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Dossier : US Politik – Planetarischer Notfall

Planetarischer Notfall

| Alexandra Seitz |

Auf der Seite der Guten: ein Film übers Wetter. „An Inconvenient Truth“ von Davis Guggenheim.

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Das Wetter ist bekanntlich eine schwierige Angelegenheit, was allein schon dadurch bewiesen ist, dass alle andauernd darüber reden. Mal ist es zu heiß, dann wieder zu kalt, mal zu feucht, dann zu trocken, zu schwül, zu windig, zu …

Doch nicht nur kann das Wetter es niemandem recht machen, es ist tatsächlich derart komplex organisiert, dass der Abbruch eines größeren Brockens vermeintlich ewigen Grönland-Eises dazu führen kann, dass in Australien die Fische kieloben schwimmen. Oder so ähnlich. Das hängt mit den kalten und warmen Strömungen zusammen, die die sieben Meere durchziehen und einen riesigen Kreislauf bilden, der die Welt in
ihrem Innersten zusammenhält.

Um dergleichen globale Wechselwirkungen zu erkennen und zu verstehen, braucht es die moderne Naturwissenschaft mit ihren Messungen und Proben, Experimenten und Untersuchungen, Statistiken und Diagrammen, Kurven und Tabellen. Demnach sollte der am Wetter nicht nur als Gegenstand des Smalltalks interessierte Laie die Bereitschaft mitbringen, sich einer vergleichsweise trockenen Materie zu stellen. Geduld ist gleichfalls unabdingbar, gute Nerven wären aber auch nicht schlecht.

Denn das Wetter, es spielt bekanntlich verrückt. Die fortschreitende Industrialisierung hat einen unaufhörlichen Anstieg des Kohlendioxids in der Luft zur Folge, was wiederum die ultraviolette Strahlung daran hindert ins All abzustrahlen, weswegen sich die Erdatmosphäre erhitzt, das ewige Eis schmilzt und überall alle möglichen Desaster passieren. Jedenfalls so ähnlich. Wer es genau wissen will, geht am besten ins Kino und schaut sich An Inconvenient Truth von Davis Guggenheim an. Alle anderen sollten das nach Möglichkeit auch tun.

Al Quixote aka Don Gore

Die Kamera folgt dem Mann auf dem Weg durch Flughäfen, durch Gänge und Türen, hinein in Autos, heraus aus Autos, in Hotelzimmer, Besprechungsräume, Vortragssäle – es ist die ewig gleiche Abfolge, der Mann ist immer unterwegs, unermüdlich, wenn auch nicht im Auftrag des Herrn (oder doch?). Al Gore ist Weltenretter von eigenen Gnaden, er hat sich ein Ziel gesetzt. Kein geringes Ziel, für einen einzelnen Mann: Al Gore will die Erde vor dem Untergang bewahren. Er will die Menschen aufrütteln, ihnen ins Gewissen reden, er will ihr Bewusstsein verändern, sodass sie ihr Handeln verändern. Sodass in einer kollektiven Anstrengung das Verhängnis vielleicht doch noch abgewendet werden kann. Das Verhängnis, das ist die Klimakatastrophe, auch bekannt als „Globale Erwärmung“ oder „Treibhauseffekt“.

Durchaus seriösen Berechnungen zufolge bleiben noch etwa zehn Jahre, bevor sich die klimatische Entwicklung verselbständigt. Hat die gigantische Weltmeer-Umwälzungsanlage erst einmal ihren Betrieb eingestellt, geht es unaufhaltsam den Bach hinunter, dann heißt es absaufen, einfrieren oder verdorren. Das betrifft weniger uns, als vielmehr kommende Generationen, weswegen vermutlich mit typisch humanem Fatalismus auf die ganze Chose reagiert und mal wieder viel zu wenig unternommen wird. Getreu dem von den Vorvätern überlieferten Motto: Wird schon alles irgendwie gut gehen, hat bis jetzt ja auch immer irgendwie geklappt.

Nun, Al Gore jedenfalls ist kein Anhänger der Vogel-Strauß-Methode und auch das „Irgendwie“ ist seine Sache nicht. Sein Erweckungserlebnis hatte er bereits als Student, seither brennt ihm das beschönigend „Klimawandel“ genannte Thema des drohenden Endes von Allem unter den Nägeln, und er fällt seinen propagandistisch eingelullten Landsleuten als ewiger Rufer in der Wüste gehörig auf den Wecker. Zu diesem Behufe hat sich Gore einen Vortrag gebastelt, mit dem er seit 1989 durch die Lande zieht, immer wieder aufs Neue immer wieder neuen Leuten ins selten ausreichend vorhandene Öko-Gewissen redend. Weit über tausend Mal hat er seinen Vortrag inzwischen gehalten. Dabei ist im Laufe der Jahre aus einer schlichten Diashow eine jener multimedialen Lektionen geworden, mit denen heutzutage Informationen vermittelt werden – allerdings ohne dabei in nivellierendes Infotainment abzugleiten. Das heißt, dass die komplizierten Zusammenhänge und harten Fakten gerade eben so anschaulich aufbereitet werden, wie es nötig ist. Ihre Darbietung bleibt anspruchsvoll und das Publikum gefordert. Gore führt dieses mit dem ein wenig schüchternen Charme eines Professors, er hat gelernt, dass man ein schwieriges Thema hin und wieder mit einem kleinen Scherz auflockern sollte, also macht er genau das. Und er bricht das Eis, indem er sich mit den Worten vorstellt: „I’m Al Gore, and I used to be the next president of the United States.“

Überhaupt: Al Gore. Sein Vortrag mag das Kernstück von Guggenheims Film sein, das Herz aber ist er selbst. Gore war Vize-Präsident unter Bill Clinton und wurde bei der Wahl 2000, zu der er als demokratischer Kandidat angetreten war, von der Bush-Sippe um das höchste Amt im Staate betrogen. Er war nie ein Charismatiker, war nie einer von jenen, die eine Bühne betreten und überzeugen, ganz gleich was ihr Anliegen ist. Eher galt er als eine etwas ungelenke Gestalt, die sich in der Masse nicht wohl fühlt, und Legion sind die Witze über seine Verkrampftheit. Inzwischen aber ist dieser Mann auf einer Mission unterwegs und macht im Kampf gegen die Windmühlenflügel der global operierenden Industriekonglomerate keine schlechte Figur. Anstatt sich beleidigt und enttäuscht aus der Politik zurückzuziehen, hat Al Gore eine Aufgabe übernommen und sich ihr ganz verschrieben. Sie füllt ihn vollkommen aus; sie ist ihm nicht Vehikel zur Selbstdarstellung, vielmehr steht er in ihrem Dienst.

Mann, Message, Medium

Gores unbedingter Glaube an das Argument, seine Bereitschaft, Zuhörer für Zuhörer zu überzeugen, die Entschlossenheit und Unermüdlichkeit seines Kampfes um Mitstreiter, sind nichts weniger als imponierend. Nicht zuletzt, weil sich darin die demokratische Utopie, dass Veränderungen von unten ausgehen und diskursiv durchgesetzt werden, auf geradezu exemplarische Weise realisiert.

In diesem Kontext ist auch An Inconvenient Truth zu sehen. Der Regisseur steht an der Seite des Vortragenden und sein Film fungiert als Vervielfacher der Botschaft. Er ist Teil einer Kampagne, zu der ein Buch gleichen Titels gehört, sowie der Umstand, dass Gore inzwischen in Seminaren anderen Leuten zeigt, wie seine Diashow zu halten ist. Die Front vor den Windmühlenflügeln, sie ist gerade in den USA noch etwas dünn und braucht dringend Verstärkung.

An Inconvenient Truth ist ein politischer Dokumentarfilm, der sich weniger über das definiert, was er zeigt, als über das, was er damit erreichen will. Er ist daher nicht zu verwechseln mit sarkastischen Einlassungen à la Michael Moore oder lyrischen Klagen à la Geyrhalter. Guggenheim und Gore machen kein Hehl daraus, dass in ihren Augen sofortiger Handlungsbedarf besteht. Sie geben nicht vor, dem Zuschauer/Zuhörer nach Prüfung der dargelegten Fakten das Ziehen der Schlüsse zu überlassen, sie wollen ihn nicht nur überzeugen, sondern einen unmittelbar Handelnden aus ihm machen. Sie verstecken sich nicht hinter der Pseudoneutralität, die das Genre wie ein Tabu umwabert, sondern nutzen das Kino selbstbewusst und offensiv und erklärtermaßen als moralische Anstalt. Mit der abgeklärten Haltung eines post-politischen Zynikers lässt sich ihrem Film nicht begegnen. Erst recht nicht angesichts der immer knapper werdenden Zeit.