Mahershala Ali mal zwei: Im Apple-TV-Film „Swan Song“ spielt der Oscar-Preisträger einen todkranken Mann und seinen eigenen Klon. Ein Gespräch über Machtverhältnisse, Hollywood und den Luxus selbstfahrender Autos.
Er ist einer der feinsten Schauspieler Hollywoods, aber Mahershala Ali verausgabt sich nicht. Seine Rollen wählt der 1974 in Oakland, Kalifornien, geborene Oscar-Preisträger mit allergrößter Sorgfalt aus. Erstmals aufmerksam machte er auf sich als Lobbyist und später Stabschef Remy Danton in House of Cards (2013–2016), bevor er innerhalb von zwei Jahren gleich zwei Academy Awards als bester Nebendarsteller entgegennehmen durfte: 2017 für Moonlight und 2019 für Green Book. Für große Hauptrollen hat er sich bisher aufgespart. Das soll sich jetzt ändern. In dem feinsinnigen Sci-Fi-Drama Swan Song des Iren Benjamin Cleary trumpft er in einer emotional beladenen Doppelerscheinung gleich zweifach auf.
Den Grafikdesigner Cameron Turner plagt ein schwerwiegendes Geheimnis. Er ist todkrank, will seiner Frau und dem kleinen Sohn gegenüber jedoch nichts erwähnen, weil Poppy (Naomie Harris) gerade ihr zweites Kind erwartet. Aber auch, weil sie noch einen Verlust wohl kaum verkraften würde. Erst vor kurzem ist ihr Zwillingsbruder Andre (Nyasha Hatendi) bei einem Unfall ums Leben gekommen. Deshalb wendet sich Cameron an die Ärztin Dr. Jo Scott (Glenn Close), deren Firma menschliche Klone anfertigt, die mit sämtlichen Erinnerungen und Emotionen des jeweiligen Menschen ausgestattet werden. Auf diese Weise könnte Cameron weiterhin für seine Familie existieren, ohne dass sie von seinem Tod erfahren müssten. Allerdings sieht das Verfahren auch vor, dass niemand außer dem Betroffenen selbst vom Austausch weiß. Cameron willigt trotzdem zunächst ein. Als ihm jedoch klar wird, dass der Klon nun an seiner Stelle glücklich bei seiner Familie leben wird, während er einsam auf seinen Tod wartet, kommen ihm starke Zweifel an seiner Entscheidung.
Mr. Ali, Sie spielen hier eine sehr unkonventionelle Doppelrolle. Was haben Cameron Turner und Jack gemeinsam, und in welcher Hinsicht gibt es Unterschiede?
Mahershala Ali: Beide verbindet die übergreifende Sehnsucht, nur das Beste für die Familie zu wollen. Aber natürlich agieren sie jeweils am anderen Ende des Spektrums: Während der eine sich mit seiner Krankheit und dem baldigen Tod auseinandersetzen muss, lebt der andere voller Hoffnung auf die Möglichkeit, weiter zu existieren und ein erfülltes Leben zu führen. Ich denke, der Hauptunterschied liegt in dem Machtverhältnis zwischen den beiden. Das war für mich jedenfalls der Schlüssel zu der Art und Weise, wie ich die beiden Figuren jeweils für mich angelegt habe. Der Ton ist ein anderer, weil Cameron so etwas wie der große Bruder von Jack ist. Und Cameron ist derjenige, der über Jacks Dasein bestimmt. Aber Jack weiß das, weshalb er im Moment der Konfrontation versucht, sich mit Cameron zu verbünden. Mit anderen Worten: Er ist ihm auf den Fersen.
Wie äußert sich dieses Machtverhältnis konkret im Spiel?
Es hat einen Einfluss darauf, wie die beiden miteinander kommunizieren, wenn Cameron beispielsweise seine Stimme gegenüber Jack erhebt oder ihn zurechtweist. All das kann sich Jack nicht erlauben, weil er Angst davor hat, dann nicht zum Einsatz zu kommen. Cameron befindet sich eindeutig in der Kontrollposition. Und diese Machtdynamik hat mein Spiel von vornherein beeinflusst. Aber es gab auch andere kleinere Merkmale, wie etwa die Tatsache, dass Cameron mit einer lebensbedrohlichen Krankheit zu kämpfen hat, die an seinen Kräften zehrt. Er hat nicht die gleiche Energie wie Jack, bewegt sich ein bisschen langsamer und schwerfälliger. Er atmet ein wenig anders. Jack dagegen ist voller Hoffnung und Kraft. Es klingt jetzt vielleicht etwas banal, aber all diese Details haben einen enormen Einfluss darauf, wie man sich als Schauspieler einer Figur annähert.
Trauer ist eines der großen Themen im Film. Hat Ihnen die Auseinandersetzung damit neue Perspektiven für Ihren persönlichen Umgang mit dem Tod eröffnet?
Gute Frage. Ich weiß nicht, ob Cameron als Beispiel dafür dient, wie man per se mit Trauer umgehen kann. Aber ich denke, man sieht ihn im Film in gewisser Weise auch sich selbst zu neuem Leben zu erwecken. Man sieht ihn das Potenzial entdecken, dass in Jack steckt. Und wenn der Film mich etwas gelehrt hat, dann dass ich auch einen Jack in mir trage, eine Art unerfüllten Teil meiner selbst, einen besseren Teil. Mein eigenes Potenzial, wenn Sie so wollen, dass sich in physischer Form zu manifestieren versucht. Im Moment handelt es sich lediglich um eine Stimme, die mir den Weg weist, mir Ratschläge gibt, mich vor dem Schlimmsten zu bewahren versucht. Und vielleicht brauchen wir auch gar keine tödliche Krankheit, um uns mit dieser Stimme, diesem inneren Jack in Verbindung zu setzen. Wir leben in einer Zeit, in der wir uns ohnehin mehr denn je bewusst sein sollten, wie kostbar unsere Leben auf diesem Planeten ist. Heute, morgen – immer.
Warum sieht man immer noch viel zu wenige afroamerikanische Schauspieler in solchen vielschichtigen Rollen? Hat Hollywood in den letzten Jahren keine Fortschritte gemacht, wenn es darum geht, universelle Geschichten aus einer anderer Perspektive zu erzählen?
Hollywood hat schon Fortschritte gemacht. Die Industrie ist komplett anders als zu der Zeit, als ich noch ein Kind war. Und sie hat sich auch in den 20 Jahren weiterentwickelt, seitdem ich im Geschäft bin. Aber wenn es beispielsweise speziell um Science-Fiction geht, kann man die Filme an einer Hand abzählen, in denen wir Hauptrollen gespielt haben. Ich will damit niemanden anklagen, aber es ist doch auffällig, wenn etwas so selten ist. Und wie in Swan Song eine farbige Familie im Zentrum des Geschehens zu sehen, ohne dass ihre Hautfarbe oder Themen wie Rassismus und Diskriminierung im Film eine Rolle spielen, das ist nun mal leider noch immer die große Ausnahme. Es geht um Liebe, Familienverhältnisse, Krankheit und Tod in der nahen Zukunft, das alles vor einem Sci-Fi-Hintergrund und unabhängig von jeder Ethnizität und kulturellen Identität. Wo hat man das denn schon mal? Ich sage ja nicht, dass wir sonst überhaupt nicht in der Art Filmen vorkommen. Aber wie oft darf einer von uns die Geschichte tatsächlich tragen. Auch Green Book war in der Hinsicht eine Seltenheit, weil es eine Figur wie Dr. Don Shirley bisher in Hollywood auch nicht gegeben hat. Und deshalb ziehen mich solche Rollen an, die versuchen, bestimmte Lücken zu füllen. Nicht weil ich unbedingt auf das Problem hinweisen will, sondern weil ich meinen Beitrag dazu leisten möchte, dass es anders wird. Und weil ich einen Raum schaffen möchte für andere farbige Schauspieler, damit sie zukünftig ähnliche oder hoffentlich noch bessere Rollen angeboten bekommen.
Sie sind diesmal nicht nur vor der Kamera, sondern auch als Produzent tätig gewesen. Was sind die Hauptkriterien für Sie, wenn es darum geht zu entscheiden, wie viel Kraft, Energie und Gefühl Sie in ein Projekt investieren?
Und Zeit. Es geht ja immer auch darum, wie viel Zeit man investiert. Einen Film zu drehen bedeutet meist, sehr viel und lange von Familie und Freunden entfernt zu sein. Und wenn das der Fall ist, will man zumindest sicher gehen, dass es sich lohnt. Natürlich kann man das nicht immer zu hundert Prozent im Voraus wissen. Aber deshalb ist es so wichtig, dass man sich für Geschichten entscheidet, die Potential haben und die einen persönlich berühren. Wie wir alle wissen, ist Quantität nicht unbedingt Qualität. Und großartige Stories zu finden, heißt, sich durch viele Drehbücher durchzulesen, bis das richtige dabei ist, für das man bereit ist, alles zu geben.
Sie waren derjenige, der den Song “Doomed“ des Sänger Moses Sumney für den Soundtrack vorgeschlagen hat. Was macht seine Musik Ihrer Meinung nach aus?
Moses gelingt es, seiner Musik einen Geist und eine Eleganz zu verleihen, die ich annähernd auch in meiner Arbeit als Schauspieler zum Vorschein zu bringen hoffe. Und im Hinblick auf die meditativen und besinnlichen Elemente des Films schien mir seine Musik perfekt für das, was wir damit erreichen wollen. Deshalb habe ich ihn ins Spiel gebracht, auch weil ich den Eindruck hatte, dass er sich gut in Camerons Geschichte hineindenken könne. Seine Musik erschien mir wie eine logische Folge der Welt, die wir in Swan Song zu kreieren versucht haben. Es war für mich einfach die perfekte Kombination. Und ich bin sehr froh, dass auch Benjamin und die anderen ähnlich darüber dachten.
Wie wichtig ist Musik grundsätzlich für Sie, wenn Sie sich auf eine Rolle vorbereiten?
Ich stelle für jede Figur, die ich spiele, eine Playlist zusammen. Und diesmal hatte ich mir speziell eine Liste für meinen Trailer zusammengestellt, die ich jeden Morgen hören konnte, um mich auf den Drehtag einzustellen. Da war von The Baby Grandmothers, die, glaube ich, aus Schweden stammten, bis hin zu James Brown und Maceo Parker alles dabei – eine ganze Bandbreite an Stücken, die ich angemessen fand, um mich in die Figur einzufühlen.
Im Film gibt es jede Menge interessante technische Neuheiten und Spielereien, die in Camerons Alltag zum Einsatz kommen. Welches Gadget hätten Sie gerne selbst behalten?
Womit ich mich wahrscheinlich am ehesten arrangieren könnte, wäre ein selbstfahrendes Auto. Und das auch nur, weil ich dann vielleicht zwischendurch mal die Augen schließen könnte oder ein paar Emails abarbeiten. Andererseits habe ich auch ein Faible für Autos. Ich sitze unheimlich gern am Steuer. Aber bei allem anderen fühle ich mich unwohl. All diese Dinge, die uns den Alltag ermöglichen sollen, machen uns doch nur träge, denke ich. Selbst was Emails angeht, war ich einer der letzten, der sich darauf eingelassen hat. Zugegeben, vielleicht wäre auch ein Roboter, der mir morgens den Kaffee bringt, keine so schlechte Idee. Eine bewegliche Kaffeemaschine ist dann aber auch das einzige, weiter gehen würde ich nicht.
Sie haben also keinen Fahrer?
Nur wenn ich am Set arbeite. Dann wird man herumgefahren. Aber sobald der Dreh abgeschlossen ist, fahre ich wieder selbst.
Das Konzept des Klonens von Menschen und Tieren fasziniert das Kino seit Jahren und wird es sicher noch eine ganze Weile länger tun. Wie fühlt man sich als Schauspieler dabei, als Klon vor der Kamera zu stehen?
Man arbeitet ja schon seit Jahren daran, uns vor der Kamera zu ersetzen. Sie müssen sich ja nur anschauen, was mittlerweile im Animationsbereich möglich ist. Und ich bin mir sicher, dass sie uns auch klonen würden, wenn sich der Film dadurch günstiger finanzieren ließe. Das kommt bestimmt irgendwann, aber ganz so weit sind wir Gott sei Dank noch nicht. Die Themen, die wir im Kino behandeln, sind ja oft Ausformungen unserer Vorstellungskraft, die unsere Kultur schließlich in die Realität umzusetzen versucht. Nehmen Sie zum Beispiel die Hologramme in Star Wars, die Ende der Siebziger eine absolute Sensation waren. Wie wir alle gestaunt haben, als plötzlich Obi-Wan Kenobi als Hologramm erschien. Heute ist es scheinbar komplett normal, wenn jemand wie 2Pac plötzlich als Hologramm auf der Bühne erscheint und seine größten Hits performt, obwohl er 1996 ermordet wurde. Ich finde es faszinierend, wie die Welt sich der Dinge annimmt, die wir in unseren Geschichten auf der Leinwand erzählen. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich mich dabei wohlfühle. Im Gegenteil. Ich hoffe, ich werde noch eine Weile als Schauspieler gebraucht.