Das 37. Fajr Film Festival in Teheran.
Donald Trump war nicht da, auch wenn er bzw. die Politik der US-Regierung in den Gesprächen rund um das Fajr Film Festival allgegenwärtig war. Auch sonst war die Zahl der westlichen Festivalgäste vergleichsweise überschaubar, schon allein deswegen, weil gar nicht mehr allzu viele Fluglinien die iranische Hauptstadt ansteuern. Der prominenteste Besucher war eindeutig der zu Recht hochberühmte Paul Schrader, der sich dezidiert gegen die Sanktionen der Trump-Administration aussprach und in einer mehr als gut besuchten Lecture – wie schon 2018 beim Festival in Basel – seinem neuen Steckenpferd, dem Slow Cinema, huldigte. Ein anderer berühmter Mann immerhin saß in der Wettbewerbsjury: der chinesische Regisseur Wang Xiaoshuai, dessen neuer Film So Long, My Son im Februar bei der Berlinale mit den Preisen sowohl für die beste Hauptdarstellerin (Yong Mei) als auch für den besten Hauptdarsteller (Wang Jingchun) ausgezeichnet worden war.
Überhaupt, China (und Korea): Es ist ganz offensichtlich, dass die Lücke, die die US-Sanktionen in das wirtschaftliche und kulturelle Leben im Iran reißt, von der Konkurrenz gut genützt wird. Das fast neue Einkaufszentrum Charsou, in dessen oberen Stockwerken sich seit wenigen Jahren das Festival hauptsächlich abspielt – in schönen, modernen, stets gut gefüllten Kinosälen – ist geprägt von den Segnungen fernöstlicher Technologie: Handys und Fernseher von LG, Samsung, HuaWei und XiaoMi sind dort die Renner, ein sogenannter „Apple Shop“ erweist sich hingegen als Kopie.
Das in seiner 37. Ausgabe nun auch schon ehrwürdige Festival gibt sich trotz aller Probleme betont weltoffen und ausgesprochen freundlich: Die perfekt Englisch sprechenden Volunteers und alle anderen Festivalangestellten sind von einer Herzlichkeit, die man angesichts der weltpolitischen Lage fast schon als beschämend empfindet. Und ständig wird man als „Ausländer“ in Gespräche verwickelt, um Meinungen befragt zu (iranischen) Filmen, zur Filmindustrie (im eigenen Land) und natürlich, unvermeidlich, zur Politik. Dass man an der montäglichen Games-of-Thrones-Nacht (wo? wie? streng geheim!) nicht teilnehmen will, stößt auf fröhliches Unverständnis.
Nicht nur auf dem angeschlossenen Filmmarkt, auch im Festival selbst versteht man sich als Drehscheibe im Mittleren Osten bzw. in Asien, was sich auch im Programm deutlich ausdrückt. Eine Sektion beleuchtet neue Filme aus China, eine andere namens Eastern Vista, eine Art zweiter Wettbewerb, zeigt „Filme aus asiatischen und islamischen Ländern“. Dazu gibt es u.a. ein Fokus auf deutsches Kino, eine stattliche Anzahl digital restaurierter Filme aus dem Iran (etwa Ebrahim Hatamikias Irakkriegs-Paraphrase The Scout aus dem Jahr 1988) und ein paar hervorragend restaurierte Klassiker aus der Sowjetunion – eine wunderbare Gelegenheit, unter anderem Kurosawa Akiras Epos Uzala, der Kirgise (1975) oder Eldar Ryazanovs äußerst unterhaltsame Gesellschaftskomödie Office Romance (1977) in ihrer vollen Pracht zu erleben.
Apropos Russland: Der Hauptpreis, der Goldene Simorgh (ein persisches Fabelwesen) für den besten Film ging, ein wenig überraschend, an den 72-minütigen Debütfilm A Russian Youth des 30-jährigen Alexander Zolotukhin, eines Schülers von Aleksandr Sokurov. Der Regisseur schildert darin betont naturalistisch die Erlebnisse eines naiven Dorfjungen im Ersten Weltkrieg, der sich voller Enthusiasmus in seine erste Schlacht stürzt – in der er sogleich sein Augenlicht verliert. In der Folge wird er als eine Art Hör-Soldat eingesetzt, der Feindbewegeungen und heranbrausende Flugzeuge akustisch wahrnehmen soll.
Zum besten Regisseur wurde der Iraner Soroush Sehat für seinen Film Dance with Me! gewählt, der Hauptdarsteller des Films, Ali Mosaffa, wurde mit einem Ehrendiplom ausgezeichnet: Es geht um Jahangir, der weiß, dass er bald sterben wird. Zu seinem Geburtstag taucht eine Gruppe seiner Freunde bei ihm auf, und das Zusammentreffen entwickelt sich ganz anders, als der Mann das erwartet hatte. (Bester Darsteller wurde schließlich Jesper Christensen für das Historiendrama Before the Frost aus Dänemark.)
Der Preis für die beste Darstellerin ging an Martina Apostolova für den bulgarischen Film Irina, der kürzlich auch bei Crossing Europe in Linz zu sehen war. Nadejda Kosevas Story um eine Frau, die sich gezwungen sieht, als Leihmutter zu arbeiten, arbeitet ein bisschen zu sehr mit den Klischees von Elend und Erlösung im sogenannten „armen Osten“ Europas, aber Apostolovas Leistung ist dennoch herausragend.
Neben den Preisen im Wettbewerb (Wackersdorf übrigens wurde für das beste Drehbuch ausgezeichnet) gab es auch solche für die Eastern-Vista-Sektion. Hier gewann der bekanntee iranische Regisseur Mohammad Ali Talebi den Hauptpreis für seinen nicht unproblematischen Dokumentarfilm Without My Friend, in dem er den (per Internet-Video) angekündigten und umgehend durchgeführten Selbstmord eines 15-jährigen Mädchens – ihre Freundin überlebte schwer verletzt (und war bei der Preisverleihung anwesend) – „rekonstruiert“, wenn auch mit mitunter recht fragwürdigen Methoden und mit Statements von „Expertinnen“ und „Experten“, über die man zum Teil nur den Kopf schütteln kann. Bester Regisseur in dieser Sektion wurde der Chinese Huo Meng für seine liebevoll beobachtete Großvater-und-Enkel-Geschichte Crossing the Border, der der Filmemacher auch eine politische Dimension (schmerzliche Erinnerungen an die der Kulturrevolution) unterlegt.