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Errol Flynn – Robin Hood und Mariandl

Robin Hood und Mariandl

| Heinz Kampel |

Wie Errol Flynn sich aufmachte, den Schweizer Nationalmythos zu verfilmen, und welche Rolle Waltraut Haas dabei hätte spielen sollen.

Im Sommer 1953 begann der als Robin Hood weltberühmt gewordene Errol Flynn in Italien einen Film zu drehen. Dieser war als unabhängige Produktion konzipiert und sollte privat finanziert werden. Als eine der weiblichen Hauptdarstellerinnen engagierte der Hollywood-Haudegen die damals 26-jährige Waltraut Haas. Was ein glorreiches Kapitel des österreichischen Nachkriegskinos hätte werden können, ist heute eine kaum bekannte Fußnote der Filmgeschichte, denn der Film sollte niemals das Licht der Leinwand erblicken.

Weg aus Hollywood

Errol Flynn, geboren 1909 auf der australischen Insel Tasmanien, gab gerne den Nonkonformisten und segelte Zeit seines Lebens gegen alle Flaggen. Äußerlich ein Paradeathlet, litt er in Wahrheit an einer Reihe von gesundheitlichen Problemen. Da waren die Malaria-Schübe, die aus seiner jugendlichen Goldgräberzeit herrührten. Dazu kam eine überstandene Herzattacke, die er während der Dreharbeiten zu dem Boxerfilm Gentleman Jim erlitten hatte. Und nicht zu vergessen die chronischen Rückenschmerzen, die er sich zugezogen hatte, als er bei einem Stunt vom Pferd gestürzt war. Alle diese ständigen Begleiter bekämpfte und dämpfte er mit Unmengen an Alkohol und mit selbst verabreichten Morphium-Dosen. Auf Piraten, Cowboys und Don Juans spezialisiert, wollte Flynn ein Comeback als ernstzunehmender Charakterdarsteller feiern. Als Angestellter von Warner Bros. war er zwar hochbezahlt, aber ohne jegliches Mitspracherecht bei der Rollenauswahl. Statt Archetypen spielte er bloß noch Stereotype. Seine diesbezüglichen Auseinandersetzungen mit dem Hollywood-Tycoon Jack Warner, der ihn ursprünglich für Captain Blood (1935) entdeckt hatte, waren legendär. Der geplante Film war somit auch seine persönliche Kampfansage an die Traumfabrik, kommentiert mit den Worten: „Ich werde allen zeigen, wie man heutzutage Filme macht!“

Der Stoff, den er dafür wählte, war ein dementsprechend episches Drama, nämlich jenes des Schweizer Freiheitskämpfers Wilhelm Tell. Assoziationen mit dem anderen historischen Bogenschützen, der ihm Ende der dreißiger Jahre zu großem Ansehen und viel Geld verholfen hatte, waren durchaus beabsichtigt und erwünscht. Flynn wollte, metaphorisch gesprochen, zurück zu den Wurzeln des Sherwood Forest. Diese befanden sich im konkreten Fall im noblen norditalienischen Skiort Courmayeur. Für die Dreharbeiten am Fuße des Mont Blanc scheute er weder Kosten noch Mühen. Seit jeher mit Pioniergeist ausgestattet, wollte er seinen lautstarken Ankündigungen entsprechende Taten folgen lassen. Flynn ließ im Val Ferret ein kleines Dorf aus Stein bauen, welches als Hintergrund für den dramaturgischen Höhepunkt des Films, den Apfelschuss, dienen sollte. Es wurde im wahrsten Sinne ge(bau)klotzt statt vor Kulissen gekleckert.

Um dem Film den nötigen Rahmen zu geben, wurde er im neuen Bildformat CinemaScope gedreht. Als Regisseur engagierte Flynn den Oscar-Preisträger Jack Cardiff (1947 Beste Kamera für Black Narcissus). Dieser galt besonders in beleuchtungstechnischen Belangen als Innovator seines Fachs. Für die Filmmusik konnte der Hollywood-Haudegen den italienischen Komponisten Mario Nascimbene (The Vikings, Alexander the Great, Solomon and Sheba) gewinnen. Die gänzlich schwarzen Rüstungen der österreichischen Besatzer und alle anderen zukunftsweisenden Kostüme wurden von Vittorio Novarese (zwei Oscars für bestes Kostümdesign: Cleopatra, 1963, und Cromwell, 1971) entworfen. Das Drehbuch lieferte nicht, wie man meinen könnte, Friedrich Schiller, sondern wurde vom Engländer John Dighton (Drehbuch-Oscar 1954 für Roman Holiday) für die zeitgemäßen Bedürfnisse des damaligen Kinopublikums adaptiert.

Verlässlich unverlässlich

Zudem versuchte der als ladykillender Charmeur und trinkfester Draufgänger bekannte Schauspieler befreundete Stars für seinen Film zu gewinnen. Ursprünglich waren Orson Welles für die Rolle des Vogts Gessler vorgesehen, und ein weiterer weiblicher Star mit österreichischen Wurzeln, Hedy Lamarr, war als Leading Lady im Gespräch. Obwohl beide zur selben Zeit in Europa Filme drehten, genossen sie Flynns Präsenz im Privatleben mehr als am Set. David Niven, sein bester Freund in Hollywood, der sich mit ihm nach Flynns Scheidung ein Haus teilte, brachte es auf den Punkt: „Auf Errols Unverlässlichkeit war jederzeit und immer Verlass.“ Allein Bruce Cabot, ein Rauf- und Saufkumpan aus dem gemeinsamen Western Dodge City, folgte dem Lockruf, den „größten Film aller Zeiten“ zu machen. Cabot harrte zum besagten Zeitpunkt angeblich in Casablanca vergeblich auf Engagements. Die Aussicht auf den üblichen Jux und neue Tollereien samt dem übermittelten Flugticket kamen ihm gerade recht. Er war für den Schergen Jost, den Handlanger des Vogts, vorgesehen. Und ähnlich legte er seine Rolle dann später auch im richtigen Leben an, als der Film in Schwierigkeiten geraten sollte.

Ein weiteres Unvermögen, das Flynn auszeichnete, war sein lockerer Umgang mit Geld. Genau das sollte der Knackpunkt in dem so ambitioniert begonnenen Filmprojekt werden. Inmitten der Dreharbeiten erreichte ihn die Nachricht, dass sein Vermögensverwalter gestorben war und dass dieser sein Geld zur Gänze durchgebracht habe. Darüber hinaus war er den US-amerikanischen Finanzbehörden noch eine Million Dollar schuldig. Die so entstandenen Verbindlichkeiten veranlassten ihn, den Vereinigten Staaten den Rücken zu kehren und als Steuerflüchtling nach Europa zu übersiedeln. Fortan schlug er sein Quartier an Bord seiner Zweimaster-Yacht „Zaca“ auf. Er war jedoch mehr denn je entschlossen, ein Meisterwerk der Filmgeschichte abzuliefern und mit Glanz und Glorie in seine Villa in den Hollywood Hills zurückzukehren.

In der Zwischenzeit ackerten Regisseur Jack Cardiff und die italienische Filmcrew im Akkord. Die derart überschatteten Dreharbeiten verliefen gut, und rund ein Drittel des Films war abgedreht. Eindrucksvolle Landschaftsaufnahmen und mitreißende Schlachtszenen waren schon im Kasten, als abermals ein unvorhergesehenes Ereignis eintrat. Der italienische Ko-Produzent, Conte Adolfo Fossataro, ein römischer Adeliger, der sich vertraglich verpflichtet hatte, für den Vertrieb des Films in Italien zu sorgen und die Produktionskosten zur Hälfte mitzutragen, stellte seine Zahlungen ein. Wie sich herausstellte, war Errol Flynn einem Hochstapler aufgesessen. Zu den bereits abgedrehten Szenen gehörte auch jene mit Waltraut Haas, die als Mary vom habsburgischen Hochverräter Jost geschändet und von Tell tot aufgefunden wird. Woraufhin Tell den Übeltäter stellt und sich mit diesem ein heftiges Duell liefert, was wiederum zur Ächtung des Freiheitskämpfers führt. Cabot und Flynn waren ein eingespieltes Team, wenn es filmisch um handfeste Auseinandersetzungen ging. Nach Drehschluss bezeichneten sie einander aber als „Brüder verschiedener Mütter und unterschiedlicher Väter“.

Gauguin zur Rettung

Als die Gehaltsschecks ausblieben, gelang es Flynn, die Darsteller und Mitarbeiter so auf die gemeinsame Sache einzustimmen, als gelte es, einen zweiten Rütli-Schwur zu leisten. Die Unterbringung der Belegschaft erfolgte in billigeren Hotels, die Verpflegung wurde rationiert, und noch dachte niemand daran, die Arbeit niederzulegen. Niemand außer … Blutsbruder Bruce Cabot. „Et tu, Brute!?“, muss sich da Errol Flynn wohl gedacht haben. Flynn hatte sich zwischenzeitlich nach England auf die Suche nach neuen Geldgebern begeben. Er trat in Talkshows auf und pries William Tell als State-of-the-Art-Kunstwerk, mit der Möglichkeit, sich finanziell am Gewinn zu beteiligen. Cabot ließ derweil via Anwalt Flynns Auto und einige persönliche Gegenstände, darunter Kleidungsstücke seiner Familie beschlagnahmen. In seiner Biografie „My Wicked, Wicked Ways“ kommentierte das der düpierte Flynn wie folgt: „Cabot went up and down Rome’s Via Veneto boasting about what he had done. My assistant manager Barry Mahon said: ‚Why don’t you go and see him?‘ ‚No, I am afraid.‘ ‚What, you are afraid of Cabot?‘ ‚Yes, I am afraid … of what I might do to him if I saw him.‘“

In einem letzten verzweifelten Akt, den Film zu retten, verkaufte Flynn sein Lieblingsbild; „Famille Tahitienne“ von Paul Gauguin (es gehört heute einem Casinobesitzer in Las Vegas und hat einen Schätzwert von ungefähr 35 Millionen Dollar). Der damalige Erlös reichte aber nur für eine kurze Atempause des mittlerweile mittellosen Filmstars. Als in London endlich der Präsident von United Artists, Arthur B. Krim, nach einer exklusiven Vorführung der bisher gedrehten Szenen, Interesse gezeigt hatte, für die ausstehenden Zahlungen aufzukommen und den Film herauszubringen, passierte eine weitere Einmaligkeit. Nun wollte sich Conte Fossataro seinen unerfüllten Vertragsanteil am Film mit Gewinn ablösen lassen! Dies brachte die Dreharbeiten nun endgültig zum Erliegen. Die italienische Filmgewerkschaft beschlagnahmte daraufhin die Filmkameras und Teile der Ausstattung zur Begleichung ausstehender Zahlungen.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer am Horizont zeigte sich noch, als der im Exil lebende König Farouk von Ägypten – ein Stammgast bei Flynns Hollywood-Partys – als potenzieller Finanzier ins Spiel gebracht wurde. Ein Treffen in der römischen Cinecittà wurde arrangiert. Schlussendlich stellte sich aber heraus, dass der König mehr an der Gesellschaft der weiblichen Besetzung des Films als am Endprodukt interessiert war. Dieser Deal kam natürlich nicht infrage. Frau Haas, die eigens mit Regisseur Jack Cardiff aus Norditalien angereist kam, war „not amused“. Sie erinnert sich: „Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich als Schauspielerin oder als Animiermädchen engagiert worden war.“ Erbost ging sie zurück nach Österreich und drehte in der Folge an der Seite von Peter Alexander, Paul Hörbiger und Heinz Rühmann, um nur einige zu nennen, einen deutschsprachigen Kassenschlager nach dem anderen. Jack Cardiff hingegen wartete ein volles Jahr auf die Wiederaufnahme der Tell-Dreharbeiten in Rom, bis er die Kameraführung von The Barefoot Contessa, einen 1955 ebenfalls mit einem Oscar (für den besten Nebendarsteller) ausgezeichneten Film mit Humphrey Bogart und Ava Gardner, angeboten bekam.

Errol Flynn machte derweil in England und Italien genau jene Filme, die er eigentlich vermeiden wollte und die ihn als Karikatur seiner glorreichen Vergangenheit darstellten. So spielte er etwa im Kostümspektakel The Dark Avenger, in dem er eine Art Ivanhoe mimen musste. Hollywood hatte in der Zwischenzeit die Rolle des romantischen Liebhabers mit Schneid und scharfer Klinge an den Engländer Stewart Granger (Scaramouche) vergeben. Just an jenen Filmschauspieler, der einen Welterfolg mit King Solomon’s Mines (1950) gelandet hatte, für den ursprünglich Errol Flynn vorgesehen gewesen war. Ironischerweise war Granger kaum jünger und mit ähnlichen gesundheitlichen Problemen geschlagen wie Flynn. Beide waren vom Militärdienst im Zweiten Weltkrieg befreit gewesen, und beide bemühten sich, diese „Schmach“ durch einen besonders draufgängerischen Lebenswandel zu kompensieren. Einige Jahre später schob die Filmfabrik auch Granger aufs Abstellgleis und machte Platz für neue Helden, die nicht mehr nur blütenweiße Rüstungen tragen mussten und durchaus zwiespältigere Charaktere darstellen durften. Erst 1957 machte ein sichtlich „gestutzter“ Errol Flynn wieder von sich reden, als er in Henry Kings Hemingway-Verfilmung The Sun Also Rises an der Seite Tyrone Powers einhelliges Kritikerlob für seine Darstellung eines Alkoholikers bekam. 1958 folgte ein weiterer hochgelobter Film: John Hustons The Roots of Heaven.

Errol Flynn war gerade einmal 50 Jahre alt, als er, wieder in finanziellen Nöten, in Vancouver versuchte, seine über alles geliebte Jacht „Zaca“ an einen kanadischen Geschäftsmann zu verkaufen. Charmant wie eh und je unterhielt er eine kleine Gesellschaft mit Anekdoten aus der Goldenen Ära Hollywoods, als er sich plötzlich unwohl fühlte. Er zog sich in den Nebenraum zurück, um kurz auszuruhen. „I shall return and take you all out to town for dinner.“ Dies sollen seine letzten Worte gewesen sein. Er starb – im Beisein seiner 17-jährigen Verlobten Beverly Aadland – an einem Herzinfarkt. Seine hochmotivierte Wilhelm-Tell-Interpretation The Story of William Tell wurde bis heute nie, auch nicht auszugsweise, in der Öffentlichkeit gezeigt und schlummert als 30-minütiges Fragment in den Archiven der Boston University.

Heinz Kampel, MSc., arbeitet bei der Werbeagentur Media United. Derzeit schreibt er an seinem ersten Buch, „The Missing Master Shot“ (deutsch: Jäger des verlorenen Filmschatzes – Auf der Suche nach Errol Flynns unvollendetem Epos „The Story of William Tell“). Er schreibt außerdem regelmäßig Beiträge für „The Errol Flynn Blog“.