Christian Petzold über Etikettierungen seiner Arbeit, sein Selbstverständnis als deutscher Filmemacher, und warum in seinen Filmen so oft mit Autos gefahren wird.
Wie fühlen Sie sich mit dem Etikett „Berliner Schule“, das Ihnen und Ihren Kollegen Thomas Arslan, Angela Schanelec, Christoph Hochhäusler und anderen seit einiger Zeit anhaftet?
Es hat uns gefreut, dass überhaupt jemand die Zusammenhänge zwischen den Filmen, die wir selber schon gespürt haben, benannt hat, wobei natürlich der Begriff „Schule“ nicht unproblematisch ist. Man will dann ja vielleicht die Schule brennen sehen, weil alle Schulen was Starres, Gemauertes haben. Deswegen fanden wir diesen Begriff mit der Zeit ein wenig unglücklich. Außerdem ist damit auch eine Erwartung verknüpft, dass wir mal endlich loslegen und die Weltherrschaft antreten müssten … Das war überhaupt nicht unser Ziel.
Die dänische Regisseurin Lone Scherfig hat vor einigen Jahren gesagt, dass das „Dogma“-Etikett zu einem reinen Marketing-Instrument geworden sei. Haben Sie davor auch Angst?
Da stand ja der geschickte, umtriebige Lars von Trier dahinter. Aber es stimmt, dass in dem Moment, in dem man sich als Bewegung definiert, der Untergang schon mit eingeplant ist. Wir haben das aber nicht selbst erfunden, und deshalb konnten wir uns so einer Entwicklung entziehen.
Welche deutschen Filmemacher haben Sie denn besonders beeinflusst?
Wenders ist derjenige, der mir die Augen geöffnet hat für das Land, der auch als erster Wüsten gefilmt hat in der Bundesrepublik. Bei Alexander Kluge waren es mehr die Texte, das Noch-nicht-Gefilmte. Rolf Dieter Brinkmanns Gedichte wiederum fand ich wie kleine Filme. Die haben mich in den 70er Jahren beeindruckt, aber sonst hauptsächlich New Hollywood. Das habe ich alles gesehen, hundertmal gesehen. Das ist das Kino, das mich am stärksten beeinflusst hat.
Und Harun Farocki, der an fast allen Ihren Drehbüchern mitgearbeitet hat?
Ich bin ja ein Kind aus der Kleinstadt. Ich habe als Jugendlicher einen kleinen Filmclub mitgeleitet, und da gab es diese ganzen Zeitschriften, die man damals so hatte, auch die Filmkritik. Die habe ich gelesen, und die hat mich schwer beeindruckt, und darüber bin ich dann zu Farocki und Bitomsky gekommen, die waren damals Herausgeber und Redakteure. Anfang der Achtziger erschien da ein Text über Vertigo, den ich gerade gesehen hatte, und der hat mir wirklich die Augen geöffnet. Harun Farocki schrieb über vertauschte Frauen einen ganz tollen Text. Ein paar Jahre später haben wir uns dann kennen gelernt.
Finden Sie, dass Ihre Filme etwas mit denen von
Farocki und Bitomsky gemeinsam haben?
Schwer zu sagen, vielleicht ist es ja gerade das Tolle, dass sie nicht so viel gemeinsam haben … Ich finde, dass Bitomsky seine Dokumentarfilme dreht wie große Spielfilme und Farocki immer noch ein Ethnograf ist, der die Bilder immer wieder in neue Zusammenhänge stellt, und das hat dann doch etwas mit Kinofilmen von mir zu tun. Von der Zeugenschaft, die Farocki manchmal in seinen Filmen hat, habe ich viel gelernt.
Nina Hoss hat für Yella den Silbernen Bären gewonnen. Inwieweit ist das denn auch Ihr Preis?
Das hat dem Film gut getan, deshalb ist es auch mein Preis. Ich erfuhr davon am Samstagnachmittag vor der Preisverleihung; ich dachte, wir kriegen wieder nichts, denn daran hatte ich mich in den letzten zwei, drei Jahren schon gewöhnt. Ich hatte diesen Katzenjammer nach dem Festival, der immer dann einsetzt, wenn die Anspannung vorbei ist und der Adrenalinspiegel sinkt. Dann hatte auch noch meine Fußballmannschaft verloren, und genau in dieser kleinen Leere kam der Anruf, dass Nina den Preis gewinnt. Da war ich unglaublich froh drüber. Sie hatte ihn wirklich verdient.
Ihre Filme laufen gut auf Festivals, aber im Kino sind sie nicht sonderlich erfolgreich …
Das stimmt nicht. Sie können meine Filme ja nicht mit dem Mainstream-Kino vergleichen. Als ich meine letzte Kinotour machte, sagte mir der Verleiher, alle meine drei Kinofilme seien sehr erfolgreich. Wir konnten die Filmförderung immer zurückzahlen. Ich will damit nicht sagen, dass ich wirtschaftlich erfolgreich bin. Aber wenn man das Verhältnis zwischen Herstellungs- und Herausbringungskosten und Einspielergebnis betrachtet, dann schon. Außerdem wurden sie ans Fernsehen verkauft. Man kann höchstens sagen, meine Filme sind keine Blockbuster.
Diese großen Würfe am Anfang, wie sie Lars von Trier hatte oder auch die Nouvelle Vague, die fehlen uns vielleicht, das liegt aber in der Berliner Methode begründet. Es gibt da eine Energie, die nicht zum Blockbuster strebt.
Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Filme in Frankreich, woher ja das Etikett Berliner Schule stammt, besser verstanden werden?
Ich war mal bei einer Retrospektive des thailändischen Films im Haus der Kulturen der Welt und hatte den Eindruck, dass wir hier vom thailändischen Film mehr wissen als das thailändische Kino von sich selbst. Das mag auch für den iranischen Film gelten, und das ist auch in Frankreich so. Von außen merkt man manchmal besser, dass irgendwo an etwas gearbeitet wird. Das sieht man in der eigenen Arbeit vielleicht gar nicht. Die Franzosen haben unsere Filme einfach sensibler betrachtet.
Fühlen Sie sich als deutscher Filmemacher?
Nein, der nationale Kinobegriff führt mich nicht weiter. Ich glaube, New Hollywood und der Neorealismus sind Strömungen, die auch wo anders stattfinden, beide haben etwa US-Kriminalromane verfilmt.
Es gibt jedoch auch ein so genanntes internationales
Kino, das auf der ganzen Welt gleich aussieht und auf Festivals häufig ausgezeichnet wird.
Das internationale Festivalkino ist doch verachtenswert, das ist die überall verständliche, globalisierte, kleine Geschichte, die so genannten Arthouse-Filme. Filme, die von Sterbehilfe, AIDS-Erkrankungen, den letzten drei Wochen eines Sterbenden erzählen, immer folkloristisch, immer mit der gleichen Musik, auf katastrophale Art und Weise ein Wohlfühl-Kino für Bildungsbürger. Eine furchtbare Entwicklung. Ich möchte Straßen, Nächte, Wind, die Physis, in dem Sinne etwas Regionales sehen. Das ist dann wieder international, wenn ich etwas davon begreife, obwohl ich die Gegebenheiten nicht kenne.
Können Sie sich vorstellen, in einem anderen Land zu drehen?
Das habe ich mich auch schon mal gefragt, das ist ja vor allem eine sprachliche Geschichte. Ich habe auch immer gern über die Jahre von Fritz Lang und Bert Brecht in Hollywood gelesen, wie schnell Fritz Lang sich begeistert in die amerikanische Oberflächenkultur eingearbeitet hat, die ihn sehr beeindruckt hat, und wie schwer es Brecht hatte, weil der mit der Sprache nichts anfangen konnte. Ich müsste ein paar Jahre in einem anderen Land verbringen, bevor ich überhaupt einen Film dort drehen könnte.
Sie haben dennoch in Gespenster mit zwei französischen Schauspielern gedreht.
Ja, weil deren Vorstellungen über Deutschland und die deutsche Geschichte in den Film Eingang gefunden haben. Darüber konnte ich mich mit ihnen über den Übersetzer verständigen. Und wir konnten die Fremdheit, in Deutschland zu sein, zu einer Produktivkraft machen. Ich fand es sehr schwierig, in Berlin zu drehen, weil ich hier lebe, und musste davon ganz weit wegkommen. Das ging mit den Franzosen.
Es geht in Ihren Filmen sehr viel um Tote, Untote,
Gespenster. Interessieren Sie soziale Zusammenhänge denn nur am Rande?
Mit den ganzen Gespenstern, das kam daher, dass ich bei der Arbeit an Die Innere Sicherheit eine Metapher gebraucht habe. Das war die Geschichte des Fliegenden Holländers: Wir haben ein Schiff mit einer schiffbrüchigen Besatzung, das auf den Weltmeeren umher treibt. Sie hatten ihre sozialen Kontakte verloren; ihr Fluch ist der Verlust von Welt. Sie bekommen einmal in hundert Jahren die Möglichkeit, in einem Hafen anzulegen. Und wenn sie dort geliebt werden, fällt der Fluch von ihnen ab, und sie können wieder Menschen werden. Das ist natürlich auch die Metapher für alle meine so genannten Gespenster-Filme. Leute, die umher treiben, aber sich wieder materialisieren wollen. Das finde ich ein starkes Motiv, deshalb hat es sich über drei Filme hingezogen.
Was fasziniert Sie so an Hotels, Wohnheimen, anonymen Orten, an denen Sie Ihre Figuren immer wieder aussetzen?
Das sind Durchgangsorte, an denen man spurlos bleibt. Wenn man in einer Autobahnraststätte zu Mittag isst, wird sich am nächsten Tag keiner mehr an einen erinnern. Wenn man aus einem Hotel ausgecheckt hat, ist man nicht mehr vorhanden. Wir wollen doch alle Spuren hinterlassen, sammeln. Wir speichern alles auf unseren Festplatten. Alle diese Anwesenheitsnachweise. Menschen im Transitraum sind zwar Gespenster, Verlorene, aber sie sind doch auch frei. Ihre Einsamkeit ist manchmal schöner als die romantische, wenn einer aus seinem Fenster einen Sonnenuntergang anschaut – mit der Sicherheit, in seinen eigenen vier Wänden zu sein.
Gleichzeitig gibt es aber gerade neuerdings die Angst, in jedem Augenblick kontrollierbar zu sein. In Ihren Filmen tauchen immer wieder Bilder auf, die von Überwachungskameras aufgenommen sind.
Der Staat versucht diesen Personen im Transit, Spuren anzuheften, sie sichtbar zu machen, sie zu identifizieren. Die sind zwar selber auf der Suche nach Identität, aber die Identität des Staates ist nicht ihre.
Immerzu wird in Ihren Filmen Auto gefahren. Warum?
Weil das Auto in Deutschland alles bedeutet. Das ist doch unfassbar, wie die deutsche Industrie noch am Auto hängt. Ich bin in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen. Da hat ein Sozialdemokrat als Bürgerrecht postuliert, dass jeder innerhalb von drei Minuten die nächste Autobahnauffahrt erreichen können soll. Der Individualitätsbegriff der Nach-Faschismus-Zeit heißt automobil sein. Wenn ich einen Film drehe, kann ich stundenlang über Besetzung reden, da sagt keiner was, aber wenn es darum geht, was für ein Auto der Darsteller fahren soll, dann haben wir eine Massendiskussion. In Der VW-Komplex sagt Bitomsky, die Autobesitzer waschen und putzen das Auto den ganzen Tag, weil sie wissen, dass es jede Sekunde an Wert verliert, und sie versuchen, das aufzuhalten. Deshalb ist das Auto für mich nicht nur ein Gegenstand, der durch die Bilder fährt, sondern ein Lebensraum. Ein Unfall ist genau so wie ein Einbruch in ein Haus; er setzt eine Geschichte in Gang. Der Deutsche versucht, sie mit dem Auto auszudrücken.
Sie arbeiten immer wieder mit den gleichen Schauspielern und dem gleichen Team. Haben Sie keine Angst vor kreativem Stillstand?
Nein, im Gegenteil. Ich denke, wenn man zusammenbleibt als Team, kommt man weiter, weil sich bei der Zusammenarbeit neue Türen öffnen, durch die man gehen möchte. Wenn man dauernd seine Teams wechselt, bleibt man an derselben Stelle.