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Roland Teichmann

Interview

Ein Boost, den man sonst nie hätte

| Gunnar Landsgesell |
Roland Teichmann, Direktor des Österreichischen Filminstituts, sieht in der Digitalisierung eine große Chance für die Filmbranche. Er findet, dass sich auch die Filmförderung Playern wie Netflix partnerschaftlich präsentieren sollte.

Der große Gewinner des heurigen Österreichischen Filmpreises war Joy von Sudabeh Mortezai, der sich zwischen Spiel- und Dokumentarfilm bewegt. Ein Impuls für andere Filmemacher?
Roland Teichmann:
Ich glaube, jeder Erfolg ist Inspiration, jeder muss aber schauen, wie stimmig das für ihn selbst ist. Gerade so eine Handschrift wie die von Sudabeh Mortezai kann man nicht so einfach kopieren. Aber der Erfolg kann anderen Mut geben, sich in diesem Crossover-Bereich zu bewegen, das hat ja in Berlin und Venedig toll funktioniert. Das zeugt von der großen Qualität und Eigenständigkeit. Aber auch zum Beispiel Ulrich Seidl und Tizza Covi/Rainer Frimmel arbeiten an dieser Schnittstelle, das sind einfach tolle Filmkünstler mit ihren eigenen Qualitäten.

In den hiesigen Kinos zählte Joy 10.000 Eintritte, ist das nicht eine gewisse Diskrepanz?
Roland Teichmann: Das ist eine alte Debatte. Im Kinojahr 2019 sind erstmals über 500 Filme gestartet, das ist „crazy“. Die Filmanzahl geht hinauf, die der Besucher pendelt mal nach unten und dann wieder nach oben. Die US-amerikanischen Filme haben einen Marktanteil von 75 Prozent, da können wir fast machen, was wir wollen. Und um die übrigen 25 Prozent balgen wir uns mit dem Rest der Welt. Das ist ein schwieriger, fragmentierter Markt, insofern ist ein künstlerisch anspruchsvoller Film wie Joy gar nicht so schlecht unterwegs. Vergessen wird aber immer die internationale Auswertung. Filme wie Little Joe von Jessica Hausner oder Joy laufen in 25 Ländern und erreichen weit über 100.000, vielleicht sogar 200.000 Besucher. Auch das ist eine filmisch-kulturelle Botschaft, die aus Österreich über die Festivals und echte Kinotickets und Verkäufe hinausgeschickt wird.

Und dann kommt die Oscar-Academy und sagt, dieser Film ist nicht österreichisch genug.
Roland Teichmann: Das war eine böse Überraschung. Ich finde, Filmschaffen muss grundsätzlich frei sein. Wo steht, dass in einem Film aus Österreich nur Lederhosen getragen oder das Riesenrad vorkommen und nur Deutsch gesprochen werden darf? Das ist Schwachsinn, Film ist das weltoffenste Medium, und auch Joy erzählt viel über Österreich. Vielleicht ist das sogar noch mehr ein Film über österreichische Verhältnisse als über die Afrikanerinnen, die hier in die Prostitution gezwungen werden.

2019 stach ein österreichischer Film mit 140.000 Besuchern heraus, Andreas Schmieds Komödie Love Machine über einen Callboy. Werden solche Filme beim Filminstitut eigentlich öfters eingereicht?
Roland Teichmann: Leider nicht. Nikolaus Geyrhalter hat das beim Filmpreis schön formuliert: Bei den Förderern muss man sich nicht wirklich bedanken, weil das quasi sowieso allen bewusst ist. Aber man muss sich konsequenterweise beim Steuerzahler bedanken, weil er die Filme finanziert. Filmförderung ist ein Auftrag, das kann ich nur doppelt unterstreichen: Filmförderung ist ein Auftrag zur Vielfalt, von Filmen wie Joy bis zu Love Machine.

Stichwort Digitalisierung: Seit Anfang des Jahres sind zu den Streaming-Diensten auch Apple TV und Disney+ als Anbieter in Österreich dazu gestoßen. Sehen Sie das als Konkurrenz oder als Chance?
Roland Teichmann: Als Chance mit drei Rufzeichen! Ich finde es großartig, dass es neue Möglichkeiten gibt. Das öffnet auch wieder das Feld der Finanzierungen. In einem kleinen Land ist das nicht unwesentlich. Dabei haben wir ein großes kreatives Potenzial, es ist unglaublich, wie viele Anträge wir jedes Jahr bekommen. Zusätzliche Möglichkeiten fürs Budget sind hochwillkommen. Ich finde, dass wir uns auch als Filmförderung diesen Playern partnerschaftlich präsentieren sollten. Das wäre wichtig, um die Branche nach vorne zu bringen. Was sind letztlich unsere Ziele? Wir wollen gute Filme, die gut entwickelt und gut finanziert sind und möglichst viele Leute erreichen. Mit einem Partner wie Netflix hat man mit einem Schlag Geld für die Finanzierung und zugleich 30 Sprachfassungen. Ein Boost, den man sonst nie hätte.

Netflix-Produktionen werden oft emotional diskutiert, Festivals wie Cannes verweigern die Filme. Sind die Online-Anbieter die Totengräber des Kinos?
Roland Teichmann: Nein, das glaube ich ganz und gar nicht! Das klingt mir zu sehr nach elitärem Kulturpessimismus. Es gibt viele Möglichkeiten der Kooperation. Soweit ich informiert bin, gibt es keinen One-fits-all-Ansatz, sondern da wird von Projekt zu Projekt sehr unterschiedlich verhandelt. Wichtig ist aber, gerade wenn öffentliches Geld im Spiel ist, dass der österreichische Produzent Ko-Partner bleibt. Eine direkte Förderung von Netflix würde ich ausschließen, aber mit einem österreichischen Produzenten, der an den Rechten und Erlösen beteiligt ist, haben wir eine interessante Situation. Ein Auftrag des Filminstituts ist ja auch die Kapitalisierung der Branche. Das ist doch eine gute Gelegenheit, zumal es da um Summen geht, die richtig Luft verschaffen. Mit so einem Projekt wird man bei einem Verkauf mehr einnehmen, als man jemals ansatzweise aus Kinotickets erlösen kann. Am österreichischen Kinomarkt bleiben dem Produzenten rund 1,75 Euro pro verkauftem Ticket, da können naturgemäß keine großen Summen eingespielt werden. Mager ist auch die Verwertung im Netz, da handelt es sich zumeist um minimale Beträge. Insofern sind solche neuen Ko-Partner mit zusätzlichem Geld sehr willkommen.

So richtig angelaufen sind diese Partnerschaften aber noch nicht?
Roland Teichmann:
Naja, Satel Film hat mit Netflix und einer ORF-Beteiligung die Mini-Serie Freud gedreht (Regie: Marvin Kren, siehe Interview S. 40), unter der Regie von David Schalko ist mit TVNOW (Streamingdienst der Mediengruppe RTL, Anm.) M – Eine Stadt sucht einen Mörder entstanden, und es gibt noch viele weitere Projekte. Also wir registrieren durchaus die ersten Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlich-rechtlichen Sendern und Pay-TV-Sendern und VOD-Anbietern.

Wie wirkt sich das auf die Politik des Österreichischen Filminstituts aus? Müssen Richtlinien adaptiert und neue Fördertöpfe eingerichtet werden?
Roland Teichmann: Es geht um eine gesunde, qualitative Balance. Unser Hauptziel ist und bleibt natürlich das Kino, das Gemeinschaftserlebnis, die große Leinwand, die Filmsprache, die es dafür braucht. Das gelingt vielleicht nicht immer, dann muss man sich für bestimmte Projekte andere Verwertungen ausdenken. Und natürlich muss man sich auch überlegen, wie man sich systemisch diesen neuen Partnern öffnet. Im Aufsichtsrat gibt es seit Februar eine Arbeitsgruppe Zukunft österreichischer Film, die sich einmal im Monat trifft. Hier werden wir solche Fragen diskutieren, wie wir uns als Player positionieren. Vielleicht auch mit einer Novelle des Filmförderungsgesetzes.

Seit einiger Zeit ziehen Kreative verstärkt nach Deutschland, weil es dort vermehrt Arbeit durch neue Projekte gibt, die mit den Online-Plattformen entstehen.
Roland Teichmann: Ja, man könnte fast sagen, dass in Deutschland eine Goldgräberstimmung herrscht, dort ist sehr viel Geld im Einsatz. Vielleicht so viel wie noch nie. Die Förderungen sind extrem gut dotiert, allein das BKM, also die Kulturförderung, die unserer Förderung im BKA entspricht, verfügt über 30 Millionen Euro Budget. Neben der FFA und dem DFFF und den gut dotierten Lokalförderungen der Bundesländer gibt es nun auch noch die großen Player Netflix und Co, durch die insgesamt Milliarden in den Film gepumpt werden. In Deutschland wird heftig produziert, dafür braucht man einfach gute Leute. Ich höre immer wieder, dass es bei uns schwierig ist, gute Teams zusammenzustellen, weil viele derart ausgebucht sind.

Goldgräberstimmung in Deutschland, wie ist die Lage in Österreich?
Roland Teichmann: Man muss es leider sagen, aber die Filmförderung in Österreich hat inzwischen einfach zu wenig Geld zur Verfügung, das ist ein Faktum. Niemand redet davon, dass alle Förderungen so super dotiert sind, aber mit den Möglichkeiten, die wir haben, sind wir einfach sehr limitiert. Das Jahresbudget des ÖFI ist 19,5 Millionen Euro, damit haben wir die gesamte Palette abzudecken: alle Entwicklungsstufen von der Stoffentwicklung über die Herstellung bis zur Verwertung; dazu fast den gesamten Nachwuchsbereich, Spiel-, Dokumentar- und Autorenfilm; dazu den ganzen strukturellen Bereich der Festivals, der Verbände und Vereine, allein das sind 1,5 Millionen Euro pro Jahr. Ich wäre froh, wenn wir zumindest diesen großen Brocken der strukturellen Förderung los wären. Das im Ministerium selbst anzusiedeln würde Sinn machen. Das ist eigentlich keine Aufgabe für eine Projektkommission. Unser Budget ist seit sieben Jahren nicht valorisiert worden.

Haben Sie Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek schon Bescheid gegeben? Obwohl, sie ist ja erst ganz frisch im Amt.
Roland Teichmann: Das war zu kurz, ich habe sie in Grafenegg beim Filmpreis zum ersten Mal getroffen, für mich ein sehr sympathisches Treffen. Sie wirkt sehr interessiert, ich glaube, man kann gut und offen mit ihr reden. Es gab beim Filmpreis auch ein schönes Ende, Oliver Neumann hat als Produzent von Joy die Frau Staatssekretärin direkt angesprochen, als er sinngemäß gemeint hat: Denken wir positiv in die Zukunft und stellen uns vor, wir treffen uns hier in einem Jahr zum Filmpreis wieder. Die Frau Staatssekretärin sitzt wieder hier und verkündet, es gibt deutlich mehr Geld für die Filmförderung. Wie würde dann der Applaus aussehen, wenn das so wäre? Natürlich hat der ganze Saal getobt. Ich glaube, der Film in Österreich hätte das verdient!