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Lars Eidinger persischstunden

Persischstunden | Interview

Es fehlt eine Kultur des Scheiterns

| Dieter Oßwald |
Lars Eidinger über das Drama „Persischstunden“, über die Gefahren, sich öffentlich zu äußern und über seine Schwierigkeiten mit Hölderlin.

Herr Eidinger, Sie sind bisweilen auch als Talkshow-Master unterwegs. Daher: Was wäre Ihre perfekte Frage an Lars Eidinger?
Lars Eidinger: Das überrascht mich jetzt, keine Ahnung. Mich selber würde ich kaum etwas fragen, die Antworten weiß ich ja bereits. Ohnehin interessieren mich Fragen über meine Arbeit mehr als jene nach meiner Person. Mich wundert es etwas, wenn von Schauspielern erwartet wird, dass sie zu allen möglichen Themen eine originelle oder intelligenten Antwort haben sollen. Abgesehen von meinem Beruf habe ich über Dinge auch nicht mehr zu sagen als jeder andere Mensch auch.

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Dann reden wir eben über „Persischstunden. Was macht die Qualität dieses Drehbuchs aus?
Das Thema ist eines, an dem ich mich als Deutscher abarbeite. Man muss extrem vorsichtig vorgehen, weil es eine Verantwortung bedeutet. Es besteht die Gefahr, zu banalisieren oder zu verharmlosen bis hin zur Verfälschung von Geschichte. Eigentlich ist es unmöglich, das unvorstellbare Grauen in einem Konzentrationslager zu bebildern. Die große Stärke des Drehbuchs liegt darin, durch den Kunstgriff einer erfundenen Sprache, die sich aus den Namen der Gefangenen herleitet, der Anzahl von Ermordeten eine greifbarere, aber nicht nicht begreifbarere Dimension zu geben.

Umgekehrt bekommt durch Sie der Täter in SS-Uniform ein Gesicht. Schlimmster Sadist und doch schimmern menschlichen Seiten durch. Wie hält man diese Balance? 
Es ist weder in der Kunst noch in der realen Welt besonders hilfreich, zwischen gut und böse zu unterscheiden. Ich glaube nicht daran, dass es grundböse oder grundgute Menschen gibt. Das menschliche Wesen ist ambivalent. Das zu zeigen, bringt den Zuschauer in einen stärkeren Konflikt als zu moralisieren.

Welchen persönlichen Bezug haben Sie zu solch einer Geschichte?
Mein Großvater hat im Krieg gekämpft. Mein Vater ist im Krieg geboren – das ist alles wahnsinnig nah dran. Natürlich bin hochgradig verstrickt und verwickelt mit meiner Geschichte und meiner Familie. Das ist ein Trauma, das aufgearbeitet werden muss. Deswegen bin ich froh über solche Projekte, in denen ich mich diesem Thema stellen kann.

Auf der Pressekonferenz der Berlinale gaben Sie sich sehr emotional. Als es um Hass in der Gesellschaft und sozialen Medien ging, waren Sie den Tränen nahe. Minuten danach wurden Sie online als Heulsuse verspottet. Wie fühlt man sich dabei?  
In gewisser Weise bestätigt das meine Aussage. Einmal mehr wird klar, wie selbstdestruktiv der Mensch ist. Die Frage, auf die ich geantwortet hatte, interessierte gar nicht mehr. Aus dem Zusammenhang gerissen, wirkt meine Antwort unklar. Ich bezog mich auf eine Rede von Stefan Zweig über die moralische Entgiftung Europas nach dem Ersten Weltkrieg, in der er sagte, es müsse ein Medium geben, welches sich der Liebe verschreibt und gegen Hass auftritt und das international publiziert wird. Darauf meinte ich, mit dem Internet existiere dieses Medium ja inzwischen, nur das es im Gegenteil durchzogen sei von Hass und Missgunst. Dabei war ich emotional, denn das berührt mich sehr. Mittlerweile hat sich das alles noch verschärft, die jetzige Situation empfinde ich als wahnsinnig angespannt und aggressiv.

Inwiefern verschärft?
Auf der einen Seite erleben wir eine sehr bedeutende Zeit gerade, weil viel im Umbruch ist und hinterfragt wird. Themen wie Rassismus, Feminismus und Umweltschutz werden ganz neu behandelt. Zugleich erlebt man, wie eine kleine falsche Äußerung einem sofort das Genick brechen kann. Als ich vor fünf Jahren mit Meryl Streep in der Berlinale-Jury war, sagte sie mir, man könne seine Kredibilität mit einem einzigen Satz zerstören. Ich fand es erschreckend, diesen Satz von einer schier unangreifbaren Ikone wie Meryl Streep zu hören.

Worin liegt die Ursache?
Es fehlt in Deutschland eine Kultur des Scheiterns. Wenn jemand einen Fehler macht, muss er dafür bezahlen. Es gibt aber nicht den Impuls zu sagen, man hilft ihm, seine Meinung nochmals in Frage zu stellen. Stattdessen wird sofort moralisiert und verurteilt. Das empfinde ich als aggressiv und als Bedrohung.

„Ich spiele halt gern den Wahnsinnigen“ stand als Interview-Überschrift in einer großen Illustrierten zu lesen. Einverstanden mit der Schublade?
Das Zitat hört sich nicht an wie ein Satz von mir. Als Künstler in der heutigen Zeit sollte man sich vielleicht komplett zurückziehen und sich gar nicht mehr äußern. Weil man nur falsch verstanden werden kann, wenn man falsch verstanden werden will. Deswegen sage ich in letzter Zeit die meisten Interviewanfragen ab, vor allem wenn es nur um meine Person geht. Für die Bewerbung eines Films hingegen ist es notwendig, um die Aufmerksamkeit eines potenziellen Publikums zu generieren.

Werner Herzog schwärmte unlängst von Hölderlin als größtem Dichter überhaupt. Was sagen Sie als Brecht-Fan zur Poesie-Ikone, dessen 250. Geburtstag wegen Corona kaum gefeiert wurde?
Ich habe einmal eine Hölderlin-Lesung gemacht, die ich sehr aufschlussreich fand. Im Urlaub hatte ich mich darauf vorbereitet, aber manches einfach nicht begriffen. Ein bisschen habe ich mich geschämt, zu dieser Lesung zu fahren, obwohl ich die Texte gar nicht durchdrungen hatte. Natürlich gibt es immer Dinge, die man nicht versteht. Aber man hat immerhin eine Meinung dazu. Bei Hölderlin war es so, dass ich Sachen teilweise wirklich nicht erfasst habe. Trotzdem stellte ich mich auf die Bühne und trug die Texte laut vor. Und dabei machte ich die ergreifende Erfahrung, dass ich die Texte beim lauten Sprechen vor Menschen plötzlich verstand. Eigentlich hatte ich das große Bedürfnis, zu unterbrechen und dem Publikum zu sagen: „Ich hab’s gerade begriffen!“

 


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