Bennett Miller begibt sich mit „Foxcatcher“ auf die Spuren eines Dramas, das Amerika erschütterte.
Ruhm ist nur allzu vergänglich. Eine Binsenweisheit, doch Mark Schultz (Channing Tatum) wird auf geradezu brutale Weise darauf gestoßen. Kaum drei Jahre ist es her, dass er 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles die Goldmedaille im Ringen gewonnen hat, doch der größte Erfolg, den man in diesem Sport erreichen kann, hat ihm außerhalb von Fachkreisen kaum Anerkennung eingetragen. Um sich ein paar Dollar zu verdienen, muss Mark an irgendeiner Highschool als Motivationsredner fungieren, doch er blickt im halbleeren Saal nur in die gelangweilten Gesichter von Jugendlichen, die herzlich wenig daran interessiert sind, was Mr. Schultz zu erzählen hat. Und dann wird er von der Sekretärin, die ihm den lächerlich gering dotierten Honorarscheck ausschreibt, auch noch mit seinem älteren Bruder Dave (Mark Ruffalo) verwechselt, ebenfalls Olympiasieger, der es zu etwas größerer Bekanntheit – und vor allem zu einer ökonomisch soliden Basis – gebracht hat.
Mark hingegen muss, vorsichtig formuliert, unter äußerst spartanischen Bedingungen leben und trainieren, um seinem Traum von weiteren sportlichen Erfolgen verfolgen zu können. Doch sein kärgliches Dasein, das so viele Entbehrungen mit sich bringt, erfährt eine unerwartete Wendung: John Eleuthère du Pont (Steve Carell), Spross einer der reichsten und angesehensten Familien der Vereinigten Staaten, unterbreitet Mark ein Angebot, dass geradezu phantastisch erscheint. Auf dem Anwesen der du Ponts in Pennsylvania mit dem klingenden Namen Foxcatcher Farm beabsichtigt der Milliardär, ein Trainingszentrum einzurichten und sein eigenes Ringerteam zu trainieren, dem auch Mark angehören soll. Als dieser das erste Mal auf dem Landsitz der du Ponts eintrifft und das wahre Ausmaß des Reichtums dieser Dynastie erlebt, erscheint das ein wenig so, als hätte Mark eine andere Welt betreten, die mit jenem Amerika, dass er bislang kannte, nur wenig zu tun hat. John du Ponts Bereitschaft als Mäzen, Trainer und Mentor zu agieren, erscheint wie das sprichwörtliche Geschenk des Himmels. Dass der Milliardär zuweilen ein wenig exzentrische Verhaltensweisen an den Tag legt, darüber sehen Mark und seine Teamkollegen geflissentlich hinweg, zu verlockend sind die Möglichkeiten, die sich ihnen auf Foxcatcher Farm eröffnen. Doch im Lauf der Zeit entwickelt sich in diesem ein wenig seltsam anmutenden Mikrokosmos ein Geflecht von Beziehungen und Abhängigkeiten, in das sich die Protagonisten immer mehr verstricken, zudem nimmt das Verhalten John du Ponts geradezu bizarre Züge an. Als Dave Schultz, der zunächst du Ponts Angebot abgelehnt hatte, schließlich doch zum Team stößt, setzt sich ein unheilvoller Verlauf in Gang, der unaufhaltsam auf ein tragisches Finale zusteuert.
Bruchstellen
Mit Foxcatcher hat Bennett Miller seinen erst dritten Spielfilm inszeniert, doch trotz dieser numerisch kleinen Zahl nimmt sein Oeuvre bereits eine herausragende Position im gegenwärtigen US-amerikanischen Kino ein. Sein neuer Film ist eine Arbeit von eindringlicher Präzision, wie man sie nur selten findet. Dass Foxcatcher bei der bevorstehenden Oscar-Verleihung in der Kategorie „Bester Film“ nicht einmal nominiert wurde, kann man wohl nur als Irrtum (oder schlichtweg Ignoranz) von monumentalem Ausmaß bezeichnen. Wie bei Capote (2005) und Moneyball (2011) dient auch bei Foxcatcher eine wahre Begebenheit als Ausgangspunkt, um ein ganz besonders Stück Americana zu zeichnen und damit gesellschaftliche Bruchlinien auf ungemein präzise Art freizulegen. Im Mittelpunkt von Capote steht die Entstehung von „In Cold Blood“, jenem bahnbrechenden Tatsachenroman, mit dem Truman Capote einen Vierfachmord und die psychologischen Hintergründe so meisterhaft analysiert. Im Verlauf seiner Recherchen für das Buch taucht Capote nicht nur in das ländliche Amerika von Kansas, dem die Opfer entstammen, ein, sondern setzt sich auch intensiv mit den beiden Tätern auf eine höchst persönliche Art auseinander. „Two worlds exist in this country: the quiet conservative life, and the life of those two men – the underbelly, the criminally violent. Those two worlds converged that bloody night“, meint der von Philip Seymour Hoffman gespielte Truman Capote – ein Satz, mit dem sich nicht nur Capote, sondern in bestimmten Teilen auch Foxcatcher trefflich charakterisieren lässt. Auch hier treffen Menschen aufeinander, deren soziale Hintergründe so stark differieren, dass man beinahe glauben könnte, die Protagonisten stammen nicht aus demselben Land, sondern aus verschiedenen Universen. Der Kontrast zwischen dem exzentrischen John du Pont, dessen Familie mit ihrem unermesslichem materiellen Reichtum wie entrückt vom alltäglichen Leben scheint, und den Brüdern Schultz, die schon von ihrem Sport her ein eher rustikal-erdiges Umfeld gewöhnt sind, könnte nicht deutlicher sein. Die Parallelen zu Capote, wo der intellektuelle Schöngeist Truman Capote, Liebling der kulturellen High-Society, im Zuge seiner Nachforschungen für sein Buch ein ungewöhnlich nahes Verhältnis zu den beiden Mördern, die er selbst als „Bodensatz der Gesellschaft“ bezeichnet, entwickelt, sind augenscheinlich.
Bennett Miller betreibt jedoch keine vordergründige Sozialkritik, seine Filme sind weitaus komplexer konzipiert. Sie sind zunächst einmal psychologische Studien, bei denen mit chirurgischer Präzision nach und nach die inneren Verfasstheiten der Protagonisten bloßlegt werden. Denn auf den ersten Blick scheinen die sozialen Unterschiede kein unüberwindbares Hindernis, vielmehr vermeinen die jeweiligen Charaktere, in ihren so unterschiedlichen Gegenübern genau das zu finden, was in ihrem bisherigen Umfeld ausgespart geblieben ist – und das auf mehreren Ebenen.
Bei Foxcatcher scheint das Ringerteam für John du Pont die Möglichkeit, um als Coach und Mentor endlich jene Anerkennung auf zwischenmenschlicher Ebene zu finden, die ihm bislang trotz seines Reichtums versagt geblieben ist. Insbesondere in Mark Schultz glaubt du Pont auch einen Freund gefunden zu haben, während Mark wiederum in dem schrulligen Milliardär die lange vermisste Vaterfigur zu finden hofft. Doch dass diese Beziehungen nicht funktionieren, macht Bennett Miller in Foxcatcher schon frühzeitig deutlich. Denn zu stark sind die Protagonisten durch ihr bisheriges Leben – hier spielen die so unterschiedlichen gesellschaftlichen Klassen wiederum stark hinein – geprägt, und das nicht unbedingt auf positive Weise.
John du Pont etwa ist durch die privilegierte Stellung seiner Familie in eine Art seelischer Isolation gedrängt worden – der einzige Freund, so erzählt er Mark, den er in seiner Jugend hatte, wurde von seiner Mutter dafür bezahlt –, die deutliche Spuren hinterlassen hat. Natürlich muss jedermann merken, dass sein Verhalten nicht bloß ein wenig exzentrisch ist, sondern schon reichlich ungesunde Züge angenommen hat, was das seelische Gleichgewicht angeht. Bloß – aussprechen mag das niemand, weil schlussendlich jeder von du Ponts Reichtum profitieren möchte, was wiederum zur Folge hat, dass alle Beziehungen John du Ponts asymmetrisch verlaufen. Zudem ist er ungeachtet all seiner Beteuerungen schon längst nicht mehr in der Lage, Kontakte emotionaler Natur auf Augenhöhe zu führen – vielmehr läuft es immer wieder darauf hinaus, dass Beziehungen mehr nach dem Muster von Herr und Knecht verlaufen, in denen der Milliardär etwa Widerspruch von Mark mit einer saftigen Ohrfeige begegnet. Wie in Capote sind auch in Foxcatcher die Versuche, Beziehungen einzugehen, von einem Gewirr von Projektionen, verdrängten Sehnsüchten und Machtansprüchen dominiert, die fast zwangsläufig zu Schwierigkeiten führen müssen. Doch solange alle, die von John du Pont materiell abhängig sind, krampfhaft über sein groteskes Verhalten, das immer mehr ins Pathologische abgleitet, hinwegsehen, hält sogar dieses bizarre Beziehungsgeflecht eine gewisse Stabilität, so fragil diese auch sein mag. Doch als jemand wie Dave Schultz dazukommt, der eine einigermaßen solide emotionale Basis hat, kommt es bei der von Truman Capote angesprochenen Konvergenz zwischen höchst unterschiedlichen Welten zu Reibungen, die unkontrollierbare Energien freisetzen und eine Katastrophe im Stil einer griechischen Tragödie heraufbeschwören.
In Bennett Millers Arbeiten ist das Aufeinandertreffen von Charakteren aus unterschiedlicher Welten samt den dabei unvermeidlichen Friktionen ein zentrales Motiv. In Capote und Foxcatcher sind diese Unterschiede, was die soziale Ebene angeht, ganz klar definiert. Im Fall von Moneyball, wo der von Brad Pitt gespielte Billy Beane in seiner Funktion als Manager eines Baseballteams seine Mannschaft nach strikt mathematischen Regeln aufstellt und damit die Traditionalisten von „America’s Game“ gewaltig vor den Kopf stößt, sind die Auswirkungen nicht ganz so dramatisch, das Konfliktpotenzial jedoch kaum geringer.
Eisige Kälte
Das Aufeinandertreffen von Menschen mit gegensätzlichen sozialen und kulturellen Hintergründen ist ein tragendes Element in Bennett Millers Filmen, doch darin allein sind die Reibungsflächen nicht begründet. Die liegen zu zumindest gleichen Teilen bei den psychischen und emotionalen Verformtheiten der Protagonisten. Die wiederum haben ihre Ursachen sehr wohl – und hier tritt neben der erzählerischen und dramaturgischen Virtuosität, die Millers Inszenierungen auszeichnet, ein gesellschaftskritisches Element zu Tage – im sozialen Umfeld. Es ist jene Mischung aus gesellschaftlich auferlegten Zwängen und emotionalen Verletzungen, die ihre unauslöschlichen Spuren hinterlassen und die Protagonisten schlussendlich gefangen hält. John du Pont personifiziert dies auf exemplarische Weise: Steve Carells brillante Darstellung, die aus einem großartigen Ensemble noch herausragt, macht vom ersten Auftritt an die Ambivalenz zwischen bemitleidenswerter Kreatur und lauerndem Wahnsinn, die John du Ponts Charakter innewohnt, auf beeindruckende Art und Weise deutlich. So bizarr du Ponts Verhalten zweifellos ist, nach und nach macht Bennett Millers Inszenierung deutlich, dass der Verlauf seines bisherigen Lebens ungeachtet alle materiellen Privilegien entscheidend zur emotionalen Vergletscherung beigetragen hat. Die geradezu verzweifelte und doch vergebliche Suche nach Anerkennung, die in jener Szene, in der du Ponts gefühlskalte Mutter in der Trainingshalle vorbeischaut, um ihren Sohn wieder einmal nur snobistische Geringschätzigkeit spüren zu lassen, kulminiert, treibt ihn immer mehr in eine falsche und schlussendlich gefährliche Richtung. Die konsequente Unfähigkeit seiner Umgebung, damit umzugehen, verschärft die Lage noch. Als John du Pont auf Dave Schultz trifft, der gefestigt genug ist, um dem Milliardär auf Augenhöhe zu begegnen – was ironischerweise genau der richtige Weg wäre, um du Pont vielleicht aus seiner Isolation zu befreien – ist die Katastrophe schon vorprogrammiert. Für den emotionalen Frost, der die Protagonisten umgibt, findet Bennett Miller mit in kaltes, kristallklares Licht getauchten Bildern eine kongeniale visuelle Entsprechung, eine ganze Reihe von Totaleinstellungen macht zudem die Einsamkeit der Charaktere deutlich.
Bennett Millers Filme präsentieren jedoch kein deterministisches Weltbild. Auch wenn die Protagonisten durch soziale und psychologische Lebensbedingungen geprägt sind, werden sie keineswegs allein durch diese Umstände exkulpiert. Truman Capote bezeichnete zwar die spezifischen Ereignisse, die zu den brutalen Morden führten, als „psychologischen Unfall“, doch das Bild, das er von ihnen in „In Cold Blood“ zeichnet, bleibt ebenso wie sein Verhältnis zu den beiden differenziert und ambivalent. Zwar ist der Schriftsteller bei weitem nicht so instabil wie der Milliardär in Foxcatcher, doch auch er – auch hier lassen sich deutliche Parallelen zwischen Capote und Foxcatcher ziehen – bleibt schlussendlich Gefangener einer Verfasstheit, die er sich selbst kaum eingestehen will.
Zwar baut er zu den beiden Mördern eine freundschaftliche Beziehung auf – insbesondere mit Perry Smith entsteht dabei ein beinahe intimes Verhältnis –, doch Capotes Selbstbild als genialer Schriftsteller – was er zweifellos ist, das er jedoch genauso kräftig hochhält – bringt ein Dilemma mit sich. Auf der emotionalen Ebene möchte Truman Capote zwar, dass den beiden Mördern die Vollstreckung der Todesstrafe erspart bleibt, doch für sein Buch wäre die Exekution das perfekte Ende – und das Gelingen seines künstlerischen Schaffens, das macht Capote deutlich, geht ihm über alle emotionalen Bindungen. Es ist ein Widerspruch, dem sich Truman Capote lange Zeit lieber nicht stellt und den er schließlich so zusammenfasst. „More tears are shed over answered prayers than unanswered ones.“ Eine Erkenntnis, die sich schließlich auch für John du Pont und die Brüder Schultz auf dramatische Weise erfüllen soll.