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SPENCER

Spencer | Interview

Eine Klasse für sich

| Pamela Jahn |
Stilikone, Mythos, Königin der Herzen: In Pablo Larraíns „Spencer“, benannt nach Lady Dianas Mädchennamen, brilliert Kristen Stewart in der Rolle der allseits geliebten britischen Prinzessin. Ein Gespräch über Eigenheiten, Paparazzi und darüber, warum Tanzen nicht jedermanns Sache ist.

Kristen Stewart trägt ein Baseballcap und ist auch sonst eher lässig gekleidet. Sie ist wieder ganz sie selbst, ohne den für die Kamera geneigten Kopf, ohne vorgestrecktes Kinn, ohne schwermütigen Blick. Doch kaum beginnt sie über Lady Diana zu sprechen, findet deren Mimik und Gestik den Weg schnell zurück. Plötzlich leuchten Stewarts Augen, sitzt sie wieder etwas aufrechter, graziöser und eleganter im Stuhl, beantwortet aufmerksam alle Fragen und versprüht dabei einen wundervoll eigenwilligen Charme, der sich aus einer angenehmen inneren Abwehrhaltung sowie einer endlosen Begeisterung für die Sache, für die Person, für die Geschichte zusammensetzt, um die es hier geht.

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Kristen Stewart spielt Spencer, Diana Spencer, in Pablo Larraíns gleichnamigem Film. Die Handlung erstreckt sich über ein langes Weihnachtswochenende auf dem königlichen Landsitz Sandringham Anfang der neunziger Jahre, als die zutiefst unglückliche Prinzessin den Beschluss fasst, sich von ihrem Ehemann, dem zukünftigen Thronfolger Charles zu trennen. Der chilenische Regisseur und sein Drehbuchautor Steven Knight haben den Zeitraum und das Setting klug gewählt, um ihr „Märchen, basierend auf einer wahren Begebenheit“ zu erzählen. Und ein Märchen ist es geworden: geheimnisvoll, unberechenbar und zerbrechlich, wie Diana selbst, streckenweise traumartig surreal und immer wieder überraschend zügellos und frei. All das verkörpert Stewart mit einer bemerkenswerten verletzlichen Ehrlichkeit im Blick, sie ist in jeder Sekunde des Films hellwach und auf der Hut vor einer Familie, die sie ablehnt, in einer Welt, in die sie nicht gehört. Allein die enge Beziehung zu ihren beiden Söhnen bewahrt sie vor dem kompletten Kontrollverlust.

Larraín, der mit dem Film seiner eigenen Mutter eine Freude machen wollte, kennt sich aus mit Biografien weltberühmter Frauen: In Jackie (2017) leitete er Natalie Portman zu einer Meisterleistung in der Rolle der Präsidentengattin Jacqueline Kennedy an. Und auch Stewart spielte 2019 bereits die Sixties-Filmikone Jean Seberg als eine Rebellin, die gegen ein System kämpft und gegen eine Norm, der sie sich nicht unterordnen will. Als Lady Di geht sie noch einen Schritt weiter, lebt ihre Rolle bis in jede kleinste Pore und belebt damit einen Film, der der Faszination und Schönheit, Stärke und Verletzlichkeit seiner Titelheldin in beinahe jeder Einstellung vollkommen gerecht wird.

Ms. Stewart, eine Rolle wie diese bekommt man nicht alle Tage angeboten. Wie sind Sie an die Aufgabe herangegangen?
Kristen Stewart:
Es war schwer, einen Einstieg zu finden. Klar, zunächst habe ich alles gelesen, was ich zur Verfügung hatte, habe alle Fotos angeschaut und alles Archivmaterial durchforstet. Aber dann ging es darum, mir sozusagen Dianas Haut überzuziehen. Als ich daraufhin zum ersten Mal das Drehbuch in die Hand nahm, hatte ich schweißnasse Hände und habe vor Aufregung gezittert. Denn in dieser ersten Phase der Annäherung fühlt sich zunächst immer alles seltsam aufgesetzt und falsch an. Dagegen kann man gar nichts machen. Also blieb mir letztlich nichts anderes übrig, als mich dem Prozess hinzugeben und zu üben. Ich hatte einen hervorragenden Trainer, der mir extrem dabei geholfen hat, die Nuancen ihrer Person herauszuarbeiten. Nicht nur in sprachlicher Hinsicht. Der Akzent war nicht das Problem, sondern vielmehr die Tatsache, dass so viel von ihrer Energie und ihrer Persönlichkeit in ihrer Körpersprache zum Ausdruck kam. In den kleinen Eigenheiten, die ihren Charakter prägen. Aber auch in ihrem ganzen Auftreten, das stets voller Widersprüche war: elegant und leger, stark und schwach, lebendig und todeinsam zugleich. Sie hatte ein begnadetes Talent, sich mit Menschen zu verbinden, und wurde von der Öffentlichkeit geliebt wie keine andere, während sie im Privatleben permanent Ablehnung, Kritik und Demütigungen erfuhr. All das wollte ich in meinem Spiel verinnerlichen, anstatt lediglich die Person zu imitieren.

Konnten Sie sich in irgendeiner Weise mit Lady Diana identifizieren?
Ich hatte nie ein besonderes Interesse an der britischen Königsfamilie. Ich komme aus Los Angeles und war sieben Jahre alt, als Diana starb. Trotzdem habe ich die Bilder von damals in meinem Hinterkopf gespeichert, das Blumenmeer vor dem Buckingham Palace, und ich kann die Emotionen gut nachvollziehen, die ihr Tod damals auslöste. Sie hatte diese vollkommen entwaffnende Art an sich, selbst bei Staatsauftritten, so dass sich jeder in ihrer Gegenwart automatisch wohlfühlte. Und trotz ihrer Schönheit und Erhabenheit hat sie jedem das Gefühl gegeben, man könne jederzeit mit ihr Pferde stehlen. Das hat auch mir stets imponiert. Und ich war schon fasziniert von dem Gedanken gewesen, Diana zu spielen, noch bevor ich überhaupt das Drehbuch gelesen habe. Ich mochte ihre Person. Ich war ein Fan von ihr, so wie viele andere auch.

Was mochten Sie besonders an ihr?
Ihre ehrliche Haut. Egal, wie sehr sie sich anstrengte und alle Menschen um sich herum dazu brachte, sich in ihrer Gegenwart wohl zu fühlen, konnte sie es trotzdem nie verbergen, das etwas nicht in Ordnung war. Ihr ganzes Leben war ein emotionales Rätsel, aber aus ihren Augen sprach stets eine verletzliche Ehrlichkeit, die mit den Blicken der anderen Royals nichts gemein hatte.

Und was hat Sie am meisten herausgefordert?
Ihre Art war so speziell und so durchdringend, sie hat sich fest in unsere Erinnerung und in unsere Herzen eingebrannt. Und was mich zunächst extrem gestresst hat, war die Vorstellung, eine Frau zu spielen, die permanent eine derart bezaubernde Schönheit und Herzlichkeit ausstrahlte wie sie. Eine Frau, die die Menschen wie keine andere berührt hat, die einfach nur wundervoll ist. Sich davon zu lösen, war nicht leicht. Aber am zweiten Drehtag gab mir Pablo [Larraín] die beste Regieanweisung, um mich selbst in der Rolle zu finden. Er sagte: „Versuch’ dir zu vertrauen, dass du sie kennst. Entspann dich. Wenn du verkrampft bist, kommst du zu hart rüber, weil du unbedingt einen guten Job machen willst.“ Und genau so war‘s. Danach ging alles wesentlich einfacher und ich habe mich mehr bei mir gefühlt.

Vor nicht allzu langer Zeit haben Sie Jean Seberg auf der Leinwand verkörpert. Sehen Sie eine Verbindung zwischen den Filmen und den Figuren?
Beide führten ein sehr ausgefülltes, aber hochkompliziertes Leben. Beide waren jede auf ihre Art funkelnde Persönlichkeiten. Und leider hatten sie es beide nicht einfach. Sie wollten geliebt und respektiert werden. Und ähnlich wie Diana war Jean Seberg eine Frau, eine Schauspielerin, die sich gegen jede Art von Engstirnigkeit auflehnte, in einer Zeit, wo diese grassierte. Sie war eine Aktivistin und vieles mehr. Ich wollte beiden Frauen in erster Linie noch einmal eine Präsenz geben und die Möglichkeit, gesehen zu werden als die Menschen, der sie im Herzen waren. Und das Schöne daran ist, dass die beiden Filme nicht behaupten, alles zu wissen. Es sind keine autoritären Filme, sondern vielmehr Träume. Es gibt immer spezielle Gründe, wenn ich mich für ein Projekt entscheide, und es ist schwer, einen Film mit dem anderen zu vergleichen. Ich will hier nichts verallgemeinern. Ich habe auch keine konkrete Vorstellung oder Mission, warum ich bei meinen Rollenangeboten bestimmte Entscheidungen treffe. Aber diese beiden Filmen gehen für mich zusammen, da besteht eine Verbindung.

Gibt es für Sie Grenzen, wenn Sie etwas als Fiktion darstellen, das biografisch ist?
Nein, im Gegenteil. Ich denke, es geht darum, die Grenzen zu beseitigen. Wenn wir auf die Darstellung einer schwarzweißen Wahrheit angewiesen wären, könnten wir nur zeigen, was historisch korrekt ist, und würden die Realität verleugnen. Es gibt so viele widersprüchliche Auffassungen von Geschichte, so viele unterschiedliche Perspektiven in Bezug auf eine Person oder ein Ereignis. Die einzige Möglichkeit, ehrlich und aufrichtig zu erzählen, liegt darin, die Geschichte so wiederzugeben, wie man sie selbst empfindet. Es geht darum, sich von der eigenen Sehnsucht leiten zu lassen und daraus zu lernen. Ich weiß, dass der Film als „Biopic“ abgestempelt wird, weil es sich eben um eine reale Person handelt. Aber eine derartige Bezeichnung verfehlt hier ihr Ziel. Es handelt sich vielmehr um eine Vorstellung – um den Versuch, drei Tage im Leben von Lady Diana zu erdenken.

Drei Tage an Weihnachten, einer Zeit, die für eskalierende Familien- und Beziehungskonflikte prädestiniert ist.
Ganz genau. Wir wissen, dass wir eigentlich eine gute Zeit haben sollen, darum geht es. Es gibt bestimmte Erwartungen, wie genau die Tage verlaufen sollen, und jede Menge Druck von allen Seiten. Doch das führt unweigerlich zu Problemen und Auseinandersetzungen, weil die Vorstellungen darüber variieren, was eine glückliche Weihnacht ist. Das Verrückte ist, dass der Film sich über drei Tage erstreckt, die für alle Beteiligten eine extrem traurige Angelegenheit sind. Aber ganz ehrlich, keine Rolle hat mir bisher so viel Spaß gemacht, wie Diana zu spielen. In ihren Schuhen habe ich mich ein Stück größer gefühlt. Und auch wenn wir wissen, dass ihre Geschichte nicht mit einem Happy End abschließt, findet sie im Laufe des Films dennoch ihren Weg in die Freiheit, egal wie kurz und unter welchen Konditionen.

Was genau meinen Sie damit, dass Sie sich größer gefühlt haben?
Einerseits, dass sie tatsächlich um einiges größer war als ich. Ich war mir dessen ganz klar bewusst. Diana war fast 1,80 groß und hatte strahlend blaue Augen, meine sind grün ich komme kaum auf 1,65 – eine Katastrophe. Andererseits glaube ich nicht, dass es wirklich eine Rolle spielt. Ich habe mich einfach sehr wohl gefühlt in ihrer Haut, selbst in den dunklen Stunden, die wir im Film darstellen. Unsere Geschichte handelt von einem abnehmenden Licht, aber ihr Licht war so hell und so stark, dass es die Menschen beflügelte. Und diese Kraft zu haben, fühlt sich extrem gut an, auch wenn man nur so tut als ob.

Weniger Spaß hatten Sie scheinbar bei der Tanzszene. Woher kommt Ihre Abneigung gegen das Tanzen?
Tanzen Sie denn gerne?

Ja, eigentlich tue ich das schon gerne. Wenn vielleicht auch nicht besonders gut.
Sie Glückliche. Ich war als Kind sehr unsicher und gehemmt und fand Tanzen schon immer schwer. Ich liebe es, die Leute dabei zu beobachten, wenn sie sich plötzlich dazu hingerissen fühlen, auf die Tanzfläche zu springen und sich zur Musik zu bewegen. Das ist toll. Aber es ist nicht meins. Ich hatte diesen Impuls noch nie. Tanzen ist für mich wir eine Sprache, die ich vielleicht mal ansatzweise gelernt, aber nie gesprochen habe. Es liegt mir einfach nicht. Und ich habe keine tiefgründigere Erklärung dafür, als dass mir Tanzen in der Öffentlichkeit als Kind immer peinlich war, schrecklich peinlich, und sich daran bis heute nichts geändert hat.

Man sieht Diana im Film auch oft rennen. Immer kommt sie entweder zu spät oder ist auf der Flucht.
Ja, es ist manchmal so, als könne sie nicht anders, als sich vorwärts zu bewegen – buchstäblich, aber auch metaphorisch. Und ich habe es geliebt, mich mit ihr nach vorne treiben zu lassen. Jedes Mal, wenn ich in einer Szene den Korridor entlang hechtete, meinte Pablo immer: „Lauf schneller, schneller, noch schneller, los, los, los!“ Und ich habe mir in den Momenten immer gedacht: „Oh Gott, ich kann nicht noch schneller. Ich laufe ja schon, so schnell ich kann!“ Aber es war toll.

Was steckt hinter diesem Fluchtmechanismus?
Steven Knight hat es mir so erklärt: Sie ist stark und sie hat Kraft, aber sie ist kein Tiger, eher wie ein Pferd, das man nicht halten kann. Den Vergleich fand ich sehr passend. Es ist, als würde sie nach Hause rennen, in die Freiheit, in Sicherheit.

Auch Sie sind eine Persönlichkeit, die viel im Rampenlicht steht, ebenso wie im Kreuzfeuer der Paparazzi. Wie haben Sie persönlich gelernt, damit umzugehen?
Ich arbeite viel und ich liebe meinen Beruf. Aber an die Fotografen und den ganzen Trubel drumherum muss man sich mehr oder weniger gewöhnen. Es geht nicht anders, sonst wird man verrückt. Das klingt jetzt in diesem Zusammenhang vielleicht etwas merkwürdig, aber wie heißt es so schön: Was dich nicht umbringt, macht dich nur härter. Und im Endeffekt können einem auch die Paparazzi nicht wirklich etwas anhaben. Bei Diana war das etwas anderes. Sie war eine der meistfotografiertesten Frauen der Welt. Sie hat um ein Überleben nach ihrer gescheiterten Ehe mit Charles gekämpft. Und sie hat es geschafft, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Ich muss nicht um irgendetwas kämpfen, ich brauche nicht davonzurennen. Mich nerven die Paparazzi, aber sie sind ein Teil meiner Arbeit, und ich werde deswegen ganz sicher nicht zu Hause hinter verschlossen Gardinen sitzen. So einfach lasse ich mir meine Freiheit nicht nehmen.