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Geheime Staatsaffären

Geheime Staatsaffären

Moralische Ambivalenz

| Gerhard Midding |

In seinem neuen Film „Geheime Staatsaffären“, der erneut eine Glanzrolle für Isabelle Huppert beinhaltet, beschäftigt sich Altmeister Claude Chabrol auf seine unnachahmliche Weise mit der Faszination der Macht.

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In Claude Chabrols Filmen herrscht ein stilistischer Eigensinn, der wackere Strukturalisten mitunter verzweifeln lässt. Was haben beispielsweise die vielen Schwenks zu bedeuten, die im Nichts enden, wie ein Witz ohne Pointe? Warum sind die Außenszenen hier derart überbelichtet? Und weshalb werden so viele Szenen schon zwei, drei Sekunden früher abgeblendet, als man es erwartet?

Diesen Erzählstrategien mag man nie reine Willkür unterstellen, sie erscheinen eher als Indiz einer undurchsichtigen Beharrlichkeit, mit der dieser Regisseur der Wahrheit über die menschliche Natur auf die Schliche kommen will. Diese Strategie der Verrätselung besitzt womöglich einen Selbstwert, als Mahnung, die Augen offen zu halten und sich als Zuschauer einzustimmen auf eine Klima der Ungewissheit und Täuschung.

In seinem neuesten, schätzungsweise 54. Film, Geheime Staatsaffären (L’Ivresse du pouvoir), knüpft er an ein Genre an, das dem französischen Kino seit den 70er Jahren sträflich abhanden gekommen ist: den Thriller über die brisanten Verstrickung von Politik und Wirtschaft. In den Kriminalfilmen, die Regisseure wie Yves Boisset oder Henri Verneuil in jener Epoche drehten, versucht ein idealistischer Journalist oder Beamter, Licht ins Dunkel zu bringen und muss am Ende vor der Übermacht des Systems kapitulieren.

Chabrol und seine häufige Ko-Autorin Odile Barski (Masken, Die Farbe der Lüge) folgen in Geheime Staatsaffären einer anderen Dramaturgie. In ihrem siebten Chabrol-Film spielt Isabelle Huppert die furchtlose Untersuchungsrichterin Jeanne. Nach und nach lädt sie die Manager eines nicht weiter benannten Konzerns vor (die Parallelen zur Elf/Aquitaine-Affäre sind kaum verschlüsselt), um ihnen Korruption und Betrügereien nachzuweisen. Die Entdeckungen, die sie dabei macht, beschränken sich bald nicht mehr nur auf die Machenschaften der Manager. Chabrol und Barski nehmen ihren Filmtitel beim Wort: Die Erkenntnis ihrer eigenen, vermeintlich grenzenlosen Macht versetzt Jeanne in einen Rausch. Sie besitzt die Autorität, ins Leben der Industriekapitäne einzugreifen, kann Karrieren beenden und den Ruf ihrer Gegenspieler zerstören. Vergnügt lauscht sie dem Hall der eigenen Schritte auf den Korridoren der Macht. Es liegt eine hochmütige Fahrlässigkeit darin, wie ungerührt die Richterin zusieht, dass sie sich immer mehr von ihrem Ehemann entfremdet.

Isabelle Huppert stattet die Richterin mit ihrem einzigartigen Talent für amüsierte Überheblichkeit aus. Der Verlauf der Ermittlung scheint bald von ihren Launen diktiert.

Die Verhöre, die Chabrol mit pragmatischem Sinn für Variation und Perspektivwechsel inszeniert, bergen ein erotisches Flair von Verführung und Manipulation, zumal die Begegnungen mit dem schönen Patrick Bruel. Die Notwendigkeit, nun über fürsorgliche Leibwächter zu verfügen, erfüllt Jeanne mit heimlichem Stolz. In diesem narzisstischen Machtdrama kommt den Äußerlichkeiten ohnehin maßgebliche Bedeutung zu. Die Richterin zieht in ein größeres Büro um, die anfängliche Rivalität mit ihrer Kollegin (Maryline Canto) verwandelt sich in Komplizenschaft nicht zuletzt deshalb, weil beide gleich groß sind. Jeannes Faible für leuchtend rote Lederhandschuhe und ebensolche Taschen lässt sie zur Schwester werden der Traumfrauen aus Technicolorfilmen: Sie sind Accessoires der Revolte und Selbstbestimmung.

Chabrol und Barski verwandeln ihren Politthriller allmählich in ein Psychogramm. Diese Dramaturgie des Entgleitens (den die eingangs erwähnten Schwenks stilistisch nachvollziehen) bestimmt auch die Erzählhaltung. Der ursprüngliche Arbeitstitel des Film lautete La Comédie du Pouvoir: die Komödie der Macht. Schon Hupperts Rollenname – Jeanne Charmant-Killman – verrät den Impuls des verschmitzten Registerwechsels, dem sich Chabrol auch diesmal nicht verweigert. Seine Vorliebe für kuriose Doppelnamen ist bereits aus seinen letzten Filmen vertraut, hier ist jeder der drei Bestandteile des Namens ein sprechender. Wenn Chabrol Erzkomödianten wie François Berléand und Jean-Pierre Kalfon den Freiraum für hinreißend komische Intermezzi verschafft, verrät er mit seiner Ironie nie das eigene Anliegen. Er gesteht den Figuren vielmehr ihre eigentümliche Aura zu, die nicht reduziert ist auf ihre Funk-tion im Plot. Er mag seine Schurken, hat Spaß daran, dass sie in ihrem Rollenfach nicht nur die Pflicht erfüllen, sondern auch die Kür. Eine moralische Ambivalenz herrscht in diesem Film, die es Chabrol gestattet, den nobelsten Dialogsatz in den Mund des ersten Angeklagten zu legen, dessen Leben Jeanne ruiniert hat. „In dieser Affäre“, resümiert er, „haben Sie sich am Ende nicht einmal als die Unmenschlichste erwiesen.“