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Dossier : US Politik – Oliver Stone im Gespräch

„Verschwörungstheorien finde ich ziemlich dumm“

| Dieter Oßwald |

Oliver Stone über seinen Katastrophenfilm „World Trade Center“ und das Licht im Herzen der Finsternis.

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Würden Sie World Trade Center als typischen Oliver Stone-Film verstehen?
Das ist auf jeden Fall ein Oliver Stone-Film. Ich bin sehr stolz darauf. Ich bin ein Regisseur, der den Final Cut hat. Mir redet also keiner drein, ich bin allein der Chef. In diesem Fall bekam ich ein fremdes Drehbuch, von dem ich jedoch sofort überzeugt war, weil es mit einem völlig neuen Ansatz die Geschehnisse des 11. September betrachtet.

Worin besteht für Sie dieser neue Ansatz?
Er schildert ein Wunder: Das Schicksal von zwei Überlebenden in einer Katastrophe mit 3000 Toten. Es ist eine wahre Geschichte, eine authentische Version der Arche Noah. Diese beiden Männer überleben wie die letzten Exemplare einer Spezies. Im Herzen dieser Finsternis leuchtete ein Licht. Die Hoffnung und das Licht sind immer zentrale Themen bei mir, selbst bei meinen düstersten Filmen, einmal abgesehen von U-Turn und Talk Radio.

Oliver Stone, der Optimist – das klingt eher ungewöhnlich.
Nicht Oliver Stone hat sich verändert, sondern die Welt hat sich verändert. In den 80er und 90er Jahren, als die Dinge noch hoffnungsvoller als heute erschienen, wirkte mein Kino düster. Jetzt, wo die Welt so viel düsterer geworden ist, wirken meine Filme hoffnungsvoll. Ich bin durchaus Optimist. Dieser Film zeigt die Hoffnung. Und es gibt nichts Falsches, diese Rettung hat sich so zugetragen.

Hat es Sie nie gereizt, sich mit den vielen Verschwörungstheorien zu beschäftigen, die um den 11. September kursieren?
Ich habe mich mit diesen Theorien nie so stark beschäftigt wie mit dem Mord an Kennedy. Mein Gefühl war immer, dass die Al Kaida dafür verantwortlich ist. Sie haben die Verantwortung übernommen und es gibt eine lange Kette von Beweisen, die das untermauert. Wir haben richtig gehandelt, als wir nach Afghanistan marschierten, um diese Leute zu erwischen. Verschwörungstheorien, die eine Verwicklung der US-Regierung behaupten, sind ein bisschen dumm.

Das haben manche bei Kennedy einst auch behauptet…
Bei Kennedy lagen die Dinge anders: Lee Harvey Oswald wurde als Einzeltäter präsentiert, der die Tat immer abstritt. Die Beweise und Protokolle der Dallas Polizei verschwanden, und am Ende wurde er erschossen. Es gibt also große Unterschiede zwischen Oswald und Osama Bin Laden.

Früher galten Sie als Nestbeschmutzer, heute bekommen Sie auffallenden Beifall von der rechten Seite – wundert Sie das nicht ein wenig?
Ich habe keinen politischen Film gemacht. Dass er von bestimmten Seiten nun benutzt wird, entzieht sich meiner Kontrolle. Ich wollte die Wahrheit erzählen. Ich glaube, dass es an diesem Tag auch Hoffnung gab und dass hier die besten Eigenschaften von Amerikanern zu erleben waren. Wir haben uns gegenseitig ganz selbstverständlich und mutig geholfen. Erst danach, als die Politik reagierte, herrschte die große Angst – und Angst ist der größte Feind.

Die Rolle des Soldaten wirkt seltsam für einen Film, der nicht politisch sein will: Er wirkt an der Rettung mit und schwört anschließend Rache, zieht laut Abspann sogar in den Krieg nach Irak.
Ich habe meine Hausaufgaben gemacht und wollte ein realistisches Szenario zeigen. Rache war ein großes Thema für Amerika 
nach diesen Ereignissen – und dieser Soldat repräsentiert genau diese Haltung. Ich wollte das nicht bewerten. Für mich ist es allerdings durchaus eine Ironie, dass gerade er in diesen falschen Krieg gezogen ist.

Manche kritisieren, dies sei nicht mehr als ein ganz normaler Katastrophenfilm.
Es ist ein Katastrophenfilm, aber keiner im Stil eines Jerry Bruckheimer, sondern ein sehr realistischer Katastrophenfilm. Beim Ablauf der Geschehnisse haben wir uns an die tatsächlichen Ereignisse gehalten. Nur das Leid der Opfer haben wir entschärft: Würde man all die Schreie der beiden Überlebenden hören, würden die Zuschauer verstört aus dem Kino rennen. Wir erzählen von zwei ganz normalen Leuten, die an diesem Tag einfach ihren Job gemacht haben. Sie reden nie über Politik, sie sind die Überlebenden, die zu Zeugen der Katastrophe wurden. Für mich ist das wie eine Rückkehr zu Platoon, wo es gleichfalls um die menschlichen Schicksale und nicht um die Politik ging.

Wären die Folgen des 11. September nicht ein lohnender Oliver-Stone-Stoff?
Gewiss. Aber dazu brauche ich das passende Vehikel. Zudem sind alle Zusammenhänge noch gar nicht deutlich. Jedes Jahr erscheint ein neues Buch mit neuen Enthüllungen. Die Sache ist noch nicht vorüber. Wir haben noch immer diesen Präsidenten und haben noch immer dieses Problem. Bei Kennedy hatte ich den Luxus, dass 30 Jahre verstrichen sind, in denen viel recherchiert wurde. Natürlich bin ich besorgt über die Lage der Welt. Wenn ich etwas Aufklärendes dazu beitragen könnte, würde ich das tun.

Kann Kino etwas verändern?
Man muss es natürlich versuchen, aber Filme verändern nicht viel. Michael Moore hat mit seiner eindrucksvollen Dokumentation Fahrenheit 9/11 großen Wirbel ausgelöst. Aber auch sein Film hat nicht verhindert, dass Bush wiedergewählt wurde. Ich habe drei Filme über Vietnam gemacht. Es hat nicht nur mich, sondern viele Veteranen überrascht, wie schnell dieses Kapitel vergessen wurde, wie schnell wir wieder in einen Krieg marschiert sind – und zwar wieder unter dem Vorwand von Lügen. Ich erlebe also schon zum zweiten Mal, wie die Medien für einen Krieg trommeln. Selbst Leute wie John Kerry oder Hillary Clinton haben für diesen Krieg gestimmt. Das hat mich schon sehr deprimiert, und ich war froh, dass ich wegen der Arbeit an Alexander drei Jahre außerhalb Amerikas war.

Sie haben beim Festival von Venedig gesagt, Sie würden Osama bin Laden höchstpersönlich töten wollen. Wäre es nicht klüger, eine Doku über ihn zu machen, wie Sie es mit Castro und Arafat gemacht haben?
Nein, ich könnte ihm nichts Positives abgewinnen. Er hat klar gesagt, was er will. Ich bestreite gar nicht seine Gründe, die können durchaus legitim sein. Aber ich bin absolut gegen seine Methoden. Ich verachte Terrorismus, der Tod von unschuldigen Menschen ist keine Lösung. Wer solche Dinge verantwortet, ist zu verachten. Wer sich dabei noch als Mann Gottes bezeichnet, der ist für mich nur noch wahnsinnig.

Wie haben Sie selbst diesen 11. September damals erlebt?
Nicht besonders aufregend. Ich habe in meinem Bett in Los Angeles geschlafen.