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Doctor Sleep

Filmkritik

Doctor Sleeps Erwachen

| Jörg Schiffauer |
Wenig geglückte Adaption von Stephen Kings Horror

Unter den zahlreichen Romanen, Novellen und Kurzgeschichten die Stephen Kings Erfolg begründen, zählt „The Shining“ (1977 veröffentlicht) zu den populärsten Büchern. Und es dürfte wenig gewagt sein, zu behaupten, dass Stanley Kubricks gleichnamige Verfilmung aus dem Jahr 1980 – in der Jack Nicholson in der Rolle des Hausmeisters Jack Torrance, der in der Abgeschiedenheit des von finsteren Geheimnissen umwitterten Overlook-Hotels auf unvergessliche Weise immer mehr in den Wahnsinn abdriftet und damit für seine Frau und den kleinen Sohn zur tödlichen Bedrohung wird – nicht unwesentlich dazu beigetragen und damit den Ruf des Autors als „King of Horror“ mitbegründet hat. Dass King mit der weithin hoch gelobten Adaption von Kubrick nicht ganz glücklich war, erscheint rückblickend ein wenig kurios – vor allem angesichts der vielen wirklich durchwachsenen Filme, die auf einer der phantastischen Geschichten Kings beruhen.

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2013 verfasste Stephen King unter dem Titel „Doctor Sleep“ eine Fortsetzung, die Regisseur Mike Flanagan nun ebenfalls für die Leinwand adaptiert hat. Im Mittelpunkt steht dabei Danny, der als kleiner Bub dem erwähnten Amoklauf seines Vaters Jack in The Shining um Haaresbreite entkommen konnte. Einige Jahrzehnte später leidet der mittlerweile längst erwachsene Dan Torrance (Ewan McGregor) immer noch unter diesen furchtbaren Erlebnissen, die Auswirkungen dieser Traumatisierung versucht er mit Alkohol zu bekämpfen – was natürlich keine gute Therapie ist. Und Dan verfügt immer noch über jene titelgebende übersinnliche Begabung des „Shining“, die es ihm ermöglicht, Gedanken zu lesen sowie bestimmte vergangene und zukünftige Ereignisse visionsartig zu sehen. Eines Tages tritt er dank seiner telepathischen Fähigkeiten in Kontakt mit einem Mädchen namens Abra, deren Kräfte noch ausgeprägter sind als jene von Dan. Die beiden formen eine Allianz als sie gewahr werden, dass eine mysteriöse Gruppierung namens True Knot quer durchs Land ihr Unwesen treibt. Angeführt von Rose the Hat – Rebecca Ferguson stattet ihre Figur mit einem sardonisch-sinistren Charme aus, ihre Auftritte bleiben die raren Höhepunkte von Doctor Sleep – machen deren Mitglieder Jagd auf Menschen, die über die Fähigkeit des Shining verfügen, um sie kurzerhand zu meucheln. Den Sterbenden wird dann buchstäblich die Lebensenergie ausgesaugt, wodurch die True Knots, die in ihrem Habitus ein wenig an die berüchtigte Manson-Family erinnern, ihre Existenz bis zur Unsterblichkeit verlängern können.

Soweit, so böse, doch spätestens ab diesem Zeitpunkt wird es in Mike Flanagans Inszenierung zusehends unübersichtlich. Dan, Abra und Rose samt ihren Spießgesellen stellen sich wechselseitig telepathische Fallen, man dringt in die Gedanken des Widersachers ein und taucht unerwartet, Zeit und Raum überwindend, neben ihm auf, um sich dann ganz handfest mit Jagdgewehren den Garaus zu machen. Dass selbst phantastische Welten ein Mindestmaß an innerer, narrativer Logik brauchen, um zu funktionieren, dürfte sich noch nicht bis zu Mike Flanagan, der auch für das Drehbuchautorverantwortlich zeichnet, durchgesprochen haben – dabei hätte er das einfach bei Stephen King nachlesen können.

Das finale Duell im Overlook-Hotel erweist sich als groß angelegte Reverenz an Kubricks The Shining. Das weckt jedoch nur Erinnerungen, die das Scheitern von Doctor Sleep samt allen narrativen und dramaturgischen Unzulänglichkeiten geradezu gnadenlos verdeutlichen. Stephen King wird seine Kritik an The Shining möglicherweise überdenken müssen.