als ihre vormalige Freundin. Doch das alles bringt Jamie auf die Idee, dass ein Tapetenwechsel angesagt wäre, ein Abstecher ins sonnige Florida, genauer gesagt nach Tallahassee, erscheint genau das richtige Mittel. Rasch ist durch einen Job, bei dem Jamie einen Wagen nach Florida überführen soll, auch das Transportmittel gesichert, zudem hat sie mit Marian (Geraldine Viswanathan) eine Reisegefährtin gefunden. Marian ist mit ihrer introvertierten, verschlossenen Art eigentlich das genaue Gegenteil der lebenslustigen Jamie, die sich jedoch tunlichst bemüht, ihre Mitreisende aus der Reserve zu locken. Soweit wäre alles für einen wunderbaren Ausflug bereit, wenn nicht bei der Übergabe des zu überführenden Gefährts ein folgenschwerer Irrtum passiert wäre: Jamie und Marian fahren nun jenen Wagen, den zwei Gangster übernehmen hätten sollen und in dem sich zwei Taschen mit brisanten, aber auch etwas anrüchigen Inhalten befinden, die die Unterwelt aber um jeden Preis wiedererlangen will. Während Jamie und Marian versuchen, im Verlauf ihres Trips dem Leben ein paar lustvolle und vergnügliche Seiten abzugewinnen, heften sich die beiden Gangster, die jedoch nicht immer geschickt agieren, flugs an die Fersen der beiden jungen Damen.

 

Den vollständigen Artikel und das Interview lesen Sie in unserer Printausgabe 03/24

 

 

Seit ihrem fulminanten Debüt mit Blood Simple (1984) zählen die Brüder Joel und Ethan Coen zu jenen Auteurs, die das US-amerikanische Kino in diesen vier Jahrzehnten entscheidend mitgeprägt haben. Ihre ganz spezielle, eigenwillige Art des Erzählens mit einem Sinn für schwarzen Humor verbanden sie kongenial mit einem feinen Gespür für Genrekino und seine Traditionen. Blood Simple erwies sich als Hommage an den Film noir, Miller’s Crossing (1990) als eine an den klassischen Gangsterfilm. Wobei die Coens es verstanden haben, tradierten Formen nicht nur ihre Reverenz zu erweisen, sondern stets einen frischen Zugang zu diesen zu finden. Markenzeichen waren neben den betont schrägen Charakteren ein präzise ausbalanciertes Spannungsverhältnis zwischen Tragödie und Komik. Filme wie Barton Fink (1991) Fargo (1996), The Big Lebowski (1998), The Man Who Wasn’t There (2001), No Country for Old Men (2007) – um nur einige zu nennen – haben schon längst den Status von Kultklassikern. Obwohl Joel und Ethan in den Credits nicht immer offiziell als Regieduo aufgelistet sind, waren ihre Filme, bei denen sie neben der Regie in wechselnden Konstellationen auch als Drehbuchautoren, Produzenten und Editoren fungierten, stets das Resultat einer gemeinschaftlichen Arbeit. Doch nach ihrer bislang letzten Kollaboration, The Ballad of Buster Scruggs (2018), entschlossen sich die Brüder, sich zwischenzeitlich auf eigene Projekte zu konzentrieren. Joel drehte mit The Tragedy of Macbeth (2021) eine Adaption von William Shakespeares Königsdrama. Neben Denzel Washington in der Titelrolle übernahm Frances McDormand, Joels Ehefrau und oftmals grandiose Darstellerin in Filmen der Coen-Brüder, den Part der Lady Macbeth. Ethan widmete sich zunächst der Dokumentation Jerry Lee Lewis: Trouble in Mind (2022). Bei seiner neuen Regiearbeit Drive-Away Dolls arbeitete Ethan Coen wiederum eng mit Tricia Cooke – sie verfassten gemeinsam das Drehbuch, agierten als Ko-Produzenten, dazu war Cooke auch für den Schnitt verantwortlich – zusammen. Was im Grunde die Fortsetzung einer erfolgreichen Kooperation ist, denn Tricia Cooke war seit Miller’s Crossing als Editorin oder anfangs Schnittassistentin an zahlreichen Filmprojekten der Brüder beteiligt.

Coen und Cooke schicken ihre Protagonistinnen in Drive-Away Dolls auf einen schrillen Roadtrip, der neben schrägen Charakteren und einer gehörigen Portion an grimmigem Humor auch gezielt Scherze durchaus schlüpfriger Natur platziert, die der Geschichte eine Art von Pulp-Charakter verleihen. Kenner des Œuvres der Coens werden auch so manches ironische Selbstzitat entdecken. Die beiden Gangster, die Jamie und Marian nachhetzen, erinnern in ihrem Gehabe an die von Peter Stormare und Steve Buscemi gespielten etwas tollpatschigen Entführer aus Fargo. Im Zoom-Interview geben Ethan Coen und Tricia Cooke einen kleinen Einblick in die Arbeit an Drive-Away Dolls.

 


Interview

Was war der Grund, die Geschichte von „Drive-Away Dolls“ genau im Jahr 1999 anzusiedeln?
Ethan Coen: Wir haben die erste Fassung des Drehbuchs bereits in den frühen 2000er-Jahren geschrieben, also in zeitlicher Nähe zum Jahr 1999. Der zweite Grund ist, dass Tricia diese Welt, die Szene von damals mit den Bars für homosexuelle Frauen, gut gekannt hat.

Tricia Cooke: Ich konnte besser eine Geschichte über die lesbische Szene und diese Bars erzählen in einer Zeit, als ich in dieser Szene aktiver unterwegs war, das waren nun einmal die späten neunziger Jahre und frühen 2000er. Außerdem spielten Mobiltelefone und das Internet damals keine so große Rolle, es erschien mir also besser, diese Geschichte als Period Piece zu erzählen.

Ethan Coen: Die Szene war damals auch meiner Einschätzung nach frecher als heute, wo jeder ohnehin über alles Bescheid zu wissen scheint und nichts mehr verboten ist. Diese Frechheit, auch verbunden mit einer gewissen Naivität, ist heutzutage nicht mehr vorhanden.

Die beiden Protagonistinnen könnten nicht gegensätzlicher sein, Jamie als impulsiver Freigeist und Marian als die alles überdenkende Grüblerin.
Ethan Coen:Zunächst sind die beiden der Typus des „seltsamen Paars“, das man häufig in Komödien findet. Das klassische Beispiel dafür sind die von Jack Lemmon und Walter Matthau gespielten Charaktere Felix und Oscar in The Odd Couple. Man kann es aber auch auf einer persönlichen Ebene formulieren, die von Geraldine gespielte Figur bin ich und jene von Margaret ist Tricia.

Tricia Cooke: Es ist auch leichter, Schwarz-Weiß zu zeigen als Grautöne, dramaturgisch kann so ein strikter Gegensatz manchmal ergiebiger sein.

Hat der Casting-Prozess lange gedauert, um die richtigen Schauspielerinnen zu finden?
Ethan Coen: Bei einem Casting ist es manchmal so, dass man sofort das Gefühl hat, eine Schauspielerin ist in dieser Rolle einfach gut – oder eben nicht. Bei Margaret, Geraldine und Beanie hatte ich, nachdem sie einige Szenen gespielt hatten, den Eindruck, das passt großartig, sie konnten ihre Charaktere gleich zum Leben erwecken. Das passiert nämlich in dieser Form eher selten, aber wenn, macht es natürlich große Freude, eine solche Entwicklung zu sehen. Und dieses Vergnügen überträgt sich am Schluss auch hoffentlich auf die Zuschauer, wenn die Charaktere schließlich in der finalen Fassung auf der Leinwand zu sehen sind. Manchmal weicht das dann etwas davon ab, wie wir uns als Drehbuchautoren einen Charakter zunächst vorgestellt haben, aber wenn etwas gut funktioniert, gibt es keinen Grund, daran etwas zu ändern.

Tricia Cooke: Insbesonders Marian ist ein gehemmter Charakter, Geraldine hat jedoch dieser Figur sehr viel Wärme und Humor verliehen. Margaret wiederum ist selbst so eine Art Freigeist, was wiederum sehr gut zu der von ihr gespielten Figur, Jamie, passt und deshalb auch so ausgezeichnet funktioniert hat. Beanie hat ihre Figur sofort genau getroffen, es hat Spaß gemacht zu verfolgen, wie sie die richtige Mischung aus Humor und Zorn, die diesen Charakter ausmacht, gefunden hat.

Auffallend ist die große Zahl an Frauen im Team.
Tricia Cooke: Es war einfach angenehm, mit Frauen in einflussreichen Positionen diesen Film zu machen. Mit kreativen Frauen wie Director of Photography Ari Wegner, Szenenbildnerin Yong Ok Lee oder Kostümbildnerin Peggy Schnitzer zu arbeiten, war für mich auch eine bestärkende Erfahrung. Ethan hat natürlich auch früher schon gut mit Frauen im Team zusammengearbeitet, aber vielleicht nicht in so großer Zahl wie diesmal. Vielleicht hat das ja ein höheres Maß an Sensibilität miteingebracht.

Für die ersten Soloprojekte nach der langjährigen Zusammenarbeit haben Ihr Bruder und Sie höchst unterschiedliche Richtungen eingeschlagen, Joel hat eine Shakespeare-Adaption gedreht, Sie die Komödie „Drive-Away Dolls“. War das auch ein wenig die Aufteilung bei Ihrer langjährigen Zusammenarbeit, wo einer für die humorvollen Elemente und der andere für die ernste, realistischere Seite zuständig war?
Ethan Coen: Das ist wirklich schwer, herauszuschälen, wer was beigetragen hat, sowohl bei meiner Zusammenarbeit mit Joel, aber auch bei jener mit Tricia. Aber es ist nicht so, dass bei der Entwicklung eines Drehbuchs ich für die lustigen Elemente zuständig  bin und Joel für die ernste, seriöse Seite. Das Komödiantische in unseren Filmen war immer das Resultat eines Miteinanders und nicht, dass einer die spaßigen Teile allein eingebracht hätte. Auf jeden Fall sind bei allen diesen Filmprojekten – auch im Fall von Drive-Away Dolls – lange Gespräche bei der Stoffentwicklung ein wichtiger Faktor. Es ist ein Prozess des Gebens und Nehmens und niemals so, dass eine Person nur bestimmte Elemente einbringt.

Tricia Cooke: Bei The Tragedy of Macbeth war es auch so, dass Frances McDormand die Rolle der Lady Macbeth bereits auf der Bühne gespielt hatte, Joel war also mit dem Stoff vertraut. Deshalb war es in gewisser Weise ein logischer Schritt, sich damit auch filmisch auseinanderzusetzen, weil Macbeth schon eine Rolle in Joels Leben gespielt hat, das Sujet von Drive-Away Dolls hat wiederum mehr mit meinem Leben zu tun.